25.08.2020 | Geschichte der Impfung

„Impfgegner führten damals religiöse Motive an“

Bei einem Blick in die Geschichte ist es schwer zu glauben, dass Impfungen noch immer umstritten sind. Ohne Impfungen würde die Menschheit noch heute an Pocken oder Masern leiden. Und auch die Coronapandemie wird sich wohl nur mit einem sicheren Impfstoff nachhaltig bekämpfen lassen. ÖAW-Historikerin Daniela Angetter unternimmt im Interview eine Zeitreise zur Erfindung der Impfung und den Impfdebatten von anno dazumal.

Historische Karikatur zu Impfgegnern, die befürchteten, durch die Pockenimpfung zu Kühen zu werden (James Gillray, 1802). © Wikimedia
Historische Karikatur zu Impfgegnern, die befürchteten, durch die Pockenimpfung zu Kühen zu werden (James Gillray, 1802). © Wikimedia

Ein Staatsoberhaupt, das seinem Kind einen kaum getesteten Impfstoff verabreicht, Impfgegner/innen, die gegen eine befürchtete Zwangsimmunisierung auf die Barrikaden gehen - was für gegenwärtige Ohren vertraut klingt, ist tatsächlich keine geschichtliche Neuheit. Bereits Maria Theresia ließ ihre jüngsten Kinder impfen, bevor es zu einer Massenimpfung kam. Und Impfgegner/innen am Ende des 19. Jahrhunderts beriefen sich darauf, dass der Mensch nicht in Gottes Schöpfung eingreifen dürfe.

Das Hauptproblem bei Impfungen - damals wie heute - ist jedoch ein anderes: „Die Menschen wurden schnell zu Impfmuffeln, sobald eine Krankheit zurückging und somit aus dem Bewusstsein der Bevölkerung verschwunden ist“, erklärt die Medizinhistorikerin Daniela Angetter vom Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) im Gespräch.

Weltweit wird intensiv nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus gesucht. Geimpft wird schon seit mehr als 220 Jahren. Wie kam es dazu?

Daniela Angetter: Formen von Impfungen gibt es schon bei den Chinesen seit rund 200 vor Christus. Auch in Indien hat man schon vor rund 2.000 Jahren versucht, gegen Pocken eine Immunisierung durchzuführen. Etwa indem man die Pusteln bei an Pocken Erkrankten aufgestochen und das Sekret herausgenommen hat, danach bei gesunden Menschen die Haut aufgeritzt hat und diese Flüssigkeit in die Wunde hinein fliessen ließ. Man hat sich dadurch erhofft, dass die bis dahin gesunden Menschen eine leichte Form der Erkrankung durchmachen und so gegen Pocken immun werden.

Formen von Impfungen gibt es schon bei den Chinesen seit rund 200 vor Christus.

Die erste Impfung, die überhaupt aufgekommen ist, war die Pocken-Impfung?

Angetter: Ja, der englische Landarzt Edward Jenner hat eine neue Impfstoff-Methode erfunden. Er hat erkannt, dass Knechte und Mägde, die sich bei Kühen einen Ausschlag mit Bläschen geholt haben, immunisiert waren. Aus den Kuhpocken hat er dann ein Serum entwickelt, das er 1796 einem Buben geimpft und ihn damit immunisiert hat. Diese Methode nannte er Vakzination, abgeleitet vom lateinischen Wort „vacca“ für Kuh. Die Pocken sind auch die bisher einzige Krankheit, die durch eine Impfung ausgerottet werden konnte. 1980 gab die WHO bekannt, dass es keine Pockenkranken mehr gibt. Bis jetzt.

Die Suche nach einer Impfung ist 2020 zu einem Politikum geworden: Russland hat laut Präsident Wladimir Putin den weltweit ersten Corona-Impfstoff zugelassen, allerdings ohne ausreichende Tests. Seine Tochter sei aber bereits geimpft worden, sagte Putin. Gibt es für so etwas auch historische Beispiele?

Angetter: Wie so oft hat in Österreich Maria Theresia eine wichtige Rolle gespielt. Sie war selbst 1767 an Pocken erkrankt und hat drei ihrer Kinder durch die Pockenerkrankung verloren. Als sie von der Hautritz-Methode hörte, ließ Maria Theresia ihre jüngsten Kinder impfen. Dazu hat sie auf Anraten von einem ihrer Leibärzte, nämlich Gerard van Swieten, den holländischen Arzt Jan Ingen-Housz nach Wien geholt, der ihre Kinder impfte. Bereits zuvor, 1768, haben in Wien Ärzte begonnen, Kinder in einem Waisenhaus in Sankt Marx zu impfen. Am Rennweg hat Maria Theresia dann ein Inokulations-Haus errichten lassen, zu dem die Bevölkerung kommen und sich gratis mit dieser Hautritz-Methode inokulieren lassen konnte.

Pocken ist die bisher einzige Krankheit, die durch eine Impfung ausgerottet werden konnte.

Gab es dann auch Massenimpfaktionen?

