22.10.2021 | Corona & Arbeitswelt

Zurück in die Zukunft: von der Telearbeit zum Homeoffice

Zoom-Konferenzen, flexible Arbeitszeit, Homeoffice: Die Pandemie hat vieles möglich gemacht, was schon lange diskutiert wurde. Was wird bleiben? Und welche neuen Herausforderungen entstehen dadurch? Walter Peissl, Technikfolgenforscher an der ÖAW, betrachtet Aufgaben der Zukunft – und wie sie mit der Vergangenheit zusammenhängen.

Die Pandemie hat das Zuhause zum zweiten Arbeitsplatz gemacht. Ganz neu ist Home Office nicht. Schon in den Neunzigern gab es Telearbeit. © Ketut Subiyanto/Pexels
Die Pandemie hat das Zuhause zum zweiten Arbeitsplatz gemacht. Ganz neu ist Home Office nicht. Schon in den Neunzigern gab es Telearbeit. © Ketut Subiyanto/Pexels

Bereits in den 1990er-Jahren gab es Homeoffice. Man nannte es nur anders: Telearbeit war eine neue Errungenschaft. Technologien wie ISDN hatten es möglich gemacht, digitale Daten über die Telefonleitung zu übertragen. Man sollte bequem von daheim oder in einem sogenannten Telehaus arbeiten können.

„Studien haben gezeigt, dass Menschen, die Telearbeit verrichteten, karrieretechnisch abgehängt wurden. Weil sie in den Unternehmen nicht präsent waren“, sagt der Sozialwissenschaftler Walter Peissl, stellvertretender Direktor des Instituts für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Er schlägt im Gespräch eine Brücke von Zukunftsvisionen der 1990er-Jahre bis zu aktuellen Veränderungen durch die Pandemie.

Shared Spaces statt Telehäuser

Es ist schon seit Jahrzehnten von der Vier-Tage-Woche, Homeoffice und flexibler Arbeitszeit die Rede. Aber es brauchte eine Pandemie, um es umzusetzen?

Walter Peissl: Die Arbeitswelt ist träge. Wir haben bereits in den frühen 1990er-Jahren Studien zum Thema Telearbeit gemacht, einer frühen Form des Distant Working. Damals gab es sogenannte Telehäuser, das waren Orte, an denen Telearbeiter/innen zusammenkamen, die für unterschiedliche Firmen arbeiteten. Heute würde man von Shared Spaces sprechen. Die Idee dahinter entstand aus einem regionalpolitischen Gedanken: Man wollte die Regionen aufwerten und Menschen, die am Land leben nicht notwendigerweise zu Pendler/innen machen. Das war zukunftsweisend, denn wir merken nach eineinhalb Jahren Homeoffice alle, wie sehr uns soziale Kontakte und eine gewisse Struktur abgehen.

In den 90er-Jahren gab es Studien mit dem Ergebnis: Bildtelefon wird sich nicht durchsetzen."

 

Beim freien Arbeiten sind die Grenzen zwischen privat und beruflich schwer zu ziehen?

Peissl: Wir verwenden digitale Medien nach 18 Monaten Pandemieerfahrung anders als vorher. Da saßen wir von einem Tag auf den anderen im Homeoffice und mussten erst herausfinden, welche Programme es überhaupt gibt, um zu kommunizieren. Wir haben schon in den 1990er-Jahren über das Bildtelefon gesprochen, selbst, wenn es damals technisch noch unausgereifter war. Da gab es Studien mit dem Ergebnis: Bildtelefon wird sich kaum durchsetzen. Das hing unter anderem mit der leitungsgebundenen Positionierung der Endgeräte zusammen. Die Erwartungshaltung an die Kommunikation war eine andere, man hatte eine Vorstellung, wo man den oder die Gesprächspartner/in antreffen würde – und daheim bin ich privat und kann im Bademantel herumsitzen. Das muss man nicht sehen. In den letzten 20 Jahren hat sich das völlig verkehrt. Mittlerweile kann ich nicht wissen, in welcher Situation ich meine/n Gesprächspartner/in erreiche, denn wir sind fast rund um die Uhr erreichbar, weil wir ja selbst bis tief in die Nacht im Web aktiv sind.

Mehrere elektronische Identitäten

Am Anfang waren die Menschen in Zoom-Konferenzen schlecht beleuchtet, man hat unaufgeräumte Wohnungen gesehen. Hat Covid-19 eine Professionalisierung in Sachen Digitalisierung gebracht?

Peissl: Sich in einer Videokonferenz ordentlich zu präsentieren, ist eine neue Kulturtechnik, die man erst lernen muss. Auch Firmen brauchten Zeit, bis sie ihren Mitarbeiter/innen einen standardisierten Hintergrund zur Verfügung stellten. Wir müssen gerade im digitalen Bereich lernen, nicht überall dieselbe Person zu sein, sondern wie im Analogen unterschiedliche Rollen zu verkörpern. Es ist nicht nur aus Datenschutzgründen ein großes Problem, wenn ich für alle Kanäle nur eine elektronische Identität habe.

Sich in einer Videokonferenz ordentlich zu präsentieren, ist eine neue Kulturtechnik."

 

Fehlt im Homeoffice der soziale Austausch?

Peissl: Wir haben schon damals vor der Euphorie der Telearbeit gewarnt. Studien haben gezeigt, dass Menschen, die in Telehäusern gearbeitet haben, karrieretechnisch abgehängt wurden. Weil sie nicht präsent waren. Sie konnten noch so gute Arbeit leisten, aber sie waren nicht bei den Gesprächen an der Kaffeemaschine dabei, nicht in der Kantine und konnten nicht an informellen Treffen nach der Arbeit teilnehmen. Diese sogenannten Softfacts sind das soziale Schmiermittel. Bei diesen Aktivitäten fließen wichtige Informationen.

In Zukunft ein flexibles Nebeneinander von Homeoffice und Präsenzarbeitszeit geben."

Was haben wir durch die Pandemie gelernt?

Peissl: Nichts ist in Stein gemeißelt. Die Idee, dass man acht Stunden an einem Schreibtisch sitzen muss, um sein Geld zu verdienen, ist für viele widerlegt. Das wirft aber auch viele Fragen auf. Wie sieht es mit der Kostenübernahme und dem Datenschutz zu Hause aus? Wie funktioniert die Einbindung in die Organisation, wie kontrolliere ich Arbeitszeit? Wie wirkt Distant Working auf gewerkschaftliche Organisation und Vertretung? Ich denke aber, dass es in Zukunft ein flexibles Nebeneinander von Homeoffice und Präsenzarbeitszeit geben wird. Es ist sinnvoll, eine Mindestanwesenheitszeit zu vereinbaren und die restlichen zwei oder drei Tage der Woche flexibel zu gestalten.

 

AUF EINEN BLICK

Walter Peissl ist seit 1990 stellvertretender Direktor des Instituts für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Er ist promovierter Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler. Schwerpunkte seiner Arbeiten liegen im Bereich neue Informationsgesellschaft, dem Schutz der Privatsphäre sowie bei methodischen Fragen der Technikfolgenabschätzung.

Ein Überblick über aktuelle Forschungsprojekte zu COVID-19 aus dem Bereich der Technikfolgen-Abschätzung an der ÖAW ist auf der Website des Instituts zu finden.