„Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter!“ Die Zeilen dieses bekannten Weihnachtsliedes begleiten uns alle Jahre wieder durch die Festtage. Doch warum ziert gerade ein immergrüner Baum unser Wohnzimmer? Woher kommt die Tradition des Weihnachtsbaums? Und wie wandelte sich die Bedeutung von Bäumen im Verlauf der Geschichte? Das weiß Johannes Preiser-Kapeller, Byzantinist und Globalhistoriker am Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).
„Die Verehrung von Bäumen ist ein sehr altes Phänomen in der Religionsgeschichte“, erklärt Preiser-Kapeller. „Bäume waren ein zentraler Bestandteil der menschlichen Umwelt, sowohl vor als auch nach der Sesshaftwerdung.“ Sie galten als Symbole der Fruchtbarkeit und des natürlichen Kreislaufs. In antiken Kulturen wurden Bäume oft als Wohnorte überirdischer Wesen gesehen, wie etwa die Dryaden, also Baumnymphen im antiken Griechenland. Auch in der germanischen Religion hatten Bäume eine herausragende Bedeutung, so der Historiker: Odin wurde mit der Esche assoziiert, Thor mit der Eiche. Die Weltesche Yggdrasil verkörperte sogar den Kosmos selbst.
Heilige Bäume im Mittelalter
Im Mittelalter überlebte der Baumkult vor allem in noch nicht christianisierten Regionen wie Skandinavien und dem Baltikum. „Auch nach der Christianisierung hielten sich mancherorts Praktiken der Baumverehrung“, schildert Preiser-Kapeller. Das sorgte für Spannungen mit der Kirche. Um die Überlegenheit des Christentums zu demonstrieren, fällte man vielerorts heilige Bäume.
Berühmt ist der Fall der Irminsul, einem der berühmtesten heiligen Bäume, der als „große Säule“ von den Sachsen verehrt wurde. Im Jahr 772 wurde er auf Veranlassung des Frankenkönigs Karl des Großen, der die Sachsen unterwerfen und christianisieren wollte, gefällt. Ähnlich reagierte der Missionar Bonifatius, der um 730 eine Eiche bei Fritzlar in Nordhessen abholzen ließ.
Christianisierung trifft auf heidnische Kulte
Auch auf der Krim kam es zu solchen Aktionen, berichtet der ÖAW-Historiker und Byzantinist: „Um das Jahr 860 trafen die aus Byzanz entsandten und später als ‚Slawenapostel‘ berühmten Missionare Kyrill und Method auf der Krim auf die Verehrung einer Heiligen Eiche durch Einheimische, der sie in ähnlicher Weise ein Ende bereiteten.“ Doch nicht immer blieb dies ohne Gegenwehr. „Die Zerstörung heiliger Bäume konnte gewaltsame Reaktionen hervorrufen“, so Preiser-Kapeller. Ein Beispiel ist der Bischof Adalbert von Prag, der 997 von den an der Ostsee siedelnden „heidnischen“ Preußen getötet wurde, nachdem er einen heiligen Baumhain betreten hatte.
Das Christentum bezeichnete den Baumkult als „heidnischen Irrglauben“. Preiser-Kapeller verweist auf einen armenischen Bericht aus dem Jahr 681/682 des als Missionar reisenden Bischofs Israyel. Er kam aus dem kaukasischen Albanien, im heutigen Aserbeidschan, zu den damals ebenfalls noch „heidnischen“ Chasaren nördlich des Kaukasus, im heutigen Dagestan. Israyel bezeichnete die Religion der zu Bekehrenden als „vom Satan zur Täuschung erdachter, Baum-verehrender Irrglauben“, als Zeichen „ihrer barbarischen blödsinnigen Dummheit“ und als „schmutzigen heidnischen Kult“.
Baum der Erkenntnis als Mysterienspiel
Gleichzeitig fand sich aber auch in der christlichen Tradition Platz für Bäume. Der Baum der Erkenntnis im Paradies ist ein prominentes Beispiel. Ab dem Spätmittelalter wurde in manchen Kirchengemeinden am 24. Dezember die Szene als Mysterienspiel nachgespielt, als Adam und Eva im Paradies eine Frucht vom verbotenen Baum aßen, und dazu wurde ein grüner Nadelbaum in die Kirche gestellt. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich daraus der Brauch des Weihnachtsbaums, so Preiser-Kapeller.
Interessantes Detail: „Ein im Winter entgegen der Natur wundersam grünender Laubbaum spielt auch eine zentrale Rolle in der Gründungslegende von Stift Zwettl im Waldviertel: als der adelige Gründer Hadmar I. von Kuenring und der als Abt vorgesehene Zisterziensermönch Hermann auf der Suche nach einem geeigneten Ort für das Kloster im Winter 1138/1139 durch den Wald ritten, fanden sie an einer Stelle einen in voller Blätterpracht stehenden Baum“, erzählt Preiser-Kapeller. Der Legende nach legten sie an dieser Stelle den Grundstein für das Kloster. „Das es sich dabei um einen in den Religionen der Germanen oder Slawen (Zwettl leitet sich ja vom slawischen světlý für „licht, hell“ ab) heiligen Eichenbaum handelte, mag auf gewisse Kontinuitäten der kultischen Deutung von Bäumen hinweisen“, resümiert der ÖAW-Historiker. Eine Nachbildung dieses Baumes schmückt jedenfalls mit dem gekreuzigten Christus im Zentrum bis heute den Hauptaltar der Stiftskirche. Und so konnte auch das Kreuz als "Baum, an dem der Heiland hing" gedeutet und verehrt werden.