02.09.2022 | Energiegewinnung

Mit Kernfusion gegen die Klimakrise

Keine Frage: Die aktuelle Energiekrise kann die Fusionsenergie nicht lösen. Doch mit dem langfristigen Ende der Nutzung fossiler Energieträger braucht es neue, klimafreundliche Formen der Energiegewinnung. Kernfusion könnte dann eine Möglichkeit sein, die wachsende Erdbevölkerung nachhaltig mit Energie zu versorgen, erklärt Friedrich Aumayr vom Kernfusionsforschungsprogramm Fusion@ÖAW.

Noch „under construction“ in Zukunft aber ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu grüner Energie: Der Versuchs-Kernfusionsreaktor ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor) in Frankreich. © ITER Organization

„Wir müssen es schaffen, uns bis 2050 von fossilen Energieträgern zu verabschieden, sonst scheitert das Ziel, die Erwärmung unter zwei Grad zu halten“, sagt Friedrich Aumayr. Für den Direktor des österreichischen Kernfusionsforschungsprogramms, das unter dem Namen Fusion@ÖAW an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) angesiedelt ist, bedeutet das eine enorme Herausforderung: „Bis 2100 haben wir elf Milliarden Menschen auf der Welt, die wir mit grüner Energie versorgen müssen.“

Eine Lösung dafür könnte die Fusionsenergie darstellen. Vereinfacht gesagt arbeiten Fusionskraftwerke nach dem Vorbild der Sonne, in der die Wasserstoff-Isotope Deuterium und Tritium verschmelzen und dabei große Energiemengen freisetzen. Die Vorteile der Technologie liegen auf der Hand: Eine praktisch unerschöpfliche Energiequelle, kein Risiko atomarer Störfälle und keine langlebigen radioaktiven Abfälle. Erste Forschungsreaktoren gibt es seit einiger Zeit. Aumayer ist überzeugt: „Für die Bewältigung der Energiekrise, die uns bis 2100 droht, kann die Fusion bereits einen wertvollen Beitrag leisten.“

STEIGENDER ENERGIEHUNGER

Wie sieht ein Physiker die im kommenden Winter drohende Energiekrise?

Friedrich Aumayr: Die kurzfristigen Probleme können wir lösen, Gas lässt sich ersetzen. Ein kalter Winter ist zwar ein schlimmes Szenario, aber das Problem wird der Preis, nicht die Verfügbarkeit. Das kann man politisch durch Beihilfen lösen. Grundlegender ist die Klimaproblematik: Hier müssen wir es schaffen, uns bis 2050 von fossilen Energieträgern zu verabschieden, sonst scheitert das Ziel, die Erwärmung unter zwei Grad zu halten. Langfristig sehe ich eine größere Energiekrise. Bis 2100 haben wir elf Milliarden Menschen auf der Welt, die wir mit grüner Energie versorgen müssen. Das wird eine große Herausforderung.

Ohne Energie gibt es keinen Wohlstand.

Wie viel Energie brauchen wir dafür?

Aumayr: Wenn die Menschen auf europäischem Niveau Energie nutzen wollen, müssen wir pro Kopf jederzeit 4,4 Kilowatt bereitstellen – das entspricht einer Menge, mit der man vier Elektroherde betreiben kann. In den USA liegt der Schnitt heute bei etwa 10 kW. In China ist er seit 1990 von 1 auf 2,1 kW gestiegen, in Indien und Afrika liegt er noch bei unter 1 kW. Das Bruttosozialprodukt pro Kopf und der Energieverbrauch korrelieren fast perfekt, ohne Energie gibt es keinen Wohlstand. Wenn wir unseren derzeitigen Energieverbrauch - hoffentlich vermindert um mögliche Einsparungen auf unter 4kW - auch anderen Ländern zugestehen, haben wir schon heute zu wenig Energie. Bis 2100 werden wir zwei- bis dreimal so viel Energie brauchen.

Können wir das schaffen?

Aumayr: Es sollte möglich sein, 4 KW pro Mensch auf nachhaltige Weise zur Verfügung zu stellen, aber einfach wird das nicht. Dafür braucht es auch Akzeptanz in der Bevölkerung. Niemand will den Windpark vor seiner Haustüre, aber ohne wird es nicht gehen. Wir werden verschiedene Quellen anzapfen müssen und auch landwirtschaftliche Flächen mit Wind- oder Photovoltaik-Kraftwerken bestücken. Geothermie wird heute ebenfalls noch viel zu wenig genutzt. Da schlummern kostenlose Energiereserven. 2100 scheint noch weit weg, aber wir müssen jetzt beginnen, Lösungen zu entwickeln.