Angetter: Die erste große Impfaktion in Österreich hat es am 10. Dezember 1800 gegeben. Damals wütete in Wien eine Pocken-Epidemie mit 3.300 nachweislich Erkrankten. Zwei Ärzte, Pascal Joseph von Ferro und Jean de Carro, haben begonnen diese Massenimpfaktionen durchzuführen, um eine möglichst breite Immunisierung in der Bevölkerung zu bewirken.

In Österreich sind die Impfbefürworter laut einer aktuellen Umfrage deutlich in der Überzahl. Wie hoch war damals die Impfbereitschaft?

Angetter: Grundsätzlich war die Impfbereitschaft schon hoch. Das Problem war aber, dass die Menschen schnell zu Impfmuffeln wurden, sobald eine Krankheit zurückging und somit aus dem Bewusstsein der Bevölkerung verschwunden ist. Bleiben wir beim historischen Beispiel der Pocken: Die Massenimpfung im Dezember 1800 hat einiges bewirkt. In Wien hat es daraufhin vier Jahre keine Pockenfälle gegeben und dann in den Jahren darauf sind nur rund fünf Kinder gestorben, also ein minimaler Prozentsatz. Die Massenimpfung war also einerseits sehr erfolgreich. Andererseits ließen sich die Leute daraufhin nicht weiter impfen – und damit kam die Krankheit wieder auf. Das kennen wir aus der heutigen Zeit, etwa mit Masern. Lange Zeit hat es in Österreich kaum Masernfälle gegeben. Dann ließ das Interesse nach, sich impfen zu lassen und die Fälle häufen sich wieder.

Lange Zeit hat es in Österreich kaum Masernfälle gegeben. Dann ließ das Interesse nach, sich impfen zu lassen und die Fälle häufen sich wieder.

Gab es schon damals eine Debatte um Impfzwang oder Impfpflicht?

Angetter: Es gab gewisse Regulative und Kriterien, bei denen man die Bevölkerung um Mithilfe bat. Das waren zum Beispiel Hebammen, die Schwangere aufklären sollten, dass eine Impfung günstig wäre. Viele Impfkritiker und Impfgegner führten damals auch religiöse Motive an. Etwa, dass eine Impfung als künstlicher Eingriff in den menschlichen Körper nicht von Gott gewollt sei. Da hat man sich die Pfarrer zur Hilfe geholt. Sie sollten von der Kanzel predigen, wie wichtig das Impfen ist. Teilweise waren sie auch bei Impfaktion dabei, um ein größeres Vertrauensverhältnis aufzubauen zwischen Bevölkerung und Ärzten.

Wer die meisten Menschen geimpft hatte, bekam 200 Gulden und die Namen der Ärzte wurden in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Zudem hat man den Eltern bei der Taufe Briefe mitgegeben, um sie aufzuklären, wie wichtig das Impfen ist. Ebenso wurde eingeführt, dass ein Kind, wenn es in die Schule geht, geimpft sein muss. Alle Zöglinge in Waisenhäusern mussten geimpft sein. Wenn man ein Stipendium wollte, musste man ebenfalls geimpft werden. Und: Man hat eine Geldstrafe verhängt, wenn das Kind nicht geimpft wurde. 1812 gab es dann auch die Vorschrift, dass alle, die zum Militär kamen, geimpft werden mussten. 1886 hat Kronprinz Rudolf zusätzlich per Verordnung eine Impfpflicht für Grundwehrdiener eingeführt.

Das Impfen hatte also auch militärische Relevanz?

Angetter: Man hatte Angst, dass sich in der Armee, wo die Soldaten sehr eng zusammenleben, schnell Epidemien ausbreiten. Eine Schwächung der Kampfkraft der Truppe hätte natürlich Auswirkungen auf die nationale Sicherheit. Seitens des Herrscherhauses und der Regierung hat man also stark darauf geachtet, die Gesundheit der Truppe und damit auch die Kampfkraft zu erhalten.

Konnten sich Impfgegner freikaufen?

Angetter: Das ging natürlich nur, wenn man entsprechend Geld hatte. Es wurden auch die Ärzte angehalten, krasse Impfgegner zu melden. Besonders impffreudige Ärzte bekamen zudem eine finanzielle Belohnung. Wer die meisten Menschen geimpft hatte, bekam 200 Gulden und die Namen der Ärzte wurden in der Wiener Zeitung veröffentlicht.

Das Coronavirus ist also historisch betrachtet gar nicht so einzigartig?

Angetter: Nein, die Maßnahmen, die zur Eindämmung des Coronavirus gesetzt wurden, hat es alle schon gegeben. Diesen Stillstand, wie wir ihn im Lockdown kennengelernt haben, hat es natürlich auch damals gegeben. Als die Kinderlähmung in Österreich in den 1950er-Jahren so stark grassierte, hat man beispielsweise Freibäder geschlossen. 

 

AUF EINEN BLICK

Daniela Angetter ist Historikerin und Literaturwissenschaftlerin. Sie ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) tätig. Zudem ist sie Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Geschichte der Medizin der Kommission für Geschichte und Philosophie der Wissenschaften der ÖAW.