10.02.2022 | Hyksos-Rätsel

Multikulturelles Ägypten unter den Pharaonen

Waren die sagenumwobenen Hyksos tatsächlich die ersten ausländischen Herrscher in Ägypten? Woher kamen sie und wie gelangten sie an die Macht? Ein Forschungsprojekt der ÖAW unter dem Archäologen Manfred Bietak bringt neue Erkenntnisse über Migration und Machtvakuum im alten Ägypten.

Frühe Hyksos-Darstellung aus der 12. Dynastie im Grab des altägyptischen Beamten Chnumhotep II. in Beni Hassan am Nil.
Frühe Hyksos-Darstellung aus der 12. Dynastie im Grab des altägyptischen Beamten Chnumhotep II. in Beni Hassan am Nil. © MacQuarie University/Wikimedia Commons

Das „Rätsel der Hyksos“ nennt sich das vom Europäischen Forschungsrat ERC geförderte Advanced Grant-Projekt, mit dem Manfred Bietak und sein Team am Österreichischen Achräologischen Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) offene Fragen zu den „Herrschern der Fremdländer“, wie sich "Hyksos" übersetzen lässt, zu klären versucht. Naturwissenschaftliche Untersuchungen wurden an der Partnerinstitution in Bournemouth durchgeführt.

Die geheimnisvollen Hyksos waren Migrant/innen aus dem Nahen Osten, die nach Ägypten kamen, um bessere Lebensbedingungen zu finden und nicht, wie der Historiker Flavius Josephus (37/38 – ca. 100 n. Chr.) vermutlich in Rom berichtete, aggressive Eroberer, die das ägyptische Reich überfielen. Aber bereits vor den Hyksos, die als 15. Dynastie regierten, scheint es ausländische Herrscher gegeben zu haben, wie jüngste Forschungsergebnisse von Bietak und seinem Team nahelegen. „In der 14. Dynastie war zumindest das Nildelta quasi monetär an Vorderasien angeschlossen“, so Bietak. „Wir vermuten, dass die 14. Dynastie aus den sogenannten ‘Herrschern von Retjenu’ hervorgegangen ist.“

Invasion als Fake News

Die Forschung hat lange angenommen, die Hyksos seien ausländische Fürsten, die durch Invasion in Ägypten an die Macht gekommen sind. Woher kam diese These?

Manfred Bietak: Von dem Geschichtsschreiber Flavius Josephus aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. Er berichtet, dass eine Horde von Fremdlingen ins Land eingefallen sei, sie hätten sich in Auaris, dem heutigen Tell el-Dab‘a, niedergelassen und das Land mit Grausamkeit beherrscht.

Ihre Forschung belegt, dass es anders war?

Bietak: Das waren Fake News, würde man heute sagen. Die Geschichte war viel komplizierter als sie bisher dargestellt wurde. Genau genommen waren die Hyksos gar nicht die ersten ausländischen Monarchen, die Ägypten regierten. Unser Forschungsprojekt konnte konkret herausarbeiten, dass es zumindest zwei Dynastien gab, in denen vorderasiatische Herrscher an der Macht waren. Das hat in Ägypten vermutlich ein Trauma verursacht. Schließlich hatte Ägypten immer den Anspruch auf Weltherrschaft und dann wird es – aus seiner Sicht – von „Ausländern“ beherrscht!

Gut integriert

Warum tauchten die Hyksos in Auaris auf?

Bietak: In der Hafenstadt Auaris konnten Immigrant/innen aus Vorderasien mit Billigung der ägyptischen Krone bereits in der Zeit der 12. und 13. Dynastie (19. und 18. Jh. v. Chr.) ein Handelszentrum aufbauen. Man könnte fast von einer Freistadt sprechen. Sie waren offenbar in Ägypten gut integriert, hatten zum Teil an den Bergwerksarbeiten auf dem Sinai und anderen Expeditionen der Ägypter in Vorderasien teilgenommen. Wir fanden zwei Siegel aus der 13. und der 14. Dynastie mit dem Titel eines ‘Herrschers von Retjenu’.

Woher kamen diese Herrscher ursprünglich?

Bietak: Dieser Landschaftsbegriff erstreckt sich vom nördlichen Palästina bis in den Norden des Libanon – ein Gebiet, das viel zu groß ist als dass es von einem einzigen Monarchen beherrscht werden konnte. Es muss sich daher wohl um den Ehrentitel eines hohen asiatischen Würdenträgers gehandelt haben, der seinen Sitz in Auaris hatte und Ägypten gegenüber für den Handel und die Kontakte mit der Region von Retjenu verantwortlich war. Wir vermuten, dass die 14. Dynastie aus den ‘Herrschern von Retjenu’ hervorgegangen ist.

