27.06.2022 | Corona-Virus

Elling: Corona-Welle im Sommer könnte hoch werden

Die Corona-Zahlen steigen wieder kräftig an. Die Sommerwelle nimmt weiter Fahrt auf. Wer sich jetzt einen vierte Impfung holen soll und was von den an Omikron angepassten Impfstoffen zu erwarten ist, darüber spricht ÖAW-Molekularbiologe Ulrich Elling im Interview.

Ein junger Mann mit FFP2-Maske steht vor einem überfüllten Badestrand.
Wie werden sich die Corona-Zahlen im Sommer entwickeln? Der ÖAW-Molekularbiologe Ulrich Elling warnt vor hohen Neuinfektionsraten. © Pixabay.com

Zwei Jahre war sie das dominierende Thema, durch den Krieg in der Ukraine, die steigenden Preise und die Klimakrise ist sie vermeintlich aus den Schlagzeilen verschwunden: die Corona-Pandemie. Doch die Inzidenzen steigen wieder sprunghaft an. Sind wir bereits mitten in der Sommerwelle? Wie viel Schutz werden die an Omikron angepassten Impfstoffe bieten? Und wer sollte sich eine vierte Impfung holen? „Der vierte Stich ist für Ältere sinnvoll“, sagt Ulrich Elling vom IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Und ergänzt: „Es eilt – die Welle kommt jetzt.“ 

Sommerwelle

Warum steigen jetzt die Inzidenzen wieder?

Ulrich Elling: Erstens lässt die gesellschaftliche Immunität seit einiger Zeit wieder nach. Um die gesellschaftliche Immunität in Österreich halten zu können, wenn wir annehmen sie hält ein Jahr, müssten sich im Durchschnitt 25.000 Menschen täglich anstecken. Zweitens haben wir es mit der neuen Omikronvariante BA.5 zu tun, die den Immunschutz deutlich besser umgeht. Menschen, die von BA.1 genesen sind, können sich jetzt wieder anstecken. Der dritte Punkt ist, dass sich unser Verhalten verändert hat. 

Hat die Omikronvariante BA.5 bereits eine Sommerwelle ausgelöst?

Elling: BA.5 ist seit 7. Juni die dominante Variante in Österreich und die Infektionen gehen seither sehr steil nach oben. Der berühmte R-Effektivwert, der besagt wie viele Personen sich an einer Person anstecken, ist bei BA.5 50 Prozent höher als bei BA.2. Das bedeutet: Der Anteil hat sich pro Woche mehr als verdoppelt. Das ist eine Dynamik, die für eine deutliche hohe Sommerwelle spricht.

Verlauf von BA.5

Laut WHO kommt es zu vier Prozent häufigeren Krankenhausaufenthalten."

Lässt sich schon etwas über den Verlauf von BA.5 sagen?

Elling: Zum Verlauf von Virusseite gibt es noch wenig Daten. Aber es gibt ein paar Hinweise: Eine von diesen Mutationen, die jetzt in BA.5 auftaucht, ist aus Delta bekannt. Laut WHO kommt es zu vier Prozent häufigeren Krankenhausaufenthalten. Das ist aber alles noch sehr ungenau. Aus Israel kommen Nachrichten, wonach es zu Krankenhauszuwächsen kommt. Aus Portugal werden höhere Todeszahlen berichtet. In Frankreich wurden Daten vorgelegt, wonach die Symptomatik wieder ausgeprägter ist. Aber: Es geht nicht darum, wie sich das Virus verhält, sondern vor allem auch darum, wie wir geschützt sind und wer erkrankt. Die erste Omikronwelle hat uns direkt nach einer Booster-Kampagne getroffen. Damit waren die älteren Geimpften relativ gut geschützt. Dieser Schutz vor Ansteckung ist jetzt de facto nicht mehr existent. Es ist also davon auszugehen, dass sich überproportional viele ältere Leute anstecken.

Wie gut wird ein an Omikron angepasster Impfstoff schützen?

