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Sudan: Forschen im Ausnahmezustand

Über ihre jüngste Sudanreise, die dramatischen Folgen des Kriegs – und wie Archäologie Menschen mit ihrer Geschichte verbindet, darüber spricht ÖAW-Mitglied Julia Budka im Interview.

09.05.2025
Menschen stehen um und in einer Grabung vor einer trockenen Landschaft im Hintergrund
Freilegearbeiten an der vom Wind seit den 1970ern zugesandeten Lehmziegelstruktur des Neuen Reiches.
© Julia Budka

Der Krieg im Sudan hat bereits Millionen Menschen zur Flucht gezwungen, Städte zerstört und kulturelles Erbe verwüstet. Julia Budka, Archäologin und Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), war vor kurzem vor Ort im Norden des Landes. Im Interview schildert sie ihre Eindrücke aus einem vom Krieg gezeichneten Alltag, erklärt, warum der Konflikt weit mehr als ein „Kampf zweier Generäle“ ist – und was die archäologische Forschung für die Zukunft des Landes leisten kann.

Seit rund 20 Jahren forschen Sie immer wieder im Sudan. Jetzt waren Sie wieder vor Ort. Wie haben Sie den Krieg erlebt?

Julia Budka: Ich war ausschließlich im Norden unterwegs, nahe der ägyptischen Grenze, wo sich auch mein Grabungsort befindet. In dieser Region hat es keine direkten Kampfhandlungen gegeben. Die Einreise über Ägypten ermöglichte es überhaupt erst, dort zu arbeiten.

Vor allem der Alltag im Ausnahmezustand wurde vor Ort greifbar: Bargeld ist knapp, Strom und Diesel kaum vorhanden, die Preise explodieren. In den Supermärkten zeigt sich deutlich: Das Land ist im Krieg. Milchprodukte fehlen fast völlig – die großen Produktionsstätten in Khartum sind zerstört. Ein Import aus Ägypten? Für viele unerschwinglich.

Die ländliche Gegend, geprägt von Ackerbau und Dattelanbau, stößt an ihre Grenzen.

Schätzungen sprechen von rund zehn Millionen Binnenvertriebenen.

Budka: Die Zahl der Binnenvertriebenen ist besonders dramatisch. In der nördlichen, vom Krieg verschonten Region wurden zehntausende Geflüchtete aufgenommen. Die ländliche Gegend, geprägt von Ackerbau und Dattelanbau, stößt an ihre Grenzen. Ich kenne Menschen, die aus Khartum mit fast nichts geflohen sind. Viele sind gut ausgebildet, leben nun in leerstehenden Häusern ihrer Verwandten. Andere haben keinen Bezug zur Landwirtschaft und finden keinen Halt. Kleine Dörfer sind überfüllt, das soziale Gefüge steht unter Druck – eine immense Herausforderung.

Geplünderte Museen

Warum ist die Lage auch aus Sicht der Archäologie so dramatisch?

Budka: Das Nationalmuseum in Khartum wurde geplündert. Es war seit Beginn des Krieges in der Gewalt der Rapid Support Forces, kurz RSF-Miliz. Ich habe mit vielen Kolleg:innen gesprochen – jetzt beginnt eine kritische Phase: Schäden erfassen, gestohlene Objekte aufspüren, weitere Plünderungen verhindern. Khartum ist weiterhin unsicher (Anmerkung: Stand Mitte April 2025, die Lage ändert sich fast täglich).

Die Hoffnung vieler Sudanes:innen ist, dass die Armee die RSF-Miliz vollständig besiegen kann. Doch deren externe Unterstützung verzögert alles. In Gesprächen wird klar: Niemand will, dass diese Miliz noch eine Rolle spielt. Nach all den Greueltaten an der Zivilbevölkerung ist Verhandlung keine Option.

Vieles deutet auf einen geplanten Raubzug hin – mit internationalen Abnehmern.

Gibt es Hinweise, wohin geplünderte Objekte aus dem Nationalmuseum gebracht wurden?

Budka: Vieles deutet auf einen geplanten Raubzug hin – mit internationalen Abnehmern. Es gibt Gerüchte, dass die Objekte möglicherweise in die Golfstaaten oder nach Asien verkauft wurden. Der sudanesische Staat hat sich inzwischen an UNESCO und Interpol gewandt, aktuell ist eine Kommission im Museum tätig, die den Bestand klärt. Wir glauben nicht, dass alle Objekte zerstört wurden – sie sind zu wertvoll. Allerdings wurden weniger wertvolle Stücke wie Keramikgefäße zerbrochen, die Bilder zeigen viel Zerstörung in den Räumen des Museums.

Skarabäen und andere hochwertige Fundstücke

Wie hat der Krieg Ihre Arbeit verändert?

Budka: Bis März 2023 konnten wir regulär arbeiten. Drei Wochen nach unserer Abreise begann der Krieg. Wir haben die Zeit in Europa für naturwissenschaftliche Analysen, etwa von Keramik, genutzt. Auch die systematische Auswertung von Drohnenaufnahmen war ein Schwerpunkt. So konnten wir Fundplätze identifizieren, die wir im Frühjahr 2025 erstmals besuchen und teilweise ausgraben konnten – unter anderem eine vom Franzosen André Vila in den 1970er-Jahren dokumentierte Struktur. Wir entfernten sehr viel Sand und legten so das vollständige Fundament frei, das damals nicht erfasst wurde. Ein Highlight war, dass sich westlich von diesem Gebäude weitere, ganz unbekannte Lehmziegelbauten befinden. Dort fanden wir auch einen Skarabäus und hochwertiger Keramik.

