18.07.2019 | Weltwunder der Antike

Ephesos: Neues rund um den Tempel der Artemis

Der Artemis-Tempel in Ephesos ist eines der sieben Weltwunder der Antike. Ein interdisziplinäres Forschungsteam der ÖAW-Archäologin Lilli Zabrana untersucht nun das bisher noch wenig erforschte Areal rund um den Tempel.

Überreste des Artemistempels in Ephesos an der Südwestküste der Türkei © ÖAW/Niki Gail

Eines ist in Ephesos gewiss: Es gibt es immer wieder Neues zu entdecken. Und das vielleicht nicht obwohl, sondern weil seit Ende des 19. Jahrhunderts hier archäologische Ausgrabungen stattfinden. Denn bekanntlich führt jeder Fund zu Antworten – und zu neuen Fragen. Das gilt auch für den Tempel der Artemis in Ephesos, einst der gleichnamigen olympischen Gottheit gewidmet. Entdeckt wurde der Tempel bereits um 1870 vom Engländer John Turtle Wood. Offene Fragen gibt es zu diesem Weltwunder der Antike aber noch immer.

 „Seit seiner Wiederentdeckung beschäftigt man sich stark mit dem Tempel, nicht aber mit den Funktionen des gesamten heiligen Bezirks, die über zahlreiche Inschriften überliefert sind“, sagt Lilli Zabrana vom Österreichischen Archäologischen Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Sie erforscht das Areal im Rahmen ihres Zukunftskollegs „Temenos und Territorium. Wirtschaftsmacht und soziale Bedeutung des Artemisions von Ephesos im Römischen Reich“.

Die Zukunftskollegs wurden vom Wissenschaftsfonds FWF gemeinsam mit der ÖAW entwickelt und ermöglichen Nachwuchswissenschaftler/inne seit diesem Jahr, in kreativen Teams fachübergreifend zusammenzuarbeiten. Wie das im Falle der Weltkulturerbestätte Ephesos aussieht und was sie in ihrer Forschung Neues zum Tempelbezirk herausfinden will, verrät Lilli Zabrana im Gespräch.

Frau Zabrana, Sie stellen nicht den Artemis-Tempel sondern sein Umfeld in der Mittelpunkt Ihrer Forschung…

Lilli Zabrana: Genau. Die bisherige Forschung hat sich sehr stark auf den Tempel selbst konzentriert.  Oft außer Acht gelassen wurde aber, dass das Heiligtum in römischer Zeit einen stadtähnlichen Charakter hatte. Die traditionelle Auseinandersetzung von antiken Stätten religiöser Praxis lag also meist auf den Tempeln und weniger auf dem sie umgebenden „heiligen“ Bezirk. Wir wollen auch die Umgebung des Tempels genauer unter die Lupe nehmen.

Was ist das Besondere am Tempelbezirk?

Zabrana: Die heilige Stätte muss man sich wie ein Open Air Museum zu Ehren von Artemis vorstellen, in dem zahlreiche Kunstwerke ausgestellt wurden. Sie war aufgebaut wie eine Stadt mit eigener Verwaltung, Ländereien, ausgedehnten Grundbesitzungen im ganzen Tal mit Marmorsteinbrüchen sowie einem eigenen Asyl. Anerkannte Geflüchtete wurden nahe dem Tempel in einem abgeschlossenen Bereich untergebracht, der entsprechende Behausungen und Wasserversorgung gehabt haben muss.

Die heilige Stätte muss man sich wie ein Open Air Museum zu Ehren von Artemis vorstellen.

Die wohl bekannteste Bewohnerin des Asyls ist die Schwester Kleopatras, Arsinoë IV. Nach schriftlicher Überlieferung hat sie etwa fünf Jahre dort gelebt. Das Heiligtum war darüber hinaus eine Wirtschaftsmacht, die durch ihre Betriebe, Viehzucht und Ländereien Einkünfte lukriert hat. So wurden auch Darlehen und Kredite an in- und ausländische Städte und Königshäuser vergeben und deren Reichtümer hier hinterlegt. Das Heiligtum war schließlich auch für seine Sicherheit bekannt, weil in den unzähligen Kriegen der heilige Bezirk respektiert und nicht angegriffen wurde.

Was konnten Sie in Ihren bisherigen Forschungen Neues zutage fördern?

Zabrana: Im Zuge meiner Doktorarbeit konnten wir bereits ein erstes wichtiges Gebäude in diesem Bereich identifizieren: das Odeion. Es ist rund 175 Meter vom Tempel entfernt und war für die bisherige Forschung eher uninteressant. Durch unsere Ausgrabungen zwischen 2009 und 2012 konnten wir die Funktion des Gebäudes klären. Zu Ehren der Artemis wurden im Odeion musische Wettkämpfe abgehalten. Auch athletische Wettkämpfe sind überliefert, ähnlich wie bei den Olympischen Spielen zu Ehren des Gottes Zeus in Griechenland.

Die Schwester Kleopatras, Arsinoë IV, hat nach schriftlicher Überlieferung fünf Jahre hier gelebt.

 

Die gute Erhaltung des Odeions und die zahlreichen Informationen zu anderen Gebäuden um den Tempel gaben uns Anlass, die gesamte Infrastruktur dieser heiligen Stätte genauer anzusehen, um die Struktur und die Nutzung des Areals architektonisch, geografisch, historisch und soziokulturell besser verstehen zu können.

Welche Fragen sind denn noch offen?  

Zabrana: Mit dem Odeon gab es den ersten Vorstoß in die römische Zeit. Hier soll das statische Bild, dass nur der Tempel existiert hat, erweitert werden. Zudem gibt es viele Inschriften, die der archäologischen Evidenz noch nicht gegenübergestellt wurden. Das heißt: Wir wissen viel über diese heilige Stadt, haben sie archäologisch aber noch nicht erforscht.

Außerdem ist auch der Bau der Johannesbasilika in unmittelbarer Nähe des Tempels in der byzantinischen Zeit interessant, weil hier viel Baumaterial vom Tempelbezirk verwendet wurde. Hier möchten wir uns noch stärker den Transformationsprozessen widmen: Wie hat der Übergang funktioniert, als der Kult aufgegeben wurde, was ist dann mit all diesen Gebäuden passiert und in welchen Besitz sind diese rein rechtlich übergegangen?  

Darüber hinaus möchten wir herausfinden, ob das Baumaterial der heiligen Stätte nur bestimmten Neubauten vorbehalten war und ab wann jeder Zugriff darauf hatte. Was wir bereits wissen, ist, dass im Areal des Heiligtums im Mittelalter ein Handwerksviertel war.

Das Heiligtum war auch eine Wirtschaftsmacht, die durch ihre Betriebe, Viehzucht und Ländereien Einkünfte lukriert hat.

 

Das Odeion beispielsweise wurde im 14. und 15. Jahrhundert auf erhöhtem Niveau erneut genutzt. Hier haben wir sehr viel Fundmaterial aus der Zeit des Mittelalters gefunden. Diesen Übergang vom heiligen Bezirk zur Spätantike bis hin zum Mittelalter, möchten wir uns genauer ansehen.

Sie verknüpfen architektonische, archäologische, historische und geographische Daten miteinander. Wie muss man sich die interdisziplinäre Zusammenarbeit dahinter vorstellen?

Zabrana: Ich beschäftige mich mit der Archäologie und Bauforschung und arbeite eng mit dem British Museum zusammen, da dort noch Material von den Wood’schen Ausgrabungen liegt.

Unsere Philologin Vera Hofmann vom Institut für Kulturgeschichte der Antike der ÖAW beschäftigt sich mit den Inschriften, die einen wesentlichen Pfeiler unserer Forschung darstellen. Sie versucht, bekannte Inschriften anhand neuer Fragestellungen zusammenzutragen und so neue Erkenntnisse zum Artemision zu bekommen.  

Verena Fugger, am Österreichischen Archäologischen Institut der ÖAW, ist spezialisiert auf frühchristliche Archäologie und beschäftigt sich mit dem Übergang und dem kulturellen Bruch nach Aufgabe der Kultstätte und Aufblühen der neuen christlichen Pilgerstätte mit der Errichtung der Johannesbasilika in unmittelbarer Nähe zum heidnischen Kultplatz der Artemis.

Die Ergebnisse des Projekts sollen vor Ort auch an die über zwei Millionen Tourist/innen weitergegeben werden, die das Artemision in Ephesos, eine der UNESCO-Weltkulturerbestätten, jährlich besuchen.

 

Und Geoarchäologe Pedro LourençoGoncalves, ebenfalls am Österreichischen Archäolgischen Institut der ÖAW, beschäftigt sich mit der Erstellung von  Geländemodellen der untersuchten Zeitperioden. Hier machen wir punktuell Bohrungen und sehen uns an, seit wann und wie schnell der heilige Bezirk von Sedimenten überlagert wurde. Diese Ergebnisse werden dann den bereits dokumentierten archäologischen Befunden gegenübergestellt und davon ergänzt

Warum ist es eigentlich wichtig, diese Veränderungen des antiken Heiligtums wissenschaftlich nachzuvollziehen?

Zabrana: Es geht darum, die Transformationsprozesse, Kontinuitäten und Brüche religiöser Praxis aufzuzeigen. Das ist nicht nur für die spezifische Ephesos-Forschung wichtig, sondern auch für internationale Forschungen zu allgemeinen religionshistorischen Entwicklungen. Auch sollen die Ergebnisse des Projekts vor Ort an die über zwei Millionen Tourist/innen weitergegeben werden, die das Artemision in Ephesos, eine der UNESCO-Weltkulturerbestätten, jährlich besuchen.

 

AUF EINEN BLICK

Lilli Zabrana ist Archäologin am Österreichischen Archäologischen Institut der ÖAW. Sie ist Absolventin der Universität Wien (Klassische Archäologie, Ur- und Frühgeschichte und Kunstgeschichte) und promovierte 2014 an der TU Berlin (Architektur, Institut für Baugeschichte). Seit 2019 kann Zabrana im Rahmen eines Zukunftskollegs tiefgehende interdisziplinäre Forschungen in Ephesos durchführen.

In den Zukunftskollegs, einem Programm des FWF, das gemeinsam mit der ÖAW entwickelt wurde, arbeiten Nachwuchstalente (Postdocs) in interdisziplinären Teams zusammen. Die Zukunftskollegs werden für eine Periode von maximal vier Jahren mit durchschnittlich 1,9 Millionen Euro pro Team aus Mitteln der Nationalstiftung für Forschung, Technologie und Entwicklung und des FWF gefördert. 2019 konnten die ersten sieben Zukunftskollegs – zwei davon angesiedelt an der ÖAW – starten.

Mehr über die Zukunftskollegs

Österreichisches Archäologisches Institut der ÖAW

Institut für Kulturgeschichte der Antike der ÖAW