26.11.2018

Was nach der Flucht kommt

Wie sehen Geflüchtete ihr Leben in Österreich? Dazu erstellt ÖAW-Sozialanthropologin Sabine Bauer-Amin derzeit eine neue Studie. Eine ihrer Erkenntnisse: Die Mehrzahl der Geflüchteten wünscht sich mehr Kontakte zu den Österreichern.

© Shutterstock

„Es fielen Bomben, wo meine Frau arbeitete, wo ich studierte und wo meine Tochter in den Kindergarten ging“, erinnert sich Salaheddin Farho an das Jahr 2015 in Damaskus. Er war einer von tausenden Menschen, die damals dem Krieg in Syrien zu entkommen versuchten und nach Europa flüchteten. Heute lebt er mit seiner Frau und seiner Tochter in Österreich und führt hier sein Jus-Studium fort.

Sabine Bauer vom Institut für Sozialanthropologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) hat mit rund 100 Geflüchteten, die wie Salaheddin Farho aus Syrien kamen, aber auch aus dem Irak und Afghanistan, Interviews geführt. Sie wollte für das Forschungsprojekt „Loslassen, Durchstehen, Ankommen“, das vom Innovationsfonds der ÖAW gefördert wird, wissen, welche Erfahrungen diese Menschen in Österreich gemacht und welche Erwartungen sie an das Leben in ihrer neuen Heimat haben. Am 29. November präsentierte sie erste Ergebnisse ihrer Studie gemeinsam mit Salaheddin Farho bei einer Diskussion im Wien Museum.

Frau Bauer-Amin, Sie wollen mit Ihrer Studie erheben, wie Geflüchtete ihre Situation in Österreich sehen. Welche Erkenntnisse konnten Sie bisher gewinnen? 

Sabine Bauer-Amin: Wir haben narrative Interviews mit fast 100 Geflüchteten und 16 Expert/innen durchgeführt. Es ist zwar noch zu früh für Endergebnisse, dennoch gibt es bereits ein paar Themen, die sich herauskristallisiert haben. Zum Beispiel hat sich gezeigt, dass Geflüchtete sich oft mehr Kontakt zu Österreichern und Österreicherinnen wünschen. Kontakte bestehen demnach zumeist in Beratungssituationen oder im Rahmen von Flüchtlingsprojekten. Was aber fehlt, sind engere persönliche Bindungen außerhalb der „Flüchtlingsrolle“.

 

Kontakte zu Österreichern bestehen zumeist in Beratungssituationen oder im Rahmen von Flüchtlingsprojekten. Was aber fehlt, sind engere persönliche Bindungen außerhalb der „Flüchtlingsrolle“.

 

Etwa wurde oft gesagt, dass man gerne die Nachbarn zum Kaffee oder Tee einladen und mehr Kontakt mit ihnen pflegen würde. Auffallend war auch, dass es viele ältere Geflüchtete – und „älter“ kann dabei schon ab Mitte 50 bedeuten – oft nur noch ganz wenige Möglichkeiten sehen, soziale Kontakte aufzubauen oder die Sprache zu erlernen. Hier gibt es einen Nachholbedarf.

Wie gehen Sie bei Ihren Forschungen vor?

Bauer-Amin: Wir sind ein Forschungsteam von sieben Personen vom Institut für Stadt- und Regionalforschung der ÖAW, vom Institut für Sozialanthropologie der ÖAW sowie vom Institut für Kultur-und Sozialanthropologie der Universität Wien. Wir haben leitfadenbasierte offene muttersprachliche Interviews mit Geflüchteten aus Afghanistan, dem Irak und Syrien, sowie mit Expertinnen und Experten aus der Praxis durchgeführt. Diese basieren auf den Themenfeldern Arbeit, Wohnen, Bildung, Gesundheit, soziale Beziehungen und Repräsentation. Da die Interviews qualitativ und narrativ waren, gab es die Möglichkeit für die Interviewten den Akzent selbst auf ein Thema zu legen oder auch neue Punkte anzusprechen. Im Anschluss wurden die Interviews übersetzt und mit denen der anderen Forscher/innen verglichen sowie entsprechend ausgewertet.

Herr Farho, Sie mussten selbst aus Syrien flüchten. Wie beurteilen Sie ihre Situation heute?

Salaheddin Farho: Wenn ich meine Situation heute in Österreich mit damals in Syrien vergleiche, ist sofort klar, dass sich mein Leben enorm verbessert hat. In Syrien war es gefährlich und belastend. Meine Tochter geht jetzt in aller Ruhe in die Schule, meine Frau lernt Deutsch und ich durfte mein Jus-Studium wiederaufnehmen. Natürlich ist der Alltag oft sehr anstrengend, da wir uns in fast allen Situationen neu orientieren müssen. Es gibt immer Raum für Verbesserung, auch bei uns selbst.

 

Das Erlernen der neuen Sprache, das Zurechtfinden in der neuen Umgebung, der (Wieder-)Aufbau eines neuen sozialen Netzes, das Einfinden in neuen sozialen Rollen. Man spricht hier allgemein von Postmigrationsstress.

 

Sich neu Orientieren zu müssen - war das auch Thema in den Interviews für die Studie? Wie ist das „Ankommen“ in einem anderen Land für Geflüchtete?