ERSATZ FÜR KOHLE, ÖL UND GAS

Wo hat die Kernfusion als Energiequelle ihren Platz in solchen Szenarien?

Aumayr: Mit der Energiekrise im kommenden Winter hat sie definitiv nichts zu tun. Selbst wenn alles nach Plan läuft und wir 2050 ein erstes Demonstrationsfusionskraftwerk haben, das 500 Megawatt liefert, wird das keine nennenswerten Auswirkungen haben. Aber für die Bewältigung der Energiekrise, die uns bis 2100 droht, kann die Fusion bereits einen wertvollen Beitrag leisten.

Wenn wir unseren derzeitigen Energieverbrauch auch anderen Ländern zugestehen, haben wir schon heute zu wenig Energie. Bis 2100 werden wir zwei- bis dreimal so viel Energie brauchen.

Wie ist die Situation in Österreich?

Aumayr: In Österreich sind nur 21 Prozent der verbrauchten Energie elektrisch. Davon kommen aber immerhin 75 Prozent aus erneuerbaren Quellen. Insgesamt stammt der Großteil der Energie aber leider immer noch aus Öl, Gas und Kohle und geht in Form von Wärme an energieintensive Industrien wie Stahl oder Zement oder wird für Heizung, Transport und Verkehr aufgewendet.

 

Welche Vorteile könnte Fusionsenergie hier bringen?

Aumayr: Fossile Energieträger sind leicht zu beschaffen und die Kraftwerke lassen sich - zumindest im Fall von Gas - schnell zuschalten. Wind und Sonne liefern nicht immer und überall Energie und wir haben suboptimale Stromnetze, die eine effiziente Verteilung erschweren. In Deutschland wird im Norden viel Windenergie erzeugt, die in Bayern verbraucht wird. Der Strom wird über Leitungen in Polen transportiert, die vollkommen überlastet sind. Fusion könnte die Grundlast eines Landes nachhaltig decken.

Gäbe es genug Treibstoff?

Aumayr: Treibstoff haben alle Länder, die Zugang zu Wasser haben. Ein Liter Wasser enthält, obwohl er nur zu 0,015 Prozent aus Deuterium besteht, so viel Energie wie ein Fass Öl.

Fusion verspricht nachhaltige Energie für hunderttausende von Jahren. Sie ist die einzige und zugleich effizienteste bekannte Energiequelle, die wir nicht nutzen.

Wo steht die Fusionstechnologie heute?

Aumayr: Der Joint European Torus in England (JET) hält den Rekord. Dort wurden vor kurzem für fünf Sekunden 59 Megajoule erzeugt. Das sind etwa 30 bis 40 Prozent der Energie, die für die Heizung des Plasmas nötig ist. Der große europäische Versuchsreaktor ITER, der gerade in Frankreich gebaut wird, soll schon zehnmal so viel Energie erzeugen, wie hineingesteckt werden muss: Wenn wir 50 Megawatt hineinstecken, bekommen wir 500 Megawatt thermisch heraus. Bei ITER wird diese Wärme allerdings noch nicht in Strom umgewandelt, auch wenn das mit einer Dampfturbine problemlos möglich wäre. Hier soll lediglich die Machbarkeit demonstriert werden.

Wie hoch wird der Preis für Fusionsenergie sein?

Aumayr: Mitte des Jahrhunderts wird es um den Beweis der Wirtschaftlichkeit gehen. ITER ist mit 20 Milliarden Euro ein relativ teures Projekt, auch wenn der Anteil für Österreich deutlich unter den Kosten des Koralmtunnels liegt. Der Preis sollte mit der Massenproduktion von Fusionsreaktoren aber fallen. Andererseits könnte, wenn wir 100 Kraftwerke bauen, der Preis für bestimmte spezielle Rohstoffe wie Wolfram steigen. Wir müssen am Ende wissen, wie viel eine Serienproduktion kostet. Sicher ist, dass diese Technologie nicht subventioniert werden wird.

