26.03.2020 | Seuchengeschichte

„Wenn nötig, mit Quarantäne-Bestimmungen“

Social Distancing, Abschottung und Quarantäne. Die gegen das Coronavirus ergriffenen Maßnahmen sind rigoros. Aber ist all das wirklich notwendig? Ja, sagt ÖAW-Historikerin Daniela Angetter. Im Interview erzählt sie, wie Quarantäne seit Jahrhunderten im Kampf gegen Seuchen eingesetzt wird. Und was wir daraus lernen können.

© Wikimedia Commons. Chevalier Roze à la Tourette zeigt die Auswirkungen der Pestepidemie in Marseilles im Jahr 1720.

Weite Teile Österreichs stehen unter Quarantäne. Soziale Isolation und Gesundheitskontrollen sind plötzlich Alltag. Der Kampf gegen COVID-19 stellt unser Leben auf den Kopf. Allerdings sind weder epidemische Krankheiten noch die rigiden Maßnahmen zu deren Eindämmung tatsächlich etwas gänzlich Neues. Pest, Cholera, Fleckfieber, Gelbfieber oder Pocken – immer wieder wüteten verheerende Infektionskrankheiten auch in Europa. Daniela Angetter, Historikerin am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) hat zu historischen Quarantäne- und Präventionsmaßnahmen bei Seuchen geforscht. Die Vermeidung von engem persönlichem Kontakt ist essenziell, sagt sie: „Wenn nötig, eben mit Quarantäne-Bestimmungen.“ Manche Maßnahme von damals mutet heute allerdings ziemlich grausam an. 

Seit Jahrhunderten versucht man der Ausbreitung von Seuchen Herr zu werden. Seit wann setzt man dabei auf Quarantäne?

Daniela Angetter: Quarantäne gibt es seit dem 14. Jahrhundert in verstärkter Form, vor allem weil damals die Pest sehr stark aufgetreten ist. Reisende und Kaufleute mussten beispielsweise außerhalb der Städte einige Zeit in Lazaretten verbringen. Erst wenn man sicher sein konnte, dass sie nicht an der Pest erkrankt waren, durften sie einreisen. Aber auch Schiffe wurden präventiv unter Quarantäne gestellt. In Marseille zum Beispiel durften Besatzung und Handelsleute ihre Schiffe erst verlassen, wenn sicher war, dass sie keine Krankheiten aufwiesen. Erkrankten Personen auf den Schiffen oder in den Lazaretten, wurden die Patient/innen sofort isoliert. Sie kamen in sogenannte Seuchenhäuser, um sie von anderen Kranken oder pflegebedürftigen Personen zu trennen. 

Erkrankten Personen auf Schiffen oder in Lazaretten, wurden die Patient/innen sofort isoliert. Sie kamen in sogenannte Seuchenhäuser, um sie von anderen Kranken oder pflegebedürftigen Personen zu trennen.

Grenzen sind zurzeit geschlossen oder nur nach Gesundheitskontrollen passierbar. Gibt es auch dafür historische Beispiele?

Angetter: Im 16. und 17. Jahrhundert war die Militärgrenze des Habsburgerreiches einer der wichtigsten Faktoren, um das Einschleppen von Krankheiten aus dem Osmanischen Reich zu verhindern. Die Habsburger hatten damals große Angst vor Infektionskrankheiten aus dem Osten, zugleich bestanden aber auch rege Handelsbeziehungen zwischen den beiden Reichen. Im 18. Jahrhundert wurde dann sogar ein ständiger Seuchenkordon entlang der österreichisch-türkischen Grenze errichtet. Überall dort, wo es keine natürlichen Barrieren gab, hat man Zäune aufgestellt oder tiefe Gräben geschlagen, um den potentiell infektiösen, „feindlichen Eindringlingen“ entgegen zu wirken. Passiert werden durfte die Grenze ausschließlich an speziellen Sanitäts- bzw. Quarantänestationen.

Münzen reinigte man durch Eintauchen in Essig. Handelsgüter wurden, wenn möglich, gewaschen oder ausgeräuchert. Für Wolllieferungen gab es spezielle Reinigungsdiener, die diese Wollen angreifen und durchwühlen mussten.

Was erwartete die Reisenden an diesen Stationen?

Angetter: Sie mussten sich einer gründlichen Reinigung, einer eingehenden medizinischen Untersuchung und einer Quarantäne unterziehen. Meist waren das etwa drei Wochen, in Epidemiezeiten konnte die Quarantäne auf bis zu 40 Tage ausgeweitet werden. Diese Gesundheitskontrollen galten aber auch für Tiere und sogar für Waren. Münzen reinigte man durch Eintauchen in Essig. Handelsgüter wurden, wenn möglich, gewaschen oder ausgeräuchert. Für Wolllieferungen gab es spezielle Reinigungsdiener, die diese Wollen angreifen und durchwühlen mussten. Dann hat man abgewartet, ob dieser Diener krank wurde. War er drei Wochen später noch gesund, konnte die Lieferung die Grenze passieren. Wenn er erkrankte, wurde die Lieferung unverzüglich verbrannt. Erst wenn man absolut sicher sein konnte, dass weder von Personen, Tieren oder Waren Gefahr ausging, wurde ein Gesundheitszeugnis ausgestellt. Damit durfte die Grenze dann überschritten werden.

Heute gibt es Verwaltungsstrafen, welche Strafen standen damals auf Verstöße gegen diese Vorschriften?

Angetter: Man ist da sehr rigoros vorgegangen. Ab 1776 unterstand dieser Seuchenkordon dem Militär, das heißt, die Missachtung jeglicher Quarantänevorschriften wurde mit der Todesstrafe geahndet. Wer versucht hat, illegal über die Grenze zu kommen, wurde erschossen. Immer wieder gab es auch Versuche Gesundheitszeugnisse zu fälschen, das wurde ebenfalls strengstens geahndet.

Die Missachtung jeglicher Quarantänevorschriften wurde in der Habsburgermonarchie mit der Todesstrafe geahndet.

Waren derartige Quarantäne- und Kontrollmaßnahmen erfolgreich?

Angetter: Ja, sie waren durchaus von Erfolg gezeichnet. Man hat immer wieder in der Geschichte erkannt, dass massive Quarantänevorschriften etwas bewirken. Die Vermeidung von engem persönlichem Kontakt ist die einzige Chance, die massive Ansteckung von einer Person zur nächsten zu minimieren. Das ist etwas ganz Wesentliches, das wir aus der Geschichte lernen können.

 

AUF EINEN BLICK

Daniela Angetter ist Historikerin und Literaturwissenschaftlerin. Sie ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der ÖAW tätig. Zudem ist sie Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Geschichte der Medizin der Kommission für Geschichte und Philosophie der Wissenschaften der ÖAW.