Bauer-Amin: Für Personen, die in eine ungewohnte Umgebung ziehen - ganz gleich ob freiwillig oder unfreiwillig - kommen oft viele Stressfaktoren zusammen: das Erlernen der neuen Sprache, das Zurechtfinden in der neuen Umgebung, der (Wieder-)Aufbau eines neuen sozialen Netzes, das Einfinden in neuen sozialen Rollen, und vieles mehr. Man spricht hier allgemein von Postmigrationsstress. Tendenziell ist es für Personen, die vor der Flucht einen hohen sozialen Status gehabt haben oder auch für ältere Personen oft schwieriger, mit der neuen Situation und dem Statusverlust zurecht zu kommen. Für junge Menschen, die hier eine Ausbildung machen oder ein Studium absolvieren, ist es oft etwas leichter sich mit der Situation anzufreunden.

Was waren ihre Gründe zu flüchten, Herr Farho? Und wie sehen Sie heute ihre Zukunft?

Farho: Damaskus wurde 2015 furchtbar bombardiert von allen Parteien und allen Seiten. Meine Familie und ich konnten dort unter diesen Umständen nicht mehr leben. Es fielen Bomben, wo meine Frau arbeitete, wo ich studierte und wo meine Tochter in den Kindergarten ging. Die Angst, die meine Familie und ich fast täglich hatten, zwang uns zu der Entscheidung, den Weg der Flucht nehmen zu müssen. Was meine Zukunft angeht, habe ich derzeit ein klares Ziel: mein Studium zu absolvieren und parallel dazu bzw. danach eine entsprechende Arbeit zu finden. Viel weiter kann ich nicht planen, aufgrund meines Status als Asylberechtigter und meiner wirtschaftlichen Situation.

 

Damaskus wurde 2015 furchtbar bombardiert. Die Angst, die meine Familie und ich fast täglich hatten, zwang uns zur Flucht.

 

Bauer-Amin: Fluchtmotive standen zwar nicht im Fokus unserer Forschung, wurden aber bei unseren Interviews oft genannt. Zumeist spielen viele verschiedene Faktoren zusammen, wie der Zusammenbruch sozialer Netzwerke, Gewalterfahrungen, das Versagen der medizinischen Versorgung, mangelnde Perspektiven auf eine Verbesserung der Lage etc. Selten gibt es nur ein Motiv dafür, sein Zuhause zu verlassen.

Als 2015 die ersten Geflüchteten nach Österreich kamen, trafen sie auf eine von Hilfsbereitschaft geprägte „Willkommenskultur“. Heute scheint eher eine „Nicht-Willkommenskultur“ vorzuherrschen. Wie wirkt sich das auf geflüchtete Menschen aus?

Farho: Man konnte im Jahr 2015 die Willkommenskultur stark spüren. Man hat gesehen, dass sowohl die Stadt als auch private Personen viele Geflüchtete aufgenommen und ihnen Unterkünfte und Ernährung geboten haben, wie es auch bei mir der Fall war. All meine österreichischen Freunde und Bekannten stammen fast nur aus den Jahren 2015 und 2016. Seitdem haben sich leider viele Österreicher/innen von Geflüchteten distanziert. Das bestätigt leider das Gefühl bei manchen Geflüchteten, dass sie unerbeten und unerwünscht sind. Folglich ziehen sie sich vielleicht zurück und erleben ihre Integration als gescheitert.

 

Spricht man mit Personen aus der Praxis, dann wird klar, dass Österreich bereits in den 1990er-Jahren große logistische Aufgaben in der Unterbringung von wesentlich mehr Geflüchteten in kürzester Zeit geleistet hat.

 

Es ist ja nicht das erste Mal in der Geschichte, dass zahlreiche Geflüchtete nach Österreich kommen. Was unterscheidet eigentlich die Fluchtbewegung von 2015 von früheren, wie jener aus Bosnien in den 1990er-Jahren?

Bauer-Amin: Tatsächlich ist das Thema „Flucht“ kein Novum für Österreich. Fluchtbewegungen passieren aber nicht in einem Vakuum. Der politische Kontext war in den 90er-Jahren ein anderer und man konnte auf eine geteilte Geschichte zurückblicken, die mit diversen emotionalen Bezüge zu den Geflüchteten aus Bosnien verbunden war. Die Fluchtbewegung des Jahres 2015 ereignete sich vor dem Hintergrund erstarkender rechter Populismen in Europa, einer Debatte um Parallelgesellschaften, wachsender Islamophobie und bereits aktiver rechtsorientierter Bewegungen in Österreich. Spricht man aber mit Personen aus der Praxis, dann wird klar, dass Österreich bereits in den 90er-Jahren große logistische Aufgaben in der Unterbringung von wesentlich mehr Geflüchteten in kürzester Zeit geleistet hat. Vieles an praktischem Wissen, das man damals gelernt hat, konnte dann 2015 wieder angewendet werden.

 

Sabine Bauer-Amin promovierte in Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien und der American University in Kairo, u.a. unterstützt durch ein DOC-Stipendium der ÖAW. Derzeit ist sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialanthropologie der ÖAW. Salaheddin Farho musste 2015 aus dem Bürgerkriegsland Syrien flüchten und lebt heute in Wien, wo er sein Jus-Studium weiterführt. 

„Loslassen, Durchstehen, Ankommen“ lautet der Titel eines Forschungsprojekts zur Situation Geflüchteter in Österreich, das von mehreren Instituten der ÖAW gemeinsam mit der Universität Wien durchgeführt wird und noch bis Februar 2019 läuft. Es wird gefördert vom Innovationsfonds der ÖAW.

Bei der Veranstaltung „Die Lange Dauer der Flucht“ am 29. November im Wien Museum am Karlsplatz stellte Sabine Bauer-Amin erste Ergebnisse der Studie vor und diskutierte darüber mit Salaheddin Farhound der Journalistin Sibylle Hamann.

Institut für Sozialanthropologie der ÖAW