13.05.2019

Arthur Schnitzlers tausende Briefe

Ob literarische Texte, das Radfahren oder unliebsame Gerüchte – Arthur Schnitzlers Briefe erhellen die österreichische Literatur- und Theaterszene um 1900. ÖAW-Forscher Martin Anton Müller ediert nun den umfassenden Briefwechsel des berühmten Schriftstellers und macht diesen online zugänglich.

„Lieber Schnitzler, ich habe mir die Geschichte mit dem Bicycle doch anders überlegt – lieber nicht. Der Gedanke, da umständlich zu lernen und mich mit einem fremden Instrument zu peinigen, macht mich nur nervöse.“ Das schreibt Hermann Bahr im April 1894 an Arthur Schnitzler, der nur wenig später auch einen Brief von Richard Beer-Hofmann erhält: „Lieber Arthur! Bitte holen Sie mich nicht zum Bicycle ab. Nicht nur Bahr auch ich schaudere davor zurück.“

Das ist lediglich ein winziger – und durchaus witziger – Ausschnitt aus der umfassenden Korrespondenz dieser drei bedeutenden österreichischen Schriftsteller und einer, den Martin Anton Müller besonders schätzt. Der Germanist arbeitet am Austrian Centre for Digital Humanities der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) an einem ambitionierten, dreijährigen Projekt: Er wird die Briefwechsel von Arthur Schnitzler (15. Mai 1862–21. Oktober 1931) edieren und im Web zugänglich machen.


Das ausführliche Gespräch mit Martin Anton Müller ist im ÖAW-Podcast MAKRO MIKRO nachzuhören:
 

Mechanismen des Netzwerkens

Viele der Briefe liegen Müller als Kopien oder als Mikrofilm vor, die im Zuge des Projektes bereits digitalisiert wurden. „Gleichzeitig suche ich weltweit nach neuen Briefen“, erklärt der ÖAW-Wissenschaftler. Die Briefe zusammenzusammeln und die Rechte zu bekommen ist aber nur der erste Teil seiner Arbeit als Herausgeber. Dann schreibt er, gemeinsam mit seinem Kollegen Gerd-Hermann Susen, der von Berlin aus an dem Projekt arbeitet, die Briefe ab, damit sie als Volltext verfügbar werden. „Die Handschrift von Schnitzler ist notorisch schwer lesbar“, erzählt Müller – nach und nach gewöhne man sich aber daran und das Entziffern wird leichter.

Die Handschrift von Schnitzler ist notorisch schwer lesbar.

Anders als bei früheren Editionen, wird die Ausgabe der Schnitzler-Briefe, an der Martin Anton Müller arbeitet keinen umfassenden Kommentar beinhalten. Sie wird aber andere Stärken aufweisen, und die liegen vor allem in der Spurensuche. Anspielungen auf noch nicht-identifizierte Orte, Personen oder Texte, wird akribisch nachgegangen. Das ist auch der Grund, weshalb zum Beispiel dieser kurze Briefwechsel, der das Bemühen Schnitzlers bezeugt, seine Kollegen zum Fahrradfahren zu motivieren, aussagekräftig ist. Zwar werden hier nicht sonderlich relevante Inhalte diskutiert, aber die Mechanismen des Netzwerkens werden deutlich; wie die Briefe zirkulieren, wer wen liest und weiterinformiert.

Digitale Spurensuche nach literarischen Werken

Besonders interessant wird diese Spurensuche natürlich, wenn damit Rückschlüsse auf das literarische Werk von Schnitzler und seinen Zeitgenossen gezogen werden können. Als Beispiel nennt Müller ein unidentifiziertes Werk, das Hugo von Hofmannsthal an Schnitzler ohne Autorenangabe schickte, um nach seiner Meinung zu fragen. Es ist mit „Der letzte Tanz“ betitelt. „Ich hatte gestern den Text innerhalb von 15 Minuten identifiziert, mit Hilfe der Zeitungsdatenbank ANNO der Österreichischen Nationalbibliothek. Er kam zwei Jahre später als Fortsetzungsroman in einer Zeitung heraus“, erzählt Müller. Das seien spannende Verschiebungen zwischen alten Editionen, die ihren Wert im ausführlichen Kommentar hätten und neuen Editionen, die durch digitale Volltextsuche zahlreiche Verbindungen aufzeigen könnten, die vorher unklar waren.

