23.02.2021 | Corona-Virus

Gekommen, um zu bleiben?

Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass das Corona-Virus nicht einfach verschwindet, sondern wir lernen müssen, mit SARS-CoV-2 zu leben. Welche Hürden dabei zu nehmen sind, erklären Corona-Expert/innen der ÖAW aus den Bereichen Virologie, Medizingeschichte, Demographie und Sozialanthropologie.

Masken sind zum Symbol für die Corona-Pandemie geworden. Wie lange sie noch notwendig sein werden, ist derzeit offen. © Shutterstock
Masken sind zum Symbol für die Corona-Pandemie geworden. Wie lange sie noch notwendig sein werden, ist derzeit offen. © Shutterstock

Nicht nur die neuen Mutationen des Corona-Virus und Verzögerungen bei der Impfstoffbeschaffung lassen die Chancen sinken, die Corona-Pandemie schon bald ad acta legen zu können. Dass uns SARS-CoV-2 noch länger begleiten wird, darin sind sich Expert/innen mittlerweile einig. Unklar ist allerdings, welche Szenarien in den kommenden Monaten und Jahren auf uns zukommen könnten.

Im Sommer noch nicht über den Corona-Berg

„Ich gehe nicht davon aus, dass wir bereits diesen Sommer über den Berg sind“, sagt Andreas Bergthaler: „Es geht langfristig darum, Wege zu finden, damit nicht die ganze Gesellschaft lahmgelegt wird“, so der Virologe vom CeMM - Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). 2022 könnte zumindest eine breitenwirksam erfolgte Corona-Impfung für Entspannung sorgen. „Wenn alle vulnerablen Bevölkerungsgruppen geimpft sind, würde man der Pandemie den Zahn ziehen“, ist Bergthaler überzeugt. Es gäbe weniger schwere Fälle, dadurch sinkt auch die Sterblichkeitsrate. „Es wäre wie bei einer schweren Grippe, man infiziert sich zwar, aber die Todesfälle halten sich in Grenzen.“

Wenn alle vulnerablen Bevölkerungsgruppen geimpft sind, würde man der Pandemie den Zahn ziehen.

Auf dem Weg dorthin sind aus medizinischer Sicht aber einige Faktoren noch unsicher. Nicht auszuschließen ist zum Beispiel eine Mutation des Corona-Virus, die dazu führt, dass die Impfung schon nach einem Jahr nicht mehr ausreichend wirksam ist. „Natürlich stellt sich auch die Frage, ob neue Impfstoff-Updates jedes Mal wieder durch ein langwieriges Prüfungsverfahren gehen müssen“, erklärt Bergthaler. Dem oft beschworenen Phänomen der Herdenimmunität steht der Virologe skeptisch gegenüber: „Wir wissen noch nicht einmal, ob es überhaupt eine Herdenimmunität geben kann. Wir können nicht konkret sagen, wie viel Prozent der Bevölkerung immun sein müsste, um diese zu erreichen.“

Herdenimmunität keine geeignete Strategie gegen Corona

Aktuell scheinen wir jedenfalls von einer Herdenimmunität weit entfernt zu sein, wie Miguel Sánchez-Romero und Vanessa di Lego vom Institut für Demographie der ÖAW kürzlich in einer Studie im Fachjournal PLOS ONE zeigen konnten. Sie haben ein Modell entwickelt, mit dem sie für eine beliebige Population schätzen können, wie viele Menschen jemals mit dem Corona-Virus infiziert waren. Am Beispiel Österreich: Basierend auf Daten der AGES vom 19. Jänner 2021 errechnet das Modell, dass fast sieben Prozent der österreichischen Gesamtbevölkerung mit SARS-CoV-2 infiziert wurden und dass fast 60 Prozent aller infizierten Fälle (d.h. von den sieben Prozent) seit Beginn der Pandemie entdeckt wurden. Die Wissenschaftler/innen wandten ihr Modell auch auf die USA an und stellten fest: Selbst in jenen US-Bundesstaaten, die von der Pandemie stark betroffen waren, wie New York und New Jersey, lag der Anteil der jemals mit dem Corona-Virus infizierten Menschen unter 20 Prozent. "Unsere Methode zeigt, dass Herdenimmunität hier keine geeignete Strategie ist", erklärt Vanessa Di Lego.

