19.08.2022 | Xenon-Experiment

Dunkle Materie bleibt noch im Verborgenen

Tief unter der italienischen Erde schien vor zwei Jahren die erste Messung der Dunklen Materie gelungen zu sein. Doch die Freude war verfrüht, wie sich bei einer von ÖAW-Hochenergiephysiker*innen organisierten internationalen Konferenz herausstellte. Die Suche nach der Dunklen Materie geht dennoch unbeirrt weiter.

Aufnahme von Forscher*innen in Schutzkleidung in einem unterirdischen Reinraum
Unterirdische Arbeiten am Xenon1T-Experiment im italienischen Gran Sasso © Xenon Collaboration

Tief unter der Erde zeichnete vor zwei Jahren das sogenannte "XENON1T"-Experiment im italienischen Gran Sasso ein Signal auf, das von mehreren Seiten als erster Nachweis der Dunklen Materie betrachtet wurde. Jüngste Ergebnisse des genaueren Nachfolgeexperiments "XENONnt" konnten das allerdings nicht bestätigen: Wie bei einer vom Institut für Hochenergiephysik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) veranstalteten internationalen Fachtagung diskutiert wurde, hatte das Signal andere Ursachen als die Dunkle Materie. ÖAW-Physiker und Konferenz-Organisator Florian Reindl erklärt im Interview, was es mit dem Signal auf sich hatte - und warum die Suche nach Dunkler Materie unvermindert spannend bleibt.

Wechselwirkungen mit Dunkler Materie?

Das vor zwei Jahren von "XENON1T" entdeckte Signal hat für viel Aufregung gesorgt. Was war der Grund?

Florian Reindl: Der Detektor (dieses Experiments, Anm.) besteht aus einer großen Menge flüssigem Xenon, das tief unter der Erde vor Störungen abgeschirmt wird. Dunkle Materie könnte entweder mit den Elektronen der Xenonatome oder mit den Atomkernen wechselwirken. Vor zwei Jahren wurde ein Überschuss an Kollisionsereignissen mit den Elektronen gemessen. Das heißt, es gab mehr Wechselwirkungen als die Modelle des natürlichen Strahlungshintergrundes vorhergesagt haben. Das hätte ein Hinweis auf Dunkle Materie sein können.

Es gab von Anfang an mehrere Hypothesen für den Ursprung des Signals."

Die neuen Ergebnisse von XENONnT haben aber gezeigt, dass das Signal nicht auf Dunkle Materie zurückzuführen ist?

Reindl: Es gab von Anfang an mehrere Hypothesen für den Ursprung des Signals. Neben verschiedenen Dunkle-Materie-Modellen stand auch im Raum, dass der Untergrund im Detektor nicht komplett modelliert war und mehr natürliche Radioaktivität vorhanden war als angenommen. Das hat sich jetzt als korrekt herausgestellt. In den neuen Daten sieht das XENON-Experiment keinen Exzess an Interaktionen mit Elektronen mehr.

Heißt das, dass die Suche nach Dunkler Materie mit "XENONnT" gescheitert ist?

Reindl: Nein, die ersten "XENONnT"-Daten haben nur Interaktionen mit Elektronen betroffen. Interessanter sind die Daten für Interaktionen mit den Xenon-Kernen. Diese werden in den kommenden Monaten auch veröffentlicht und werden neue Erkenntnisse bringen.

Falls auch in den Kerninteraktionen kein Signal entdeckt wird - wie geht es weiter?

Reindl: Dann müssen die Physiker*innen des XENON-Teams länger messen oder auf das noch größere Experiment "Darwin" warten, das die Menge an Xenon und damit die Sensibilität des Detektors nochmals deutlich erhöhen wird. Dafür werden aber größere Baumaßnahmen notwendig sein. XENONnT arbeitet derzeit mit 8,5 Tonnen Xenon und hat einen rund fünf Mal niedrigeren Untergrund für Wechselwirkungen mit den Elektronen als XENON1T. Geplant ist, bis 2026 Daten mit XENONnT zu sammeln.

Die große Herausforderung bei der Suche nach Dunkler Materie ist, dass wir fast nichts über sie wissen."

Das heißt, wir müssen einfach immer größere Detektoren bauen, bis wir ein Signal finden?

Reindl: Die große Herausforderung bei der Suche nach Dunkler Materie ist, dass wir fast nichts über sie wissen. Im Massenbereich von etlichen zehn Gigaelektronenvolt ist Xenon ein sehr effizienter Detektor. Aber wir kennen auch die Stärke der Wechselwirkung nicht, wissen also nicht, wie selten eine Interaktion mit einem Xenon-Atom überhaupt passiert. Derzeit sind Xenondetektoren sicher eine der besten Techniken für die Suche nach Dunkler Materie. Wir können die Anlagen noch einige Jahre vergrößern, um seltenere Ereignisse zu finden, aber jahrzehntelang wird das nicht mehr gehen. Irgendwann ist Schluss. Es gibt zum Glück aber auch andere interessante Methoden für die Suche nach Dunkler Materie. Für die Messung von Kernrückstößen von möglichen leichten Teilchen der Dunklen Materie sind zum Beispiel Festkörperdetektoren mit Tieftemperaturtechnik führend.

An der Grenze zu den Neutrinos

Die Grenze ist der Aufwand für die Schaffung der unterirdischen Detektoren?

Reindl: Nicht nur das. Irgendwann werden die Detektoren so empfindlich, dass sie die sehr seltene Streuung von Neutrinos an Xenonkernen erkennen. Neutrinos kann man nicht abschirmen, das macht das Herausfiltern von möglichen Dunkle-Materie-Ereignissen dann viel komplizierter.

Was würde die Entdeckung eines Dunkle-Materie-Signals bedeuten?

Reindl: Wir hätten dann eine Masse und die Kopplungsstärke, das würde die Zahl der passenden Modelle schon sehr einschränken. Wenn wir ein klares Signal finden, würden wir zuerst versuchen, Bestätigung von anderen Xenon-Experimenten - zum Beispiel in den USA - zu bekommen. Und wir würden mit weiteren Detektoren aus anderen Materialien messen, zum Beispiel aus Argon, um weitere Daten über das Verhalten der neuen Teilchen zu sammeln. Durch zusätzliche Daten könnten wir unsere Modelle der Dunken Materie zunehmend verfeinern und etwa klären, ob es nur ein Teilchen im Dunklen Sektor gibt oder mehrere.

 

Auf einen Blick

Forscher*innen des Instituts für Hochenergiephysik der ÖAW arbeiten im italienischen Gran Sasso unter anderem an der Suche nach der Dunklen Materie.