23.07.2021 | (Un-)Leistbares Wohnen

"Den Familien geht die Luft zuerst aus"

Wohnen wird gerade in Ballungsräumen immer teurer. Das wird manche gesellschaftlichen Gruppen eher treffen als andere. ÖAW-Stadt- und Regionalforscher Robert Musil erklärt die Hintergründe für diese Entwicklung - und schildert, warum die Finanzkrise von 2008 weiterhin eine entscheidende Rolle spielt, die Folgen von Corona aber derzeit noch gar nicht abschätzbar sind.

Wohnungen in Ballungsräumen wie Wien werden immer teurer. © Pixabay
Wohnungen in Ballungsräumen wie Wien werden immer teurer. © Pixabay

Die Preise für Wohnungen klettern in Österreich vor allem in Städten seit Jahren in die Höhe. Das werde sich vorerst auch durch die Corona-Krise nicht ändern, erklärt der Geograph Robert Musil vom Institut für Stadt- und Regionalforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) im Interview. Längerfristig sind die Entwicklungen aus heutiger Sicht kaum vorhersehbar. Denn die Leistbarkeit von Wohnen beeinflussen eine Reihe von Faktoren - darunter sogar Folgen der Finanzkrise von 2008, die bis in die Gegenwart wirken.

Vor Ausbruch der Pandemie sind die Wohnkosten vor allem in Ballungsräumen wie Wien stark gestiegen. Welchen Einfluss hat die Corona-Krise?

Robert Musil: Das kann man heute noch nicht sagen. Immobilienmärkte sind sehr träge und reagieren immer zeitverzögert. Deshalb lässt sich die weitere Entwicklung nur schwer abschätzen. Ein möglicher Drang ins Grüne, raus aus den Städten, kann zum Beispiel schnell vorbei sein, wenn sich die Corona-Situation wieder entspannt. Corona ist derzeit noch eine Blackbox, niemand weiß, wie sich die Pandemie im Detail auswirken wird.

Sie haben 2019 in einem Interview gemeint, dass Immobilien in Wien und anderen Städten damals bereits überbewertet waren. Wie hat sich die Situation seither entwickelt?

Musil: Die Preise sind weiter gestiegen. Vor allem im Eigentumssektor gab es nochmals deutliche Preissteigerungen. Die Treiber sind zwei Gruppen. Einerseits Privathaushalte, die ihr Erspartes wegen der niedrigen Zinsen in Wohnungen stecken und andererseits institutionelle Anleger, die ganze Wohnhäuser oder Wohnungspakete kaufen. Beide sind für die Nachfrage wichtig.

Im internationalen Vergleich steht Wien dank seines geförderten Wohnbaus noch recht gut da."

Ist Wohnen in Wien noch leistbar?

Musil: Im internationalen Vergleich steht Wien dank seines geförderten Wohnbaus noch recht gut da. In Berlin zum Beispiel wurden große öffentliche Wohnungsbestände an Hedgefonds verkauft. Jetzt, bei steigenden Preisen, wird in der deutschen Hauptstadt um Mietdeckel gestritten. Die Situation dort ist um einiges angespannter als in Wien.

Wann gab es die letzte Korrektur?

Musil: Das ist in Wien schon lange her. Hier hat der Wohnungsmarkt von der Nachkriegszeit bis in die 80er-Jahre stagniert. In den 90er-Jahren gab es dann leichte Preissteigerungen, vor allem durch Ostöffnung und EU-Beitritt. Auch in den frühen 2000er-Jahren ging es moderat weiter. Erst in den vergangenen Jahren sind die Preise dann stark gestiegen.

Warum ist Wohnen in der Stadt zuletzt so teuer geworden?

Musil: Der Hauptgrund sind die hohen Bodenpreise, weil der Platz eben begrenzt ist. Der starke Zuzug nach Wien verschärft die Situation. Zudem steigen auch die Baukosten seit Jahren, die Firmen arbeiten mehr oder weniger an ihren Kapazitätsgrenzen. Das führt dazu, dass privat vor allem im oberen Preissegment gebaut wird, weil die Bauträger sich dort mehr Gewinn erwarten.

Welche Rolle spielen die niedrigen Zinsen?