Mit Impfungen Seuchen in den Griff bekommen

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass man Seuchen durch Impfprogramme bekämpfen und in den Griff bekommen konnte. Im Fall der Pocken war die Impfung besonders erfolgreich. „In Wien gab es um 1800 die erste Pocken-Massenimpfung. Die Pocken waren auch die erste Krankheit, die durch die Impfung ausgerottet wurde“, erzählt Medizinhistorikerin Daniela Angetter-Pfeiffer vom Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der ÖAW. Bis ins 19. Jahrhundert waren Seuchen ständige Wegbegleiter des Menschen: „Es gab so gut wie keine Generation, die nicht davon betroffen war: von der Cholera über die Pest bis zur Tuberkulose, die ab der Mitte des 18. Jahrhunderts aufgrund ihres endemischen Auftretens in Wien als ‚Morbus Viennensis‘ bezeichnet wurde.“ Die Geschichte habe aber auch gezeigt, dass es Viren gibt, die mit der Zeit schwächer werden. Auch das könnte eine Hoffnung für Covid-19 sein: „Man entwickelt bei der Erkrankung nur leichte Symptome, die Letalität sinkt“, so Angetter-Pfeiffer.

Bis ins 19. Jahrhundert waren Seuchen ständige Wegbegleiter: Es gab so gut wie keine Generation, die nicht davon betroffen war.

Viele Krankheiten konnten aber auch trotz Impfungen nicht völlig ausgerottet werden, betont die Medizinhistorikerin. Fühlt sich eine Gesellschaft zu sicher und wird nachlässig, tauchen längst überwunden geglaubte Krankheiten wieder auf. „Es ist immer ein Problem, wenn das kollektive Bewusstsein eine Gefahr vergisst und sich die Menschen nicht mehr impfen lassen“, sagt Angetter-Pfeiffer: „Wie das phasenweise bei Kinderlähmung und Masern der Fall war.“

Corona ist nicht nur medizinisches Problem

Für Stephan Kloos vom Institut für Sozialanthropologie der ÖAW ist Covid-19 nicht nur ein medizinisches Problem: „Wir stehen erst am Anfang unserer Forschung, um die Auswirkungen dieser Pandemie in einen größeren sozialwissenschaftlichen Kontext zu stellen.“ Eine genaue Analyse soll helfen, während der Pandemie getroffene Entscheidungen einordnen und bewerten zu können. „Die großen wirtschaftlichen, politischen, sozialen Veränderungen beginnen erst sichtbar zu werden“, sagt Kloos: „Viele Staaten geraten zunehmend unter Druck. Dass US-Präsident Donald Trump nicht wiedergewählt wurde, hängt zum Teil mit seinem Corona-Management zusammen“.

Die großen wirtschaftlichen, politischen, sozialen Veränderungen beginnen erst sichtbar zu werden.

Aber auch andere Fragen stehen im Raum: Wird sich die Schere zwischen Arm und Reich vergrößern? Setzt sich auch nach der Krise die Isolierung der Kernfamilie fort? Wer spürt die wirtschaftlichen Auswirkungen am stärksten? „Um wirksame Strategien zu finden, sollten wir diese Fragen durch empirische Beobachtung und komparative Analyse im globalen Kontext untersuchen. Auch um Lehren daraus zu ziehen, wie man mit dieser Krise umgehen kann“, so Kloos.

 

AUF EINEN BLICK

Weitere Forschungsergebnisse von ÖAW-Wissenschaftler/innen, Einschätzungen von Expert/innen sowie wissenschaftliche Quellen mit aktuellem Wissen zum Coronavirus sind auf einer eigenen Website der ÖAW zu finden.