Gibt es Unterstützungsprogramme für sudanesische Archäolog:innen?

Budka: Es gibt internationale Programme wie z.B. das Hilde-Domin-Stipendium. Einige Forschende konnten nach Deutschland, Italien, Frankreich oder Großbritannien ausreisen. Eine Kollegin hat kürzlich für die Archäologie erhoben: Die meisten Professor:innen sind bereits im Ausland, bei Promovierten sind es etwa zwei Drittel. Viele mit Masterabschluss sind noch im Sudan – oft, weil ihnen die Mittel zur Ausreise fehlen.

Die Universitäten sind geschlossen. Manche Studierende sind nach Kairo gewechselt – das können sich aber nur privilegierte Familien leisten. Andere helfen ihren Familien auf dem Feld. Viele junge Frauen bleiben zu Hause, weil es für sie zu gefährlich ist, alleine zu reisen.

Es braucht dringend eine gezielte „Post-War-Strategie“ – etwa zeitlich befristete Förderung im Ausland mit klarer Rückkehrperspektive. Die sudanesische Archäologie war vielversprechend und dynamisch – das darf nicht verloren gehen.

Afrikanische Hochkulturen

Inwiefern verändert Archäologie im Sudan unser Bild von Hochkulturen?

Budka: Der eurozentristische Blick auf Zivilisationen – Schrift als zentrales Kriterium – wird zunehmend infrage gestellt. Das Königreich von Kerma, lange unterschätzt, gilt heute als eigenständige Hochkultur: ohne Schrift, aber mit komplexer Organisation, monumentaler Architektur, weitreichenden Kontakten. Die Trennung zwischen den Kulturen in Ägypten und dem Sudan war künstlich. Das alte Ägypten sollte besser als Teil eines afrikanischen Kontinuums gesehen werden, mit sehr viel Input aus dem antiken Sudan.

Es ist die derzeit größte humanitäre Katastrophe weltweit.

Zurück zum Krieg. In Europa ist von einem „vergessenen Konflikt“ oder einem Machtkampf zwischen zwei Generälen die Rede. Was ist es für Sie?

Budka: Es ist die derzeit größte humanitäre Katastrophe weltweit – vom globalen Norden bewusst ignoriert. Es war von Anfang an kein Bürgerkrieg, sondern ein brutaler Angriff einer Miliz mit dem Ziel: Mord, Plünderung, Zerstörung. Die sudanesische Bevölkerung hat das früh verstanden: Nur die reguläre Armee kann sie schützen. Die Bilder der vergangenen Wochen – befreite Städte, jubelnde Menschen – sprechen für sich. Natürlich: Auch die Armee hat Kriegsverbrechen begangen. Aber wer den Konflikt verstehen will, muss den Sudanes:innen zuhören.

Fest steht: Es geht nicht nur um innerstaatliche Konflikte, sondern auch um unendliche Ressourcen und geopolitische Interessen: Gold, Öl, Zugang zum Roten Meer. Russland, die Emirate – viele internationale Akteure mischen mit.

Kulturerbe als Teil der nationalen Identität

Was kann Archäologie in einem so zerstörten Land leisten?

Budka: Wenn eine Hauptstadt wie Khartum so massiv zerstört ist, braucht es mehr als nur den Wiederaufbau – es braucht einen Neuanfang, auch in der Frage der nationalen Identität. Den müssen die Sudanes:innen selbst gestalten. Aber wir können sie unterstützen – mit Infrastruktur, und auch durch die Pflege des kulturellen Erbes.

Denn Weltkulturerbe stiftet Identität, es verbindet die Menschen mit ihrer Geschichte und ihrem Land. Das haben wir deutlich gespürt: Jetzt war das Interesse an unserer Arbeit größer denn je. Die Menschen stellten viele Fragen, wollten verstehen, was wir tun und warum das wichtig ist. Ich habe Nachbarinnen, Kindern, Arbeitern erklärt, was Archäologie bedeutet – und ein Fernsehteam war spontan dabei und hat unsere Arbeiten gefilmt.

Das zeigt: Kulturerbe kann eine verbindende Kraft sein. Wenn es gelänge, ein großes UNESCO-Programm auf die Beine zu stellen, wäre das ein echter Meilenstein. Der Sudan kann das nicht allein schaffen – aber das Land braucht diese Chance.

 

Auf einen Blick

Julia Budka ist Professorin für Ägyptische Archäologie und Kunstgeschichte an der Ludwig Maximilians Universität München und forscht am Österreichischen Archäologischen Institut der ÖAW. Sie ist seit 2019 zudem korrespondierendes Mitglied der ÖAW. Sie wurde mit einem START-Preis des Wissenschaftsfonds FWF sowie zwei Grants des ERC (European Research Council) ausgezeichnet.

 

 

 

Julia Budka mit neu gefundenem Skarabäus.