Ihre Leidenschaft galt früh schon der Kunst und der Kultur, die Entscheidung für ein Studium der Rechtswissenschaften hat sie dennoch nie bereut: Denn Brigitte Bierlein wollte einen Beruf, mit dem sie auf eigenen Beinen stehen und selbstständig ihren Weg gehen konnte. Dass sie dieser Weg einmal in das Kanzlerinnen-Amt führen würde, hätte sie sich jedoch niemals träumen lassen.
Ich war eine leidenschaftliche und sehr glückliche Staatsanwältin.
Mit Enthusiasmus auf dem richtigen Weg
Nach dem Gerichtsjahr und einem Zwischenstopp im Richterdienst folgte der Ruf in die Staatsanwaltschaft: “Ich war eine leidenschaftliche und sehr glückliche Staatsanwältin. Die Möglichkeit selbst Nachforschungen anzustellen, hat mich stets begeistert!” Der nächste Karriereschritt: Die Generalprokuratur, die oberste Staatsanwaltschaft der Republik. Als erste Frau und als Neuankömmling hat es viel Feingefühl gebraucht, um einen guten Zugang zur Kollegenschaft und zu den Gepflogenheiten ihres neuen Arbeitsplatzes zu finden. “Ich habe gefragt, ob man sich auf einen Kaffee zusammensetzen könne. Ich wollte mich austauschen, mein Arbeitsumfeld kennenlernen und mich integrieren. Die erste Antwort war, dass es keinen Kaffee gäbe. Also habe ich kurzerhand beschlossen, selbst welchen mitzubringen. Ich habe die Bürotür geöffnet und es sind alle gekommen. Diese Kaffeerunden wurden zu einer schönen Tradition!”
Wenn der Zufall Schicksal spielt
2002 erreichte Brigitte Bierlein dann eine besondere Anfrage. “Während ich an einem Sonntag am Gepäckband des Flughafens stehe, läutet mein Telefon. Jemand aus Regierungskreisen, fragt, ob ich nicht Vizepräsidentin des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) werden möchte. Ich habe zuerst an einen Scherz geglaubt”, lacht Bierlein. Sie schreibt eine Bewerbung und wird vom damaligen Präsidenten Karl Korinek zu einem Gespräch an seine Privatadresse eingeladen. “Zunächst habe ich allerdings die Adresse nicht gefunden, hatte keine Telefonnummer, auch die Gendarmerie konnte mir nicht helfen. Auf einmal sehe ich eine Bekannte auf der Straße - sie konnte mir dann Auskunft geben. Was wäre gewesen, hätte ich dort nicht hingefunden?“ Ja, manchmal spielen Zufälle im Leben eine wirklich schicksalhafte Rolle:2018 übernahm Bierlein als erste Frau das Amt der Präsidentin des VfGH.
Auch für die Sache der Frauen musste ich annehmen
Mit Mut in die Vorreiterrolle
Es folgten turbulente Zeiten: Mit der sogenannten Ibiza-Affäre wurde das erste Mal in der Geschichte der Republik die gesamte Regierung mit Misstrauen belegt und musste zurücktreten. “Aus meiner Kanzlei kam damals die Anfrage, ob man dem Bundespräsidenten meine Handynummer geben dürfe”, erzählt Bierlein. Es folgte eine Einladung in die Hofburg mit der Bitte den Nebeneingang über das Schweizertor zu nutzen. “Ich dachte mir bereits, dass es wohl um die Regierung gehen würde, eventuell um das Justizresort - das hätte ich mir vorstellen können.” Bierlein steht jedoch vor einem anderen Meilenstein in ihrer Karriere: Die Übernahme des Kanzlerinnen-Amts. Nach einer Nacht Bedenkzeit, stand ihre Entscheidung fest: “Ich wusste zwar noch nicht, wie eine Regierung von innen aussieht, aber ich habe mir gedacht, es wird ja nicht sehr lange bis zur nächsten Wahl dauern. Und wann würde wohl wieder eine Frau gefragt werden? Auch für die Sache der Frauen musste ich annehmen!”
Im Dienst der Sache
Für die Experten/innen-Regierung war es Bierlein wichtig, das Kabinett neu zu besetzen. Mit Vizekanzler und Justizminister Clemens Jabloner holte sie sich einen Vertrauten mit ins Boot. Ihr Ziel war es, eine ausgewogene Regierung zu bilden. Das gewählte Parlament war ja gleich geblieben. „Ich habe mit einer Regierungsdauer von sechs Monaten gerechnet und das hat dann auch gut so gepasst. Wir haben uns alle sehr gut verstanden und wollten Ruhe ins Land bringen - es ging niemanden um den persönlichen politischen Vorteil. Wir wollten, wie es der Bundespräsident gesagt hat, zeigen: So sind wir nicht.”
Ihr Resümee über die Zeit als Kanzlerin zieht Brigitte Bierlein positiv: “Diese Zeit war zwar wirklich stressig – wir hatten Verhandlungen in Brüssel mit teils 19 Stunden am Stück! Aber ich habe das auch sehr gern gemacht. Allerdings habe ich es für mich als Glück empfunden, dass ich beruflich zu diesem Zeitpunkt schon einiges gesehen hatte. Und wenn man wie ich ein optimistischer und teamfähiger Mensch ist, sind schwierige Situationen sicher auch besser zu bewältigen.“ Ihr abschließender Rat an die Zuhörerschaft: „Schauen Sie, dass Sie dort Fuß fassen, wo Sie mit dem Herzen dabei sind und es Ihnen wirklich Freude macht!”