01.04.2021 | Neuer Bildband

Götterdämmerung: Deckenmalerei an Europas Höfen

Fürsten, die sich als Jupiter oder Apollo auf Deckengemälden inszenierten, die einen Blick in den Himmel suggerierten: ÖAW-Kunsthistoriker Herbert Karner hat eine reich bebilderte Publikation zur Deckenmalerei um 1700 an europäischen Höfen und Residenzen mitherausgegeben. Der Prachtband macht deutlich, warum Herrscher das Medium des Deckenfreskos so gern zur Selbstdarstellung gewählt haben.

Das Treppenhaus der Universität Breslau mit seinen Deckenfresken von Felix Anton Scheffler (1701–1760)
Das Treppenhaus der Universität Breslau mit seinen Deckenfresken von Felix Anton Scheffler (1701–1760). © Martin Mádl, Tschechische Akademie der Wissenschaften

Oft ist es auf den ersten Blick gar nicht möglich zu unterscheiden, ob eine Kuppel echt oder nur gemalt ist, erzählt Herbert Karner vom Institut für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraumes der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Der Kunsthistoriker ist Mitherausgeber der kürzlich im Hirmer Verlag erschienenen Publikation „Deckenmalerei um 1700 in Europa. Höfe und Residenzen“. Quadratura nennt man diese Art der scheinarchitektonischen Malerei, welche die Illusion erzeugt, dass ein Raum größer und vor allem höher sei, als er tatsächlich ist. Nicht nur in Kirchen, sondern auch in großen Repräsentationssälen in Schlössern zeigt der Blick nach oben oft eine Decke, die sich scheinbar in den Himmel öffnet. Personen scheinen schwerelos wie Götter über dem Saal zu schweben. Augentäuschung oder Trompe-l'œil wird dieser Trick genannt, der Dreidimensionalität an die Wände und Decken zaubern sollte.

Herrschaftslegitimierung mithilfe von Herkules

Die jeweiligen Landesherren ließen sich und ihre Dynastien in spektakulären Inszenierungen an den Decken und Wänden ihrer Festsäle, Audienzzimmer und Prunktreppen verherrlichen. Beliebt war die Gestalt des antiken Kriegsherren Herkules, der als halb Mensch, halb Gott beschrieben wurde. Oder Apollo, der den Künsten zugeneigt war. „Man fand eine Analogie für die eigene Existenz in der antiken Götterwelt, auch, um sich selbst zu überhöhen und so seine Herrschaft zu legitimieren“, erklärt Karner: „Deckenmalerei war ein ideales Medium, seine Macht darzustellen, sie dem Besucher zu kommunizieren und damit zu festigen.“

Mythologie wurde dabei als Requisitenkammer begriffen, aus der man beliebig schöpfen konnte. Adeligen war es deshalb möglich, sich mit Apollo oder Herkules, ihren Gattinnen hingegen, sich mit Diana oder Venus gleichsetzen zu lassen. Nur die Verkörperung des Göttervaters Zeus blieb im Regelfall dem Kaiser vorbehalten.

Von Italien nach ganz Europa

Um 1700 fand ein weitreichender politischer, sozialer und kultureller Wandel statt, der auch von einem europaweiten Transfer von Herrschafts- und Repräsentationspraktiken geprägt war. Auf einer internationalen Kunsthistoriker/innen-Tagung 2018 in Hannover Herrenhausen, die vom „Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutschland“ und der Kunstgeschichte an der ÖAW veranstaltet wurde, stellte sich deshalb die Frage, ob diese Deckenmalerei an den europäischen Höfen denn über eine gemeinsame Sprache verfügte, die über die Landesgrenzen hinaus verständlich war?

So spielt die Konfession in der Malerei erstaunlicherweise keine Rolle. Die Darstellungen in protestantischen Residenzen unterscheiden sich in ikonographischer wie kompositorischer Hinsicht wenig von katholischen Konzepten. „Uns hat das auch überrascht“, sagt Karner: „Protestantische Kunst hat fälschlicherweise den Ruf, bildreduziert und mehr auf das Wort konzentriert zu sein. Aber bei den Deckenfresken gibt es europaweit eine Internationalität, die als Leitbild für den Hochadel galt. So griffen Herrscher beider christlicher Glaubensrichtungen auf die illusionistische Darstellung und das Repertoire antiker Götterdarstellungen zurück.“

Italien war für diese raffinierte Art der Malerei sozusagen das Mutterland, beschreibt es Karner, berühmte, aber auch weniger bekannte italienische Künstler reisten über die Alpen, um Aufträge von Warschau bis London, von Wien bis Stockholm auszuführen. Man kopierte Italien, versuchte bisweilen aber auch, sich abzusetzen. Die französischen Bourbonen etwa wollten sich von der italienischen Vorherrschaft emanzipieren und eigene Maßstäbe setzen – natürlich auch, um politische Überlegenheit auszudrücken. „Es ging darum, von der Größe der Kunst auf die Größe des Auftraggebers zu schließen“, erklärt Karner.

Demütige Habsburger

Bislang hatten die einzelnen Länder weitgehend im Alleingang ihre Deckenmalereien erforscht, mittlerweile entstand ein europaweites Netzwerk, das Zusammenarbeit forciert und Vergleiche erlaubt. Am Anfang standen mitteleuropäische Kunsthistorker/innen, die sich in einem Gründungsakt 2005 an der ÖAW in Wien zusammenschlossen, um die gemeinsame Kultur der Deckenmalerei zu erforschen (Research Group for Baroque Ceiling Painting in Central Europe). Mittlerweile setzt auch das an der Bayrischen Akademie der Wissenschaften in München angesiedelte „Corpus zur barocken Deckenmalerei in Deutschland“ wichtige Akzente im internationalen Wissensaustausch.

Große regionale Unterschiede lassen sich – wie der hier vorgestellte Band deutlich macht – etwa in der Darstellung der Habsburger-Herrscher erkennen. Während der spanische Familienzweig mit hochwertigen Deckenfresken eine Verherrlichung der Dynastie betrieb, waren die deutschsprachigen Habsburger bescheidener. „Man findet in der höfischen Kunst bis in das frühe 18. Jahrhundert kaum Überhöhungen von Mitgliedern des österreichischen Herrscherhauses. Sie stellten nicht ihre Macht, sondern die Tugend der Demut und Religiosität ins Zentrum“, so Karner. 

 

 

AUF EINEN BLICK

„Deckenmalerei um 1700 in Europa. Höfe und Residenzen“ beleuchtet anhand von prachtvollen Bildern, wie nahezu alle wichtigen Dynastien Europas diese Malerei als wichtiges Instrument der Selbstdarstellung nutzten. Der Band wurde herausgegeben von Stephan Hoppe, Herbert Karner und Heiko Laß und ist im Münchner Hirmer Verlag erschienen (376 Seiten, 299 Abbildungen in Farbe).