Der Sudan galt archäologisch lange als Anhängsel von Ägypten. Dabei findet man nicht nur 200 Pyramiden in der Wüste, die noch erstaunlich gut erhalten sind und die Macht des antiken Reiches der Kuschiten illustrieren, sondern auch andere frühe Hochkulturen wie jene der Kerma.
Nubien, wie das Land genannt wurde, ist archäologisch noch längst nicht erschlossen. Der aktuelle Krieg gefährdet nicht nur bereits ausgegrabene historische Stätten wie die Königsstadt Meroe, die Pyramiden von Begrawiya und die Tempelanlagen von Naga, sondern unterbricht auch eine höchst produktive Ausgrabungstätigkeit. Die Archäologin Julia Budka, die am Österreichischen Archäologischen Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) forscht, erklärt im Gespräch, wie die aktuelle Lage im Sudan ist.
FRÜHE HOCHKULTUR AM NIL
Sie sind seit 2004 im Sudan aktiv. Was macht dieses Land archäologisch so spannend?
Julia Budka: Im Sudan auszugraben ist deswegen so faszinierend, weil wir noch immer so viele offene Fragestellungen haben. Dieses Land hat lange im Schatten von Ägypten gestanden. Man hat aus einer kolonialen Brille auf diese Region geschaut: Ägypten sei die Hochkultur, der Sudan ein Anhängsel, das lange ohne eigene Schrift auskam. Die heutige Bevölkerungsdichte entlang des Nils ist verschwindend gering im Vergleich zu Ägypten. Und das bedeutet für uns, dass wir den Luxus haben, antike Stätten vorzufinden, die wir vollständig erforschen können, die nicht modern überbaut sind. Darüber hinaus ist der Sudan ein riesiges Land, das kulturell unglaublich vielfältig ist. Wir beginnen erst jetzt, ins Hinterland zu gehen.
In der Hauptstadt Khartum sind historische Stätten massiv gefährdet. Wir wissen, dass das Nationalmuseum geplündert wurde.
Wurde in den letzten Jahren viel Neues entdeckt?
Budka: Extrem viel. Es bringt nichts, eine starre Grenze zwischen dem Kulturbereich in Ägypten und im Sudan zu ziehen. Wie viele Gemeinschaften und Kooperationen es über die Zeiten gab, zeigt sich schön im Goldabbau. Die frühere Lesart war: Der Sudan sei auf den Rohstoffen gesessen, aber habe damit nichts anfangen können. Man habe die Ägypter gebraucht, also quasi eine Hochkultur, um das Gold abzubauen. Diese These ist längst nicht mehr haltbar, es wurde sehr früh eigenständig Gold abgebaut und später dann mit Ägypten kooperiert. Der Sudan ist eine frühe Hochkultur am Nil, die es bis ins erste Jahrtausend vor Christus nicht nötig hatte, eine Schriftsprache zu entwickeln. Das hat dazu geführt, dass die Forschung dem humanistischen Weltbild zufolge mit Naserümpfen auf diese Kulturen geblickt hat. Dabei kann es ein Vorteil sein, Narrative zu entwickeln, die eben nicht auf historischen Textquellen basieren, sondern auf der Archäologie.
Nationalmuseum geplündert
Was ist durch den aktuellen Krieg zerstört oder gefährdet?
Budka: Gerade in der Hauptstadt Khartum sind die meisten historischen Stätten massiv gefährdet, vor allem die großen Museen. Wir wissen, dass das Nationalmuseum geplündert wurde. Wir können nicht genau sagen, was fehlt, aber wir haben Informationen, dass mehrere LKWs beladen mit Kisten aus dem Keller das Museum verlassen haben. Wir wissen auch, dass Privatsammlungen teilweise geplündert wurden und schon am Schwarzmarkt angeboten werden. Bei den großen Monumenten wie den Pyramiden und in der Königsstadt Meroe gibt es furchtbare Bilder von der aktuellen Klimakatastrophe. Es hat massiv geregnet, so stark wie seit den 1980er-Jahren nicht mehr. Fundplätze stehen teilweise unter Wasser. Das Baumaterial Lehmziegel, wie etwa in Kerma, ist durch den starken Regen gefährdet.
Die archäologische Forschung im Sudan liegt brach, wir verlieren eine ganze Generation an Wissenschaftler:innen.
Was müsste getan werden, um Kulturgüter zu schützen?
Budka: Es ist in jeder Hinsicht eine beispiellose Katastrophe, die sich gerade abspielt. Die Priorität wäre jetzt tatsächlich eine großflächige humanitäre Hilfe. Aber auch ein breiteres Bewusstsein dafür zu schaffen, welche Schätze im Sudan liegen und gefährdet sind. Viele Archäolog:innen sind nach Ägypten geflohen, die Antikenverwaltung hat ein archäologisches Notfallkomitee gebildet, das sich in Kairo befindet. Andere sind im Sudan geblieben, die sitzen dann in einem kleinen Büro mit Sattelitentelefon außerhalb Khartums und versuchen, die Dinge am Laufen zu halten. Seit April 2023 sind alle Schulen und Universitäten im Sudan geschlossen. Das heißt, junge Forscher:innen können aktuell nicht arbeiten. Die archäologische Forschung liegt brach, wir verlieren eine ganze Generation an Wissenschaftler:innen. Erst muss ein Waffenstillstand her, dann kann man versuchen, mit internationalen Kooperationen die Strukturen wieder aufzubauen.