08.03.2022 | Coronavirus

„SARS-CoV-2 ist noch keine saisonale Krankheit“

Viele sehen in der milder verlaufenden Omikron-Variante des Coronavirus die Chance auf ein Ende der Pandemie. Welche Rolle der Omikron-Subtyp BA.2 dabei spielt, erklärt ÖAW-Molekularbiologe Ulrich Elling im Interview.

Grippale Infekte sind saisonale Erkrankungen, die in den warmen Monaten seltener auftreten. SARS-Cov-2 hat sich bisher aber noch nicht in diese Richtung entwickelt.
Grippale Infekte sind saisonale Erkrankungen, die in den warmen Monaten seltener auftreten. SARS-Cov-2 hat sich bisher aber noch nicht in diese Richtung entwickelt. © Unsplash/ Yoav Aziz

Es gibt auch noch gute Nachrichten: Die Immunität in der Bevölkerung bewegt sich in eine klare Richtung, immer mehr Menschen bauen einen Immunschutz gegen SARS-CoV-2 auf und Omikron hat eine verringerte Krankheitsschwere. Doch noch sind wir nicht in einen endemischen Zustand gekommen, sagt Ulrich Elling vom IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW): „Das Infektionsgeschehen ist noch sehr von der jeweiligen Variante getrieben.“

Im Interview legt der Molekularbiologe dar, was es mit dem Omikron-Subtyp BA.2 und der Rekombination aus Delta und Omikron, „Deltakron“, auf sich hat.

Omikron-Variante BA.2 ist infektiöser

Aktuell wird viel darüber gesprochen, dass Omikron das Ende der Pandemie eingeläutet hat. Wie sehen Sie das?

Ulrich Elling: Es haben sich bereits sehr viele Menschen angesteckt und es stecken sich immer noch viele an, vor allem jene, die bisher nicht geimpft sind. Aufgrund von regelmäßigen Infektionen oder Impfungen bauen wir langsam einen Immunschutz auf. Auf der anderen Seite muss man aber bedenken: Welche Varianten des Virus sich in Zukunft entwickeln könnten, ist ungewiss und Infektion mit Omikron schützt z.B. nicht vor Infektion mit Delta.

Welche Varianten des Virus sich in Zukunft entwickeln könnten, ist ungewiss.

Apropos neue Varianten. Seit Ende Februar dominiert der Omikron-Subtyp BA.2 das Infektionsgeschehen in Österreich. Was bedeutet das?

Elling: BA.2 ist infektiöser als BA.1 und hat sich deswegen durchgesetzt. Es gibt Hinweise, dass BA.2 kürzere serielle Intervalle hat: Die Ansteckungszeit von einem Patienten auf den nächsten ist deutlich gesunken. Das sind Infektionsketten wie im Zeitraffer. Inwiefern BA.2 den Immunschutz stärker umgeht als BA.1 lässt sich aufgrund widersprüchlicher Daten aus Dänemark und England nicht genau sagen. Bei den Daten, die ich aus Österreich untersucht habe, hat sich ein stärkeres Umgehen des Immunschutzes bisher nicht bestätigt. Während Labordaten davon ausgehen, dass der Krankheitsverlauf bei BA.2 etwas schwerer als bei BA.1 ist, lässt sich das in den Krankenhäusern nicht beobachten.

BA.2 wird bei den Älteren eine Rolle spielen.

Bringt BA.2 eine neue Welle?

Elling: BA.2 übernimmt, verdrängt und hält dadurch die Infektionen noch hoch. Während die Welle bei BA.1 bei den jungen Personen losging, erreicht sie jetzt langsam die älteren Generationen. BA.2 wird also bei den Älteren eine Rolle spielen. Ähnliches hat man in England gesehen.

Bisher wenig Wissen zu Deltakron

Was hat es mit der Mischvariante „Deltakron“ auf sich, die kürzlich in Großbritannien aufgetaucht ist?

Elling: Derzeit weiß man nur, dass es zu einer Rekombination aus Delta und Omikron gekommen ist, also einer Vermischung der viralen Genome. Ob diese Mischvariante die Infektiösität von Omikron hat – oder gar eine höhere – ist noch unklar. Auch wie die Schwere der Verläufe sein wird, weiß man noch nicht. Es zeigt aber, dass die Rekombination zwischen Coronaviren tatsächlich stattfindet. Das hat für die Zukunft eine große Relevanz.

Es hat eine Art Katz-und-Maus-Spiel eingesetzt: Das Virus versucht unserer Immunität zu entkommen und sich mit neuen Varianten durchzusetzen.

Inwiefern?

Elling: Seit wir weltweit eine hohe Immunität haben, hat eine Art Katz-und-Maus-Spiel eingesetzt: Das Virus versucht unserer Immunität zu entkommen und sich mit neuen Varianten durchzusetzen. Allerdings folgt diese Evolution nicht einer stufenweisen Verbesserung wie etwa bei den berühmten Darwinfinken, sondern gleicht eher einer Black-Swan-Evolution. Mit „Schwarzen Schwänen“, der Begriff stammt aus den Wirtschaftswissenschaften, bezeichnet man nicht vorhersehbare Ereignisse, die einen riesengroßen Effekt haben. Omikron ist so ein Fall.

Wie mögliche neue Varianten aussehen werden, lässt sich aus virologischer Sicht also nicht definieren?

Elling: Die Mutationen sammeln sich in einem singulären Event, in einer Art Black Box, von dem wir nicht wissen, wie und wo er genau stattfindet. Und deswegen können wir auch nicht sagen, welche Selektionskriterien dafür wichtig sind. Bisher hat man beobachtet, dass die Virusvarianten infektiöser und im Krankheitsverlauf schlechter wurden. Bei Omikron haben sich diese beiden Seiten des Virus das erste Mal entkoppelt: Es wurde deutlich infektiöser, aber im Verlauf milder.

Impfung und Medikamente wichtig

Werden wir ähnlich wie bei der Influenza-Impfung jedes Jahr unsere Impfstoffe auf die jeweilige Virusvariante anpassen müssen?

Elling: Sars-CoV-2 ist noch keine saisonale Krankheit, die nur im Winter auftritt. Bei Delta hat man ab Anfang Juli ein exponentielles Wachstum beobachtet. Und Omikron ist mitten im Sommer in Südafrika aufgetaucht. Das Infektionsgeschehen ist also noch sehr von der jeweiligen Variante getrieben.

Sars-CoV-2 ist noch keine saisonale Krankheit, die nur im Winter auftritt.

Was die Immunität angeht, werden wir versuchen müssen, diese möglichst gut anzupassen. Die Immunität der T-Zellen, also der Schutz vor schweren Verläufen, ist bisher bei den Impfstoffen gegen alle Varianten gegeben. Ob wir bei einer neuen Variante aber eine realistische Chance haben, unsere Impfstoffe präventiv anzupassen, wird sich zeigen. Bei Omikron ist das nicht gelungen. Ein weiteres wichtiges Standbein werden Medikamente sein, das erste wirklich wirksame Medikament ist mit Paxlovid nun ebenfalls in Österreich erhältlich.

 

AUF EINEN BLICK

Ulrich Elling ist Molekularbiologe und Forschungsgruppenleiter am IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Er promovierte an der Universität Regensburg und erhielt seinen PhD vom European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg.