30.07.2021 | Rechtsfall

Wer für Schäden haftet, die selbstfahrende Autos verursachen

Wer zahlt, wenn es kracht? Bisher war das in den meisten Fällen klar. Durch zunehmende Automatisierung, wie etwa selbstfahrende Autos, werden Rechtssysteme aber mit neuen Fragen konfrontiert. Der ÖAW-Rechtswissenschaftler Julian Pehm sagt, dass viele Antworten dennoch bereits verfügbar sind, auch wenn die Ausgangslage in Europa unterschiedlich ist.

Europäische Rechtssysteme stellen sich gerade auf neue Haftungsfragen ein, die durch Automatisierung entstehen, etwa bei Unfällen von selbstfahrenden Autos. © Unsplash/Clark Van der Beken

Wenn Maschinen vielseitiger werden und damit eine steigende Zahl von Aufgaben erledigen können, wächst das Potenzial für Unfälle, die durch Fehler der Software oder der Hardware verursacht werden. Für Rechtssysteme ergeben sich dadurch neue Fragen, zum Beispiel, wenn ein Unfall durch den Fehler eines selbstfahrenden Autos verursacht wird. Dabei geht es nicht bloß darum, wer für Schäden letztlich einstehen muss.

„Die Haftungsregeln sind Teil eines gewachsenen Systems, das auch in andere Rechtsbereiche, etwa das Versicherungsrecht, hineinreicht und das vielfältige Aufgaben erfüllt. Neben Schadensausgleich und -prävention zählen dazu auch wirksamer Opferschutz und eine möglichst effiziente Abwicklung der Schäden. Verändern sich die Rahmenbedingungen, lohnt es deshalb immer zu prüfen, ob die Systeme den rechtlichen und sozialen Anforderungen auch in Zukunft gerecht werden können”, sagt Julian Pehm vom Institut für Europäisches Schadenersatzrecht der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), der sich unter anderem mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf das Haftpflichtrecht beschäftigt.

Verschiedene Haftungskonzepte

Im Straßenverkehr, wo besonders viele Unfälle passieren und viele Haftungsfragen beantwortet werden müssen, haben sich in den meisten Ländern eigene Systeme der Verkehrshaftung etabliert. „In Europa gibt es im Bereich der Verkehrshaftung im Großen und Ganzen zwei Zugänge: Systeme, die ausschließlich oder überwiegend auf eine Form der Verschuldenshaftung setzen, und Mischsysteme, die neben der Verschuldenshaftung auch die Möglichkeit einer Gefährdungshaftung vorsehen”, sagt Pehm.

Länder wie Österreich und Deutschland zählen zu den Mischsystemen. Sie setzen damit auf die Idee, dass die Nutznießer/innen bestimmter risikobehafteter Aktivitäten oder Technologien, also im Fall des Straßenverkehrs die Fahrzeughalter, für verursachte Schäden haften.

Länder mit angelsächsischer Rechtstradition wie Großbritannien setzen dagegen ausschließlich auf die Verschuldenshaftung. Verkehrsopfer müssen dort ein persönliches Fehlverhalten, zum Beispiel eines Verkehrsteilnehmers, aufzeigen, um Schadenersatz zu erhalten.

Trend der Automatisierung

In der Praxis fallen die Unterschiede wenig ins Gewicht. Die allermeisten Verkehrsunfälle lassen sich heute auf das Fehlverhalten eines Verkehrsteilnehmers zurückführen. Auch in Ländern, die im Bereich des Verkehrs ausschließlich auf eine Verschuldenshaftung setzen, gibt es somit in den meisten Fällen einen Haftpflichtigen. Unabhängig vom System der Verkehrshaftung können sich Geschädigte in der EU wie auch in Großbritannien direkt an die gesetzlich vorgeschriebene Versicherung des Haftpflichtigen wenden, was die Abwicklung stark vereinfacht.

Die technische Entwicklung lässt einzelnen Verkehrsteilnehmer/innen allerdings immer weniger Möglichkeiten zum Eingreifen. Autopiloten bieten schon heute ein streckenweise automatisiertes Fahrerlebnis. Künftige Autos könnten völlig ohne Steuermöglichkeit auskommen. „Der Trend zur Automatisierung wird letztlich zu einer verminderten Bedeutung der Verschuldenshaftung führen“, sagt Pehm.

Gerade für Länder, die im Bereich des Verkehrs bisher ausschließlich auf diese Haftungsform setzen, besteht aus diesem Grund Handlungsbedarf. Zwar kommt auch eine Haftung des Herstellers für Fehler des Fahrzeugs oder seiner Komponenten in Betracht. Für einzelne Geschädigte stellt ein entsprechender Nachweis allerdings eine große Hürde dar.

Anpassungsbedarf

„Großbritannien hat diese Entwicklung frühzeitig erkannt und den Versicherungsschutz auf alle Unfälle ausgedehnt, die sich beim automatisierten Betrieb von Fahrzeugen ereignen. Die Versicherung fungiert damit, ähnlich wie schon bisher in Mischsystemen, als Vermittler und übernimmt die Haftung, bis die Frage der endgültigen Schadenstragung auf Basis der Verschuldenshaftung oder der Produkthaftung geklärt werden kann“, sagt Pehm.

So wird sichergestellt, dass Geschädigte rasch Kompensation erhalten, ohne dass sie zuerst den Hersteller klagen müssen. Im Vergleich zur individuellen Rechtsdurchsetzung verspricht diese Lösung auch Effizienzgewinne. „Als professionelle Akteure mit Tausenden an Schadensfällen jedes Jahr verfügen Versicherungen über weitaus effizientere Möglichkeiten der Schadensregulierung“, erklärt Pehm.

In Ländern wie Österreich und Deutschland, die schon bisher auf eine umfassende Gefährdungshaftung gesetzt haben, ist eine solche Anpassung nicht erforderlich. Da die Gefährdungshaftung unabhängig von menschlichem Fehlverhalten auch bei technischen Mängeln schlagend wird, würde die Versicherung schon heute auch bei Unfällen selbstfahrender Autos einspringen. „Aus der Perspektive des Haftungsrechts sind diese Länder gut gerüstet. Lediglich in einzelnen Bereichen, etwa bei der Haftung des Infrastrukturbetreibers oder bei Fällen, in denen es um Sabotage beziehungsweise Hacking geht, wären Anpassungen anzudenken“, sagt Pehm.

Echte Haftungslücken bestehen dagegen in Ländern wie Griechenland, den Niederlanden, Polen oder Spanien. Die dortigen Mischsysteme verfügen zwar über eine Gefährdungshaftung. Diese weist derzeit allerdings beträchtliche Einschränkungen auf. „Um Geschädigten wirksamen Schutz zu bieten, sollte über eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Gefährdungshaftung nachgedacht werden“, sagt Pehm. Eine Alternative wäre auch das britische Modell, bei dem bloß der Versicherungsumfang erweitert wird. „Beide Modelle ermöglichen eine sachgerechte und gleichzeitig effiziente Verteilung der Haftungsrisiken und könnten auch über den Bereich des Verkehrs hinaus Vorbildwirkung für den Umgang mit automatisierten Technologien entfalten“, ist ÖAW-Jurist Pehm überzeugt.