Es sieht nicht gut aus für das Klima: „Bereits heute liegt die mittlere globale Temperatur um rund 1,1 °C über dem vorindustriellen Niveau und 2021 war das siebte Jahre in Folge, in dem ein 1 °C-Anstieg überschritten wurde“, heißt es im Klimaschutzbericht 2022 des Umweltbundesamts. Von den Folgen der Erwärmung ist auch der Alpenraum betroffen. Am deutlichsten zeigt sich das an den heimischen Gletschern: sie schmelzen im Rekordtempo.
Diese und weitere Auswirkungen der Klimakrise aber auch mögliche Lösungsansätze werden seit dem Sommer von mehr als 120 Wissenschaftler:innen in den Blick genommen. Sie erarbeiten in den nächsten drei Jahren den 2. Sachstandsbericht zum Klimawandel in Österreich. Federführend an dem Vorhaben beteiligt ist die Geographin Margreth Keiler vom Institut für interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Universität Innbruck. Sie ist überzeugt: „ Österreich hat das Potenzial, für die Herausforderungen auch innovative Lösungen und Handlungsoptionen zu finden. Wir müssen uns nur trauen, diesen Weg zu gehen. Und: Wir müssen es jetzt tun.“
KLIMASCHUTZ BETRIFFT ALLE
Der zweite Klimabericht, formal „Österreichischer Sachstandsbericht zum Klimawandel“ wurde kürzlich in Angriff genommen. Über 120 Forscher:innen aus unterschiedlichsten Disziplinen arbeiten in diesem großen Projekt zusammen. Was ist das Ziel dabei?
Margreth Keiler: Es geht zum einen darum, den Stand der Forschung zum Klimawandel und seinen Folgen in Österreich zusammenzutragen und wissenschaftlich zu bewerten. Zum anderen loten wir im Sachstandsbericht auch die Möglichkeiten und Grenzen von Klimaschutzmaßnahmen, mit denen wir die Klimaneutralität erreichen können, und zugleich notwendige Anpassungen aus.
Und schließlich wollen wir auch Entscheidungsträger:innen aus Politik und Gesellschaft in dem Projekt stärker einbinden als bisher: Wir werden Stakeholder frühzeitig in die unterschiedlichen Phasen der Berichterstattung einbinden und ihr Feedback einarbeiten. Schließlich ist es ein Ziel des Sachstandsberichts, Klimaschutz basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen noch stärker zu einem gemeinsamen Anliegen zu machen, um am Ende beispielsweise auch entsprechende wissensbasierte politische und gesellschaftliche Entscheidungen zu ermöglichen.
Es ist ein Ziel des Sachstandsberichts, Klimaschutz basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen noch stärker zu einem gemeinsamen Anliegen zu machen."
Es gab ja schon einen ersten Sachstandsbericht: Welche notwendigen Maßnahmen haben sich bisher herauskristallisiert?
Keiler: Es gibt nicht die eine ideale Lösung, denn Klimaschutz ist immer eine gesellschaftliche Abwägung: Eine volkswirtschaftlich gesehen vernünftige Lösung kann für andere Sektoren oder Gruppen durchaus mit Nachteilen behaftet sein. Wenn beispielsweise Unternehmen mit dem Fokus auf neue Energieformen gegründet werden, ist das grundsätzlich vernünftig – es kann aber gleichzeitig dazu führen, dass das Wirtschaften für andere Bereiche schwieriger wird. Mögliche Anpassungen an den Klimawandel und Klimaschutz sollte man also immer ganzheitlich betrachten und beurteilen.
ÖSTERREICH: GLETSCHERSCHMELZE, HOCHWASSER, MURGÄNGE
Das Jahr 2022 brachte eine Rekordschmelze auf Österreichs Gletschern: Welche ökologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen hat das?
Keiler: Die erhöhte Gletscherschmelze ist eine große Herausforderung, denn einmal geschmolzene Wasserressourcen auf den Bergen sind im kommenden Sommer schlicht nicht mehr vorhanden. Wenn die Gletscher weg sind, und das werden in den nächsten Jahrzehnten viele sein, wird sich auch das Wasser verringern, das in Flüssen vorhanden ist. Das hat Auswirkungen auf große Regionen, wir haben das bereits in diesem Jahr beispielsweise bis an den Rhein gesehen. Führen die Flüsse weniger Wasser, führt das wiederum dazu, dass wir bei langen Trockenperioden im Sommer noch mehr Grundwasser für die Trinkwasserversorgung oder zur Bewässerung von landwirtschaftlichen Flächen entnehmen. Bei ausreichender Wasserführung in den Flüssen, Schneeschmelze oder längeren Feuchteperioden können diese Grundwasserspeicher wieder aufgefüllt werden. Ist dies aber nicht möglich, verringert sich der Grundwasserspeicher langfristig.
