





Was für den Laien aussieht, wie eine einfache Tonscherbe, kann der Forschung unendliche Informationen über das Leben in der Antike liefern. So auch die Funde von Amphoren in Ephesos, in der heutigen Türkei. Joan Tuset Estany ist Postdoktorand am Österreichischen Archäologischen Institut der ÖAW und untersucht die Amphoren in Ephesos. Im Interview erzählt er, weshalb Amphoren in der Antike so bedeutend waren und was sie über die Handelsbeziehungen im Mittelmeerraum verraten.
Warum ist Ephesos ein spannender Ort, um Amphoren zu erforschen?
Joan Tuset Estany: Ephesos war eine riesige Metropole. Es war ein sehr wichtiger Hafen, unter anderem für die Weiterverteilung von Waren. Deshalb wurde hier bereits eine sehr große Anzahl unterschiedlicher Amphoren gefunden. Einige stammen aus so weit entfernten Regionen wie dem heutigen Spanien, Gaza oder dem Schwarzen Meer.
Worauf konzentriert sich Ihre Forschung?
Tuset Estany: In Ephesos bin ich Teil eines Projekts namens Crossing the Sea. Ziel dieses Projekts ist es, Keramikmaterial aus Kleinasien in Athen zu untersuchen. Mein kleines Team innerhalb dieses Projekts ist für die Amphorenforschung zuständig.
Wenn wir über Amphoren sprechen, müssen wir die Amphore selbst vergessen und daran denken, was darin war.
Was sind einige der gängigen Missverständnisse über Amphoren?
Tuset Estany: Die häufigste Frage zu Amphoren ist: Warum sind sie spitz? Sie können doch gar nicht stehen. Der Grund ist: Sie wurden für den Transport entworfen. In der Antike bedeutete das, besonders über weite Strecken, den Transport auf Schiffen. Sie wurden so designed, dass sie in den Bauch des Schiffes und auch zwischen einander passten. Normalerweise wurden Amphoren übereinandergestapelt. Das war wie ein perfektes Puzzle, das extrem stabil sein muss. Die Zwischenräume kleidete man mit pflanzlichen Fasern oder andere Materialien aus, um alles zu komprimieren und zu einer Einheit zu machen. Nichts durfte sich im Inneren des Schiffes bewegen oder durcheinander fallen.
Warum sind Amphoren so interessante Objekte für die Forschung?
Tuset Estany: Eine Amphore war wertvolle Fracht. Wenn ein Schiff voller Amphoren den Hafen verließ, war das ein Risiko. Es gab viele Beteiligte auf dem Weg einer Amphore – vom Hersteller der Amphore selbst und der Werkstatt, die das Gefäß produzierte, bis hin zum Eigentümer und Produzenten des Inhalts, über den Prozess, das Ganze auf ein Schiff zu verfrachten und es zu transportieren. Händler – und auch der Staat – waren Teil dieses Prozesses. Amphoren waren also Teil von Transaktionen mit hohem wirtschaftlichem Wert.
Es gibt also viele, viele Möglichkeiten, das Puzzle einer Amphore zu entschlüsseln.
Was kann man von einer einzelnen Amphore lernen?
Tuset Estany: Anhand verschiedener Merkmale kann man mehr oder weniger bestimmen, in welchem Jahrhundert – manchmal sogar in welchem halben oder viertel Jahrhundert – sie hergestellt wurde. Man kann sie also auch zur Datierung verwenden. Dann bringt man diese Information mit anderen Keramikfunden zusammen, auch mit menschlichen Überresten, Glas-, Metallfunden und archäozoologischem Material, die den archäologischen Kontext bilden. Wenn man das mit anderen Funden in Ephesos und mit Kontexten in der Ägäis oder im Mittelmeerraum vergleicht, erkennt man Trends und Entwicklungen. Wir können über Makroökonomie sprechen, über große Handelsrouten – aber auch darüber, was die Menschen in einem bestimmten Laden, einem Haus oder einem Geschäftsviertel in Ephesos konsumiert haben. Es gibt also viele, viele Möglichkeiten, das Puzzle einer Amphore zu entschlüsseln.
Joan Tuset Estany hat einen Bachelor- und Master-Abschluss in Archäologie und promovierte an der Universität Barcelona. Derzeit ist er Postdoktorand an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften / Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAW–ÖAI). Seine Forschungsschwerpunkte sind Keramik und Wirtschaft im römischen und spätantiken Mittelmeerraum. Er hat an interdisziplinären und internationalen Forschungsprojekten unter anderem in Griechenland, der Türkei, Katalonien und Mallorca teilgenommen. Seine Arbeit befasst sich auch mit städtischen und ländlichen Siedlungsmustern in der Spätantike, wobei sein besonderes Interesse der archäologischen Stratigraphie und Ausgrabungsmethodik gilt.