Es gibt keine wirklich glaubwürdigen Schätzungen, wie viele Briefe Schnitzler geschrieben hat.

„Ich versuche diese Briefedition auch so zu gestalten, dass sie in andere Briefkorpora eingebettet werden kann“, sagt Müller. Viele Zusammenhänge zwischen den Briefen, den literarischen Werken, aber auch den Tagebuchaufzeichnungen und den Notizen der Autor/innen sowie dem damaligen Tagesgeschehen können mit den digitalen Möglichkeiten erstmals aufgedeckt und dargestellt werden.

Tausende Briefe im Nachlass

Eine der Herausforderungen dabei ist die Quantität. „Es gibt keine wirklich glaubwürdigen Schätzungen, wie viele Briefe Schnitzler geschrieben hat“, sagt Müller. „Es gibt sicherlich zehntausend Briefe in seinem Nachlass, wenn wir davon ausgehen, dass jeder einen Gegenbrief hervorgerufen hat, dann hätten wir es mit einem Umfang von zwanzigtausend Briefen zu tun.“

In Cambridge, wo auch der literarische Nachlass Schnitzlers liegt, finden sich jene Briefe, die Schnitzler und seine Nachlassverwalter grundsätzlich zur Publikation vorgesehen hatten. „Von A wie Robert Adam bis Z wie Stefan Zweig“, sind sie nach Namen der Korrespondent/innen in 120 Mappen geschichtet. Sie bilden den Fokus des Editionsprojekts an der ÖAW. „Unser Ziel ist es, möglichst viele davon zu schaffen und möglichst komplette Briefwechsel zu edieren, also auch die Gegenbriefe einzubeziehen“, erklärt Müller.

Fördernder Schnitzler, wütender Schnitzler

Der Germanist hat bereits in früheren Projekten über österreichische Literatur um 1900 gearbeitet. Es ist aber weniger die Bedeutung der einzelnen Autoren oder die Inhalte der Briefe, sondern besagte Spurensuche, die ihn an dem Projekt reizt. „Ich mag besonders, wenn sich die Sachen verbinden – und das passiert gerade dauernd.“ Neben der Fahrrad-Episode nennt Müller die Korrespondenz zwischen Schnitzler und dem erfolglosen Autor Robert Adam als ein interessantes Beispiel dafür, wie der Briefwechsel ein neues Licht auf das literarische Schaffen dieses Autorenkreises wirft. „Hier zeigt sich Schnitzler, wie wir ihn vorher nicht kannten, als erfahrener Ratgeber.“ Schnitzler habe gerne Texte von jungen Autoren kommentiert und ihnen zu Publikationsmöglichkeiten verholfen.

Das gelte auch für Albert Ehrenstein, dessen Briefwechsel mit Arthur Schnitzler eine weitere wenig bekannte Seite des Schriftsellers hervorkehrt: den wütenden Schnitzler. Wie man in den Briefen, die Martin Anton Müller derzeit bearbeitet, nachlesen kann, streitet Schnitzler mit Ehrenstein im Februar 1911, weil dieser ihn in die Gerüchteküche hineinzieht, die rund Karl Kraus und die Fackel-Autor/innen kocht.

Unser Ziel ist es, möglichst komplette Briefwechsel zu edieren, also auch die Gegenbriefe einzubeziehen.

„Es geht um den Vorwurf an den Theatermacher Stefan Großmann, er suche seine Schauspielerinnen im Bett aus.“ Schnitzler will sich von der Suche nach Skandalen und Schmutzwäsche, die hier gern betrieben wird, klar abgrenzen. Er bricht mit Albert Ehrenstein. „In sein Tagebuch“, zitiert Martin Anton Müller aus dem Gedächtnis, „schreibt er an diesem Tag so etwas wie: Es ist immer ein Fehler fremde Leute zur Tür hereinzulassen, vor allem sollte man keine Literaten über die Schwelle lassen.“


 

Martin Anton Müller ist Germanist und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Austrian Centre for Digital Humanities der ÖAW. Sein Projekt einer Online-Edition des Briefwechsels Arthur Schnitzlers mit Autorinnen und Autoren läuft noch bis zum Jahr 2021. Die Forschungsarbeit kann auch über Twitter verfolgt werden unter dem Hashtag #WienerSchnitzler.
 

Austrian Centre for Digital Humanities der ÖAW

Infos zum Projekt