Es gibt nicht die eine ideale Lösung, denn Klimaschutz ist immer eine gesellschaftliche Abwägung."
Und was bedeutet das kurzfristig?
Keiler: Kurzfristig stellt sich auch ein gegenteiliger Effekt ein: Kommt es in Kombination mit erhöhten Gletscherschmelzen zu starken Niederschlägen, ist das nicht nur eine enorme Herausforderung beispielsweise für Wasserkraftwerke, sondern kann auch zu Hochwasser führen, wie wir das etwa im Jahr 2005 beobachten konnten.
Haben Hochwasser und Murgänge in den Alpen zugenommen?
Keiler: Wenn der Permafrost zurückgeht, werden Hänge grundsätzlich instabil. Dies kann dazu führen das mehr Material vorhanden ist und - in Kombination mit ausreichend Wasser - Muren entstehen. Muren und Hangrutschungen sind in Österreich grundsätzlich zwar nichts Neues. Wir siedeln und wirtschaften aber zunehmend auch in den gefährdeten Räumen. Durch den Klimawandel kann es also einerseits zu Veränderungen bei Häufigkeit und Ausmaß von Hochwasser, Rutschungen oder Murgängen kommen, es ändert sich andererseits allerdings auch das Schadenspotenzial, also die Gefährdung von Gebäuden und Infrastruktur. Wir werden als Gesellschaft damit auch verletzlicher.
Wir müssen also in unseren Forschungen so exakt wie möglich herausfinden, welche Risiken in welcher Weise steigen, wie wir sie reduzieren können, aber auch, welches Management wir brauchen, um damit umzugehen, beispielsweise in Form neuer und besserer Warnsysteme.
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Kann man in einem Land wie Österreich angesichts eines globalen Phänomens wie dem Klimawandel denn überhaupt viel ausrichten?
Keiler: Der entscheidende Schritt ist, gegen die Ursachen des Klimawandels etwas zu unternehmen – indem wir jetzt etwa Emissionen reduzieren. Natürlich müssen wir uns aber auch an die bestehende Gefährdungslage anpassen. Selbst wenn wir heute aufhören würden, CO2 auszustoßen, würde es dauern, bis wir eine Wirkung sehen. In dieser Zeit werden sich die Risiken in Zusammenhang mit Naturgefahren für uns zweifellos erhöhen.
Der entscheidende Schritt ist, gegen die Ursachen des Klimawandels etwas zu unternehmen – indem wir jetzt etwa Emissionen reduzieren."
Ist das Bewusstsein, aktiv etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen, in Politik und Gesellschaft inzwischen stark genug?
Keiler: In der Forschung wird schon seit Jahrzehnten auf die Folgen des Klimawandels hingewiesen. Außerhalb der Wissenschaften ist die Schwierigkeit beim Erfassen dieser Gefahren, dass es keinen 1:1-Zusammenhang gibt: Veränderungen im Klima und deren Folgen unterliegen zahlreichen Wechselwirkungen. Für viele ist daher schwer zu verstehen, dass ein hoher Ausstoß an CO2 und unser Lebensstandard – etwa hinsichtlich Flugreisen – sich letztlich auch auf die Gletscherschmelze oder auch auf Hitzeperioden und Waldbrände auswirken.
Was kann die Wissenschaft tun?
Keiler: Unsere Aufgabe in der Wissenschaft ist, gemeinsam mit der Gesellschaft, am Bewusstsein zu arbeiten, die vielfältigen Auswirkungen des Klimawandels zu diskutieren und zu zeigen, wie wichtig es ist, dass wir jetzt reagieren und die Möglichkeiten des Klimaschutzes nutzen. Ansonsten werden sehr viele Menschen so stark betroffen sein, dass selbst die staatlichen Unterstützungen diese Auswirkungen nicht mehr abfedern können.
Aber in bin überzeugt: Österreich hat das Potenzial, für die Herausforderungen auch innovative Lösungen und Handlungsoptionen zu finden. Wir müssen uns nur trauen, diesen Weg zu gehen. Und: Wir müssen es jetzt tun.