01.04.2022 | Neue Kommission

Schubert jenseits der Klischees

War der Komponist Franz Schubert queer? War er tatsächlich immer unglücklich? Welche Karrieremöglichkeiten hatten Komponistinnen in dieser Epoche? Die neu gegründete Kommission für Interdisziplinäre Schubert Forschung der ÖAW unter der Leitung von Andrea Lindmayr-Brandl möchte den Musiker und seine Zeit von neuen Seiten beleuchten.

Franz Schubert in einer modernen 3-D Rekonstruktion.
Franz Schubert in einer modernen 3-D Rekonstruktion. Neue Perspektiven auf den österreichischen Komponisten will auch eine neue Kommission der ÖAW eröffnen. © Wikimedia/Hadi Karimi/https://hadikarimi.com/

Kann man überhaupt noch etwas Neues über den österreichischen Komponisten Franz Schubert (1797-1828) herausfinden? Ist da nicht schon alles erforscht? Diese Fragen bekommt die Musikwissenschaftlerin Andrea Lindmayr-Brandl immer wieder von ihren Studierenden gestellt. Als Obfrau der mit 1. April 2022 neu gegründeten Kommission für Interdisziplinäre Schubert Forschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) tritt sie an, gängige Klischees über den Komponisten zu hinterfragen. Besonders eine fächerübergreifende Expertise öffnet den Diskussionsraum.

„Eines meiner Forschungsprojekte heißt ‚Schubert the Successful‘. Das traditionelle Schubert-Bild ist stark von dem Film ‚Das Dreimäderlhaus‘ von 1958 geprägt, das den Komponisten als Unglücklichen zeichnet, der keine Frau bekommt und sich nur der Musik widmet“, so Lindmayr-Brandl im Gespräch: „Dieses Klischee versuchen wir nach und nach aufzubrechen, um einen anderen Schubert ans Tageslicht zu bringen.“

BREITES WISSEN, NEUE FRAGEN

Warum ist es wichtig, interdisziplinär zu arbeiten?

Andrea Lindmayr-Brandl: Gerade bei Komponist/innen zeigt sich, dass bisher viel zu wenig fächerübergreifend geforscht wurde. An der ÖAW findet sich geballte Expertise aus unterschiedlichen Bereichen. Wir haben es als großes Plus erfahren, Historiker/innen, Theaterwissenschaftler/innen, Kunstgeschichtler/innen und Literaturwissenschaftler/innen miteinander zu vernetzen. So entstehen ein breiteres Wissen und neue Fragestellungen.

Können Sie dafür ein Beispiel geben?

Lindmayr-Brandl: Unsere Summerschool etwa wird sich mit dem Thema „Sexuality and Gender in Schubert-Time“ beschäftigen. Wir greifen damit eine Diskussion auf, die vor rund 30 Jahren begonnen hat. Damals kam die Genderforschung auf, man stellte in den Raum, ob Schubert homosexuell gewesen sei. Die Debatte war sehr moralisch unterlegt und wenig distanziert. Man merkte, beide Seiten wollten ihn für sich vereinnahmen. Irgendwann ist diese Diskussion dann eingeschlafen, ohne zu einem schlüssigen Ergebnis zu kommen. Inzwischen gibt es neue, queere Ansätze in der Genderforschung. Man sieht nicht mehr nur schwarz-weiß, sondern ist differenzierter.

SCHUBERT UND DIE FRAUEN

Jedes Jahrzehnt hat also neue Fragestellungen?

Lindmayr-Brandl: So ist es. Ich bekomme auch von Studierenden oft die Frage gestellt, ob man überhaupt noch etwas Neues über Schubert herausfinden kann. Ist da nicht schon alles erforscht? Man vergisst dabei, dass jede Zeit ihre spezifischen Probleme und Fragen hat. Und, dass es immer wieder neue Forschungsmethoden gibt. Insofern ist Wissenschaft ein never ending process. Ich arbeite schon 35 Jahre in dem Feld, habe traditionell als Musikwissenschaftlerin angefangen, und staune, was alles inzwischen passiert ist. Allein die Datenbanken, die man damals nicht zur Verfügung hatte, und Möglichkeiten der Digital Humanities.  

Welche neuen Ansätze gibt es noch?

Lindmayr-Brandl: Entsprechend der Summerschool widmen wir die diesjährige Jahrestagung dem Thema „Women's Agency in Schuberts Vienna“. Schubert und die Frauen, da gibt es noch einiges an Forschung zu tun. Meist ist die vorhandene Literatur von Männern geschrieben, meist geht es darum, welche Musen, Geliebte und potentielle Ehefrauen dem genialen Komponisten zur Seite standen. Bei Schubert gibt es dazu allerdings wenig konkrete Dokumente, das sind alles Mutmaßungen, die schnell ins Populärwissenschaftliche abgleiten. Wir möchten das Thema auf neue Beine stellen und von der anderen Seite her beleuchten. Was hatten Frauen damals für Möglichkeiten?  Die waren ja nicht nur Hausfrau und Mutter, einzelne Damen der Gesellschaft, aber auch Bürgerliche hatten durchaus interessante Gestaltungsmöglichkeiten. Und dieser Blickwinkel soll uns auch Schubert besser verstehen lassen.

Es geht also auch darum, hartnäckige Klischees aus dem Weg zu räumen?

Lindmayr-Brandl: Absolut. Eines meiner Forschungsprojekte heißt „Schubert the Successful“. Das traditionelle Schubert-Bild ist stark von dem Film „Das Dreimäderlhaus“ von 1958 geprägt, das den Komponisten als Unglücklichen zeichnet, der keine Frau bekommt und sich nur der Musik widmet. Dieses Klischee versuchen wir nach und nach aufzubrechen, um einen anderen Schubert ans Tageslicht zu bringen. Dieser hatte nämlich großes Interesse, seine Werke in die Öffentlichkeit zu bringen. Im Gegensatz zu anderen war er aber nicht der Typ, sich in den Mittelpunkt zu stellen. Er hat sich selbst sehr zurückgenommen, war aber umgekehrt sehr engagiert, sein Werk zu promoten. So hat er etwa begonnen, mit einem Übersetzer, seine Liedtexte in mehrere Sprachen zu übertragen. Um solche Verbindungen zu verstehen, brauchen wir diese interdisziplinäre Forschung.

 

AUF EINEN BLICK

Andrea Lindmayr-Brandl ist Schubert-Expertin und Professorin an der Universität Salzburg. Sie ist korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und leitet als Obfrau die neu gegründete Kommission für Interdisziplinäre Schubert Forschung der ÖAW.