Es kann also sein, dass Fusionsenergie ein Wunschtraum bleibt?

Aumayr: Fossile Träger müssen bis 2050 weg. Das Ausmaß der Änderungen, die das erfordern wird, ist den meisten Menschen nicht bewusst. Fusion verspricht nachhaltige Energie für hunderttausende von Jahren oder sogar noch länger. Sie ist die einzige und zugleich effizienteste bekannte Energiequelle, die wir nicht nutzen. Masse wird nach E = mc² in Energie umgewandelt, die Fusion bringt wesentlich mehr Energie als Kernspaltung und etwa eine Million Mal mehr als die Verbrennung von fossilen Energieträgern.

ATOMKRAFTWERKE SIND KEINE ALTERNATIVE

Könnten Atomkraftwerke (AKWs) helfen, die Lücke zu füllen, bis die Fusion so weit ist?

Aumayr: Einmal stillgelegte AKWs kann man nicht einfach wieder anfahren und Planung und Bau neuer Anlagen sind extrem langwierig. Dazu kommen die ungeklärte Endlagerfrage und das Treibstoffproblem: Woher kommt das Uran? Russland ist hier ein wichtiger Lieferant. Die Uranvorräte sind zudem begrenzt. Nach 100 bis 200 Jahren ist auch hier Schluss. AKW sind wenn überhaupt also nur eine kurzfristige Lösung. 

Fusion bringt wesentlich mehr Energie als Kernspaltung und etwa eine Million Mal mehr als die Verbrennung von fossilen Energieträgern.

Auch bei Fusionsreaktoren entsteht radioaktiv strahlendes Material. Ist das ein Problem?

Aumayr: Im Fusionsreaktor werden die Reaktorwände durch Neutronenbeschuss aktiviert, was zu kurzfristiger Radioaktivität führt. Die Materialien können aber nach einigen Jahrzehnten wieder normal gehandhabt und sogar wiederverwendet werden, benötigen also kein Endlager. Die Abfälle aus konventionellen Atomkraftanlagen strahlen hingegen für hunderttausende Jahre oder länger.

ÖSTERREICH BEI REAKTORENTWICKLUNG AN BORD

Welche Fortschritte sind in der Fusionstechnologie noch zu erwarten?

Aumayr: Der Tokamak, das gängigste Reaktordesign, ist wohl nicht das Ende der Entwicklung. Wendelstein 7X, ein moderner Versuchsreaktor in Deutschland, ist ein Stellarator. Das ist meiner Meinung nach das vielversprechendere Konzept. ITER wird aber noch auf Tokamak-Basis funktionieren, weil die Tokamak-Technologie einen großen Entwicklungsvorsprung hat. Sie wurde in den 50er- und 60er-Jahren in Russland erfunden, als einfache Lösung. Wendelstein 7X könnte ein Wendepunkt sein: Stellaratoren erzeugen Energie kontinuierlich, Tokamaks nur gepulst.

Welchen Beitrag leistet Österreich zur Fusionsforschung?

Aumayr: Die österreichische Beteiligung am europäischen Fusionsforschungsprogramm EUROfusion und damit auch an ITER wird vom Fusion@ÖAW Koordinationsbüro der Österreichischen Akademie der Wissenschaften im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung koordiniert und besteht aus mehreren Forschungsgruppen an der TU Wien, am Erich Schmid Institut der ÖAW in Leoben, an der TU Graz, an der Universität Innsbruck und in Salzburg. Mit den Geldern des EU-Projekts und des BMBWF finanzieren wir rund 20 Doktorand*innen pro Jahr und  trainieren damit die jungen Forschenden und Ingenieur*innen der "Generation ITER“ für Österreich.

 

AUF EINEN BLICK

Friedrich Aumayr ist Physiker und Vorstand des Instituts für Angewandte Physik der TU Wien. Forschungsaufenthalte führten ihn u.a. an das Institut für Plasmaphysik des Forschungszentrums Jülich, ans Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien oder an die Princeton University. Aumayr ist Direktor des österreichischen Kernfusionschungsprogramms Fusion@ÖAW. Das an der Akademie angesiedelte Koordinationsbüro bündelt die Forschungs- und Entwicklungsprojekte österreichischer Forschungsinstitute und Unternehmen im Bereich der Fusionsforschung.

Fusion@ÖAW