Wettergott liefert Hinweise

Welche weiteren Ausgrabungsbeweise gibt es für diese These?

Bietak: In der 14. Dynastie treten monumentale vorderasiatische Tempel auf. Wie eine Studie von uns ergeben hat, weisen diese Architekturtypen auf den äußersten Norden von Syrien hin. Vor allem gehören Vorbilder des Haupttempels in Tell el-Dab‘a dem nordsyrischen Wettergott. Das bedeutet, dass Entscheidungsträger in Auaris während der 14. Dynastie offenbar aus dieser Gegend stammten oder zumindest von diesen religiösen Zentren inspiriert waren. Wir fanden auch ein Siegel mit der Darstellung des nordsyrischen Wettergottes, wie er von einem Berg zum anderen schreitet und Keule und Axt hebt; er ist der Schirmherr der Seefahrer und Bezwinger des Meeresgottes. Auaris war eine Hafenstadt, diese ans Meer gebundenen Kulte machen also Sinn. Schon knapp vor der 14. Dynastie wurde ein neues Gewichtssystem eingeführt – das ist mit einer Währungsreform vergleichbar. In der 14. Dynastie war zumindest das Nildelta quasi monetär an Vorderasien angeschlossen.

Ägypten war also bereits vor der Regierungszeit der Hyksos ein multikulturelles Reich?

Bietak: Ja, es gab abgesehen von Auaris und dem ägyptischen Ostdelta auch Orte in der Nähe der mittelägyptischen Residenzstadt Itjy-tawy (beim Eingang in die Oase Fayum), in denen ebenfalls Asiat/innen angesiedelt waren. Es ist höchstwahrscheinlich so, dass jene Monarchen, die in der 15. Dynastie das Reich übernahmen, aus dieser asiatischen Bewohnerschaft nahe der Residenz hervorgegangen sind.

Machtvakuum genutzt

Und wie gelang es den Hyksos dann in der 15. Dynastie aufzusteigen?

Bietak: Es herrschte offenbar ein Machtvakuum, das sie ausgenutzt hatten. Die 13. Dynastie war sehr unstabil, wie aus einer langen Reihe von Königen, die fast alle nur kurz regierten, erkennbar ist. Es scheint zu einem Putsch oder Aufstand von Asiat/innen, die in Siedlungen in der Umgebung der Residenz wohnten, gekommen zu sein. Daran könnten sich auch Ägypter/innen beteiligt haben. Jedenfalls wurden die Pyramiden der 12. Dynastie und die zeitgenössischen Elitenekropolen in der Nähe der Residenz geplündert, Statuen und Juwelen nach Byblos und andere Herrschersitze in der Levante im heutigen Libanon verhandelt.

Wie machte sich der Wechsel von der 14. Dynastie zu den Hyksos bemerkbar?

Bietak: Statt aus Sandziegeln baute man nun nur mehr aus Schlammziegeln, die wetterbeständiger waren. Auch Opfer- und Essgewohnheiten änderten sich. Wie Zahnuntersuchungen zeigten, gab es weniger Karies, aber dafür eine starke Abrasion der Zähne, also eine mechanische Abnutzung. Wahrscheinlich haben sie ein anderes Brot gegessen.

Das kann man heute noch feststellen? Wie wurde untersucht, was damals gegessen wurde?

Bietak: Unsere Gruppe an der britischen Bournemouth University versuchte dieser Frage mit Strontium Isotopen-Analysen auf die Spur zu kommen. Strontium wird abhängig vom geographischen Ort in unterschiedlichen Isotopenverhältnissen mit der Nahrung aufgenommen und in Knochen und Zähnen eingelagert, dadurch können wir sehen, ob die untersuchten Individuen lokal aufgewachsen oder zugewandert sind. Es zeigte sich, dass vor der Hyksos-Zeit ein erheblicher Bevölkerungsanteil zugewandert war, vor allem Frauen. Die Frage der Herkunft kann aber erst geklärt werden, wenn Strontium-Karten erstellt worden sind. Das ist unser nächstes Forschungsziel. Nach der materiellen Kultur zu schließen, zeigen sich große Ähnlichkeiten mit der Region des Libanon für die Zeit der 14. Dynastie. Die Hyksos selbst entstammen jedoch zu einem großen Teil einer älteren vorderasiatischen Gruppe von Immigrant/innen verschiedener Provenienz.

 

AUF EINEN BLICK

Manfred Bietak ist Ägyptologe und wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Er leitet das Forschungsprojekt „The Enigma of the Hyksos“, das vom ERC mit einem Advanced Grant gefördert wird und am Österreichischen Archäologischen Institut der ÖAW angesiedelt ist.