04.01.2023 | Umverteilung

Wohin Sozialausgaben in Europa fließen

Während in nordeuropäischen Ländern staatliche Umverteilung zwischen Haushalten gering ist und zur Absicherung einkommensschwacher Gruppen dient, ist sie im Süden Europas von hohen Pensionszahlungen an Besserverdienende geprägt. Zu diesem Ergebnis kommt eine europaweite Studie mit Beteiligung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Die staatliche Umverteilung erfolgt in den Ländern Europas sehr unterschiedlich. © AdobeStock

Ein großer Teil der in einem Land erwirtschafteten Einkommen wird durch Steuern und Sozialleistungen zwischen Generationen und Einkommensgruppen umverteilt. Aber wie groß ist die Umverteilung in den einzelnen Ländern tatsächlich? Und gibt es einen Zusammenhang zwischen der Umverteilung zwischen Generationen und der Unterstützung einkommensschwacher Gruppen?

Mikrodaten von 28 Ländern in Europa analysiert

Das haben Forscher:innen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), der Technischen Universität Wien und des Joint Research Centre der Europäischen Kommission nun untersucht. Sie haben die staatliche Umverteilung in den EU-Ländern, einschließlich Großbritannien, in den Blick genommen. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift "The Journal of the Economics of Ageing" veröffentlicht.

Anhand von Mikrodaten aus diesen 28 europäischen Ländern haben die Forscher:innen die staatliche Umverteilung zu den jeweils einkommensschwächsten und einkommensstärksten Haushalten im Pensionsalter und im erwerbsfähigen Alter gemessen und über Länder verglichen. Analysiert wurde die Netto-Umverteilung, also die erhaltenen staatlichen Transfers von Haushalten, nach Berücksichtigung von Abgaben und Steuern.

Südeuropa: Hohe Pensionen für Besserverdienende

Die Ergebnisse ihrer Untersuchung waren für die Wissenschaftler:innen überraschend: „Staatliche Umverteilung wird oft mit Absicherung für Einkommensschwache gleichgesetzt. Der große Unterschied über europäische Länder liegt in der staatlichen Umverteilung zum Viertel der Bevölkerung mit dem höchsten Einkommen. Dabei spielen Pensionen eine wesentliche Rolle, weil Netto-Leistungen für Haushalte mit hohen Einkommen vor allem aus Pensionen bestehen“, erklärt Studienautor Bernhard Binder-Hammer, der am Institut für Demographie der ÖAW und an der TU Wien forscht. „Interessanterweise sind in den Ländern mit der höchsten Netto-Umverteilung die Transfers zur Bevölkerung mit den höchsten Einkommen besonders hoch, jene zu einkommensschwachen Haushalten aber besonders gering.“

So wird in Länder mit sehr generösen Pensionen für einen Teil der älteren Bevölkerung, wie Italien, Spanien und Portugal, relativ wenig von staatlicher Seite unternommen, um einkommensschwache Haushalte zu unterstützen. Die Netto-Transfers zum einkommensstärksten Viertel erreichen etwa in Italien und Portugal über neun Prozent des gesamten verfügbaren Einkommens und entsprechen damit mehr als einem Drittel der Gesamtumverteilung in diesen Ländern. Umgekehrt profitieren in Ländern wie Dänemark oder den Niederlanden vor allem die einkommensschwächsten Haushalte. In diesen Ländern gibt es so gut wie keine Netto-Umverteilung zu den einkommensstärksten Haushalten.

Österreich: Hohe Pensionen, aber auch soziale Absicherung

Und Österreich? Österreich zählt gemeinsam mit Deutschland und Frankreich zu den Ländern mit einem großzügigen Pensionssystem, kombiniert dieses aber mit Unterstützung für Familien oder für Arbeitslose. Demnach entspricht die gesamte Netto-Umverteilung zwischen Haushalten in Österreich 24 Prozent des verfügbaren Einkommens. Zum Vergleich: Spitzenreiter in der Netto-Umverteilung ist Griechenland mit 29 Prozent des verfügbaren Einkommens, während der Wert für die Niederlande bei 11 Prozent liegt.

Im oberen Mittelfeld liegt Österreich bei der Umverteilung zum einkommensschwächsten Viertel der Bevölkerung: Diese entspricht sieben Prozent des verfügbaren Einkommens. Niedrigste Werte finden sich in Italien, Spanien und Ungarn mit weniger als 4 Prozent, die höchsten in Belgien und Finnland mit über 10 Prozent.

Reformbedarf aufgrund von Bevölkerungsalterung

Der Fokus europäischer Wohlfahrtsstaaten ist höchst unterschiedlich, sagt ÖAW-Demograph Binder-Hammer: „Während in nordischen Ländern Umverteilung als Unterstützung einkommensschwacher Gruppen wirkt, dient staatliche Umverteilung in südeuropäischen Ländern zum großen Teil der Einkommenssicherung Gutverdienender.“

Brisant wird letztere im Hinblick auf die Bevölkerungsalterung. Hier sieht Binder-Hammer Reformbedarf: „Unsere Studie zeigt, dass gerade bei der Umverteilung zum einkommensstärksten Viertel der Bevölkerung Anpassungspotential liegt, weil durch die hohen pro-Kopf Leistungen auch das erforderte Volumen und damit die Beiträge hoch werden. Bei Ungleichheit oder Armutsgefährdung schneiden übrigens jene Länder am besten ab, in denen die Rolle des Staates bei der Alterssicherung Gutverdienender klar begrenzt ist.“

 

AUF EINEN BLICK

Publikation

„Public redistribution in Europe: Between generations or income groups?”, Bernhard Hammer,  Michael Christl & Silvia De Poli, The Journal of the Economics of Ageing, 2022
DOI: https://doi.org/10.1016/j.jeoa.2022.100426