Elling: Die Zulassung ist noch nicht da, aber Moderna hat dazu Labordaten vorgelegt. Da gibt es eine Skala, aus der man die Konzentration der neutralisierten Antikörper messen kann. Der bis jetzt angewandte Impfstoff erreicht gegen die Wildtypvarianten einen Wert im Bereich von 5.000 bis 6.000, liegt gegenüber Omikron aber nur bei 1.400. Der an Omikron angepasste Impfstoff kommt auf einen Wert von 2.400. Das heißt: Damit sind wir besser geschützt, aber wir sind bei weitem nicht dort, wo wir waren. Und: Dieser Impfstoff ist gegen BA.1 gemacht. Aber wie wir ja wissen, umgeht BA.5 eine Infektion mit BA.1. Dementsprechend erreicht der angepasste Impfstoff gegen BA.5 erwartungsgemäß auch nur Werte von 700 bis 1.000.

Es eilt – die Welle kommt jetzt." 

Neue Impfung

Wer sollte sich jetzt einen vierten Stich mit den jetzigen Impfstoffen holen?

Elling: Sich jetzt zu impfen, um den Sommerurlaub zu sichern, geht sich nicht aus. Denn: Die jetzigen Impfstoffe schützen nicht vor Ansteckung. Aber für ältere und immun schwache Personen lohnt sich eine Auffrischung. Dazu gibt es ganz klare Daten aus Israel, die gezeigt haben, dass man dann noch einmal um den Faktor drei weniger ins Krankenhaus muss. Auch Daten aus Portugal zeigen, dass der vierte Stich für Ältere sinnvoll ist. Aber: Es eilt – die Welle kommt jetzt. 

Wie viel Schutz hat jemand, der dreimal geimpft und einmal mit BA.2 infiziert wurde?

Elling: Bei Menschen, die sich mit BA.2 infizierten, liegt die Erkrankung ja noch nicht lange zurück. Hier sollte die Immunität jetzt noch anhalten. Und: BA.2. und BA.5 sind sich sehr ähnlich und unterscheiden sich im Spikeprotein nur in ganz wenigen Positionen. BA.1 allerdings ist im Vergleich zu den anderen Omikron-Versionen schon fast ein anderer Serotyp, wo die Infektion mit dem einen kaum noch vor Infektionen mit dem anderen schützt.

Comeback der Masken im Sommer?

Es macht keinen Sinn, mit einer potenziell tödlichen Krankheit Immunität gegen eine potenziell tödliche Krankheit aufzubauen."

Werden wir diesen Sommer wieder Masken tragen müssen?

Elling: Das ist eine politische Entscheidung, ob wir Masken tragen werden oder nicht. Die Krankheit ist im Sommer nicht weniger gefährlicher als im Herbst. Der einzige Vorteil ist, dass es nicht auch noch mit der Influenza Welle überlappt. Den Daten des Prognosekonsortiums zufolge, wird die Sommerwelle eine dämpfende Wirkung auf die Herbstwelle haben. Das stimmt aber nur, wenn die Herbstvariante mit BA.5 verwandt ist! Aber: Es macht keinen Sinn, mit einer potenziell tödlichen Krankheit temporäre Immunität gegen eine potenziell tödliche Krankheit aufzubauen. Dazu gibt es jetzt eine neue US-amerikanische Studie, die noch im Review Prozess ist. Hier hat man bei US-Veteranen das Risiko für einen Krankenhausaufenthalt bei der Zweit- und Drittinfektion untersucht. Mit dem Ergebnis: Menschen, die sich zum zweiten Mal anstecken, haben sogar ein höheres Risiko ins Krankenhaus zu kommen als jene, die sich zum ersten Mal anstecken. Kurzgefasst ist am besten: Jede und jeder steckt sich möglichst selten an – und die Vulnerablen bitte gar nicht.

 

AUF EINEN BLICK

Ulrich Elling ist Molekularbiologe und Forschungsgruppenleiter am IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Er promovierte an der Universität Regensburg und forschte als PostDoc am European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg.