16.04.2020 | Epidemie im Alten Rom

Archäologie der Seuche

Fieber, Rachenentzündung, Hautausschlag - die sogenannte Antoninische Pest wütete rund 20 Jahre lang im gesamten Römischen Reich. ÖAW-Archäologe Stefan Groh hat anhand eines antiken Krankenhauses untersucht, wie die damaligen Menschen mit der Pandemie umgegangen sind.

Büste des Marc Aurel (121-180), nach dem die Antoninische Pest benannt ist. © Wikimedia

„Das Spannende ist, wir haben ursprünglich gar nicht zur Seuche geforscht“, sagt Stefan Groh vomÖsterreichischen Archäologischen Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Der Archäologe untersuchte von 2015 bis 2018 ein römisches Militärlager, das 170 n. Chr. im Zuge des Konflikts mit den germanischen Nachbarn errichtet worden war. Dort stießen die Wissenschaftler/innen auf Spuren rätselhafter Baumaßnahmen. Die wahrscheinliche Erklärung dafür: Die sogenannte Antoninische Pest. Eine Seuche, von der rund 60 Millionen Menschen betroffen waren und die 20 Jahre andauerte. Im Interview erzählt Groh, wie Bau und Pest zusammenhängen und was die Archäologie über die damalige Bekämpfung und die Folgen der Epidemie verraten kann.

Die Antoninische Pest ist eine der ältesten historisch überlieferten Epidemien. Was ist damals passiert?

Stefan Groh: Wahrscheinlich war diese Seuche eine Pocken-Epidemie, die ihren Ursprung im heutigen türkisch-syrischen Grenzgebiet hatte. Aufgrund der hohen Mobilität der römischen Soldaten wurde die Krankheit über den See- und Landweg nach Westen eingeschleppt, wo sie sich rasant verbreitete. Man geht heute davon aus, dass Italien und ca. ein Drittel der römischen Provinzen, also etwa 60 Millionen Menschen, betroffen waren. Die Epidemie begann 165 n. Chr. und dauerte insgesamt 20 Jahre. Das war zu dieser Zeit eine ganze Generation! Eine Generation, die ihr Leben lang mit einer Krankheit zu kämpfen hatte, die nicht therapierbar war und der zwischen 12 und 22 Prozent der Bevölkerung zum Opfer fielen. Es hat vermutlich rund 60 Jahre gedauert, bis die Bevölkerungszahlen wieder den Stand von vor der Epidemie erreichten.

Eine Generation hatte ihr Leben lang mit einer Krankheit zu kämpfen, die nicht therapierbar war und der zwischen 12 und 22 Prozent der Bevölkerung zum Opfer fielen.

Welche Rolle spielte zu dieser Zeit das von Ihnen untersuchte Militärlager?

Groh: Mitten im Wahnsinn dieser Seuche musste Kaiser Markus Aurelius einen Feldzug gegen die aus dem Norden einfallenden Germanen führen. Um Italien gegen die Eindringlinge zu schützen, errichtete er an der Bernsteinstraße, einer der damals wichtigsten Nord-Süd-Verbindungen, dieses Militärlager. Der bei Ločica im heutigen Slowenien gelegene Gebäudekomplex diente als militärischer Stützpunkt an einem neuralgischen Verkehrsknotenpunkt, den man auf dem Weg nach Italien nicht umgehen konnte. Dieses Legionslager haben wir geophysikalisch untersucht.

Was haben Sie dabei entdeckt?

Groh: Wir haben herausgefunden, dass das Lager nie fertiggestellt wurde. Vermutlich musste man die dort stationierten Truppen dann sehr plötzlich an die Donau verlegen, um von dort den Gegenschlag gegen die Germanen zu organisieren. Das Kommandozentrum und die Baracken für die Soldaten wurden also nie bezogen und gar nicht erst fertiggestellt. Sehr wohl fertig gebaut hat man allerdings einen außergewöhnlich großen Getreidespeicher und das Krankenhaus. Es wurde als Erstes errichtet und auch benutzt. Interessanterweise ist dieses Krankenhaus außerdem viel größer als gewöhnliche Lagerspitäler. Normalerweise benötigte ein Lager für 6.000 Soldaten 150 bis 160 Krankenbetten gleichzeitig. Hier aber war Platz für 500 Leute. Wie lange das Krankenhaus in Betrieb war, wissen wir nicht, vielleicht ein paar Monate oder auch ein Jahr. Danach wurde es jedenfalls bewußt abgebrannt.  

Mitten im Wahnsinn dieser Seuche musste Kaiser Markus Aurelius einen Feldzug gegen die aus dem Norden einfallenden Germanen führen.

Welche möglichen Erklärungen gibt es für diese Befunde?

Groh: Das Spannende für uns Archäologen ist, wir sehen hier erstmals, in welcher Reihenfolge man in dieser Krisensituation Gebäude errichtet hat und welche davon auch fertiggestellt wurden. Aber warum baute man 170 n. Chr. in einem Legionslager ein so großes Spital an diesem wichtigen Verkehrsknotenpunkt? Möglicherweise diente es dazu, neu rekrutierte Soldaten vor Dienstantritt unter Quarantäne zu stellen, um eine Ausbreitung der Seuche zu verhindern. Oder das Lager könnte ein Kontrollpunkt gewesen sein, um Soldaten auf dem Weg nach Italien auf Krankheitserscheinungen zu untersuchen.

Die Folgen der Corona-Pandemie sind derzeit nicht absehbar. Welche Auswirkungen hatte die Antoninische Pest für die Menschen von damals?

Groh: Neben dem menschlichen Leid hatte die Seuche auch sehr starke wirtschaftliche Auswirkungen. Die enormen Kosten, aber auch der Verlust an Arbeitskraft und Know-how führten zu einem nachhaltigen wirtschaftlichen Niedergang. Wenn eine solche Krise, wie damals 20 Jahre andauert, dann ist das nicht so schnell durch Steuererhöhungen und Lenkungsmaßnahmen des Kaiserhauses reparierbar. Vor allem im Hinblick auf die derzeit dramatisch steigenden Arbeitslosenzahlen sehe ich besorgniserregende Analogien zu heute.

 

 

AUF EINEN BLICK

Stefan Groh studierte Klassische Archäologie und Alte Geschichte an der Universität Graz. Von 1989 bis 1995 führte er wissenschaftliche Forschungen am Landesmuseum Joanneum in Graz durch, zwischen 1993 und 1995 war er Grabungsleiter in Flavia Solva. Seit 1996 ist Groh wissenschaftlicher Mitarbeiter des Österreichischen Archäologischen Instituts der ÖAW, seit 2009 dessen stellvertretender Direktor.