Musil: Am Ende ist diese Entwicklung ein Kollateralschaden der Politik der Europäischen Zentralbank in den Jahren nach der Wirtschaftskrise 2008. Weil die Zinsen im Euro-Raum und darüber hinaus so niedrig sind, lassen sich einerseits Immobilieninvestments leicht finanzieren, andererseits sind andere Anlageformen, vor allem die Staatsanleihen, nicht mehr attraktiv. Die EZB hatte in Folge der Krise 2008/09 richtig reagiert, aber das hat eben auch unangenehme Konsequenzen.

Corona hat vor allem Branchen getroffen, in denen wirtschaftlich schwächer gestellte Personen arbeiten."

Sehen Sie durch Corona die Gefahr einer Immobilienkrise?

Musil: Die Gefahr für Verwerfungen besteht, aber Corona hat vor allem Branchen getroffen, in denen wirtschaftlich schwächer gestellte Personen arbeiten, etwa den Handel und die Gastronomie. Die Betroffenen haben meist kein Eigentum. Die Mittelschicht hingegen  ist bisher gut durch die Krise gekommen, daher sind wohl keine großflächigen Kreditausfälle zu erwarten. Deshalb ist das Finanzsystem anders als 2008 in Spanien und den USA derzeit nicht gefährdet, auch wenn die ÖNB (Österreichische Nationalbank, Anm.) das vermutlich kritischer sieht.

Wer kommt unter Druck, wenn die Preise weiter steigen?

Musil: Den Familien geht die Luft wohl zuerst aus. Es gibt bereits eine leicht steigende Tendenz im Mietsegment, im Eigentumsbereich nehmen die Mehrfachbesitzer zu. Diese Entwicklungen könnten ein erstes Anzeichen dafür sein, dass die Familien nicht mehr im selben Ausmaß kaufen können. Aber gerade in Wien wird auch gefördert gebaut, das darf man nicht vergessen. Über 40 Prozent der Bevölkerung wohnen dort in geförderten Wohnungen, das nimmt sehr viel Druck aus dem Immobilienmarkt. Der Neubauboom in der Hauptstadt beginnt zudem langsam auszulaufen. Das könnte der Anfang einer sanften Korrektur sein. Das hängt aber auch von der Nachfrage internationaler Investoren ab, die komplett von lokalen Nachfrage-Faktoren entkoppelt ist.

Zeichnet sich Entspannung ab?

Musil: Zumindest dieses Jahr wird die Leistbarkeit ein Problem bleiben. Die weitere Entwicklung wird auch davon abhängen, ob die öffentliche Hand genug günstigen Wohnraum schaffen kann. Solange der private Sektor baut wie wild, wird das nicht im großen Stil passieren. Auch die öffentlichen Finanzen müssten natürlich mitspielen. Der Zuzug in die Städte wird jedenfalls weitergehen, hier ist auch durch Corona keine Entspannung in Sicht.

Gibt es Leerstand durch Spekulation?

Musil: Durch Vermieten oder Verkauf ist derzeit viel zu verdienen. Ich sehe deshalb derzeit kein strukturelles Problem, außer vielleicht im Luxus-Segment. Dort gibt es aber keine belastbaren Daten, weil die Projektentwickler kaum Angaben dazu machen, ob Wohnungen leer bleiben.

In welchen Regionen steigen die Preise am schnellsten?

Musil: In den größeren Städten geht die Entwicklung in dieselbe Richtung wie in Wien. Im Westen Österreichs ist das Problem größer, weil durch den Tourismus zusätzlicher Preisdruck entsteht. In strukturschwächeren Regionen wie dem nördlichen Waldviertel sinken die Preise aber sogar. Dass es dort in der Coronakrise zu einem Kaufboom kommt, glaube ich derzeit nicht. Das können wir uns dann in einem Jahr genauer anschauen.

 

Auf einen Blick

Robert Musil studierte Geographie und Geschichte an den Universitäten Wien und Innsbruck. 2015 habilitierte er sich im Fach Humangeographie an der Universität Wien. Er ist interimistischer Direktor des Instituts für Stadt- und Regionalforschung der ÖAW und leitet die Arbeitsgruppe „Innovation und Urbane Ökonomie“.