05.10.2022 | Nobelpreis

Wie wird man Nobelpreisträger:in?

Der Quantenphysiker und ehemalige ÖAW-Präsident Anton Zeilinger wurde am 4. Oktober mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Warum ging der Preis diesmal an ein Dreierteam? Wer saß in der Jury? Und wie viele Österreicher:innen haben bisher schon einen Nobelpreis bekommen? ÖAW-Historikerin Daniela Angetter erklärt die Hintergründe.

Alfred Nobel hat in seinem Testament festgelegt, dass ein Preis an Persönlichkeiten verliehen werden soll, die im vergangenen Jahr der Menschheit einen großen Nutzen erbracht haben. © Wikipedia

Seit 1901 wird jährlich der Nobelpreis auf den Gebieten Physik, Chemie, Physiologie oder Medizin, Literatur und Friedensbemühungen verliehen. Alfred Nobel hatte in seinem Testament festgelegt, der Preis solle aus den Zinsen seines Vermögens, das in eine Stiftung einfloss, finanziert und an Persönlichkeiten verliehen werden, die im vergangenen Jahr der Menschheit einen großen Nutzen erbracht haben. Wie aber läuft die Entscheidungsfindung konkret ab? Wer sitzt in der Nobelpreis-Jury? Wie viele Österreicher:innen wurden bisher ausgezeichnet? Und wer ging erstaunlicherweise leer aus? Einen Blick in die Geschichte des Nobelpreises gibt Daniela Angetter, Historikerin am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Der Nobelpreis soll für herausragende Leistungen im vergangenen Jahr vergeben werden. Braucht es nicht eine gewisse Zeit, um zu klären, ob eine Entdeckung wirklich bahnbrechend ist?

Daniela Angetter: Das war von Beginn an ein großes Problem. Schon der erste Medizin-Nobelpreisträger Emil von Behring wurde für die Serumtherapie geehrt, die in der Behandlung gegen die Diphtherie eingesetzt wurde. Da waren seine Leistungen aber schon zehn Jahre alt. Gerade im Medizinbereich klingt manches vielversprechend, beim Nobelpreis ging es aber schon immer darum, ob sich eine Entdeckung nachhaltig durchsetzt.  

Sind darum die meisten Ausgezeichneten im fortgeschrittenen Alter?

Angetter: Als Sprungbrett für eine Karriere kann man den Nobelpreis leider nicht nutzen. Das Durchschnittsalter ist hoch. Es ist zudem äußerst selten, dass man gleich bei der ersten Nominierung den Nobelpreis bekommt, das sind Prozesse, die sich über mehrere Jahre ziehen. Deshalb ist es wichtig, ein Netzwerk zu haben, das immer wieder Nominierungsschreiben nach Stockholm schickt.

Mehrstufiger Nominierungsprozess

Wie funktioniert das genau?

Angetter: Pro Kategorie werden jährlich zwischen 200 und 350 Kandidat:innen nominiert. Grundsätzlich dürfen frühere Preisträger:innen der jeweiligen Kategorie Vorschläge einreichen, hinzu kommen namhafte Professor:innen der jeweiligen Fachrichtung. Der Friedensnobelpreis ist weiter gefasst, da darf jede Regierung einreichen, das Internationale Gericht, aber auch Friedensorganisationen. Aus diesem Pool trifft das Nobelpreiskomitee dann eine Vorauswahl und gibt diese an Expert:innen weiter, die Gutachten erstellen. Danach wird noch einmal eine enge Wahl getroffen, und diese wird der Schwedischen Akademie der Wissenschaften und der Nobelversammlung vorgelegt, um daraus abzustimmen.

„Es ist mittlerweile üblich, dass man die Nobelpreise teilt. Weil in der Wissenschaft selten ein einzelner eine bahnbrechende Leistung vollbringt, sondern internationale Forscherteams dahinterstehen.“

Im aktuellen Fall von ÖAW-Quantenphysiker Anton Zeilinger wurden zwei weitere Forscher aus Frankreich und den USA ausgezeichnet. Warum?

Angetter: Es ist mittlerweile üblich, dass man die Nobelpreise teilt. Weil in der Wissenschaft selten ein einzelner eine bahnbrechende Leistung vollbringt, sondern internationale Forscherteams dahinterstehen. Das Geld wird dann meist auch aufgeteilt. Maximal dürfen drei Personen genannt werden. Das ist allerdings noch immer ein Kritikpunkt, weil Teams oft viel größer sind, und die Auszeichnung nicht die realen Arbeitsbedingungen widerspiegelt.

Weiß man, wer in der Jury sitzt?

Angetter: Nein, was die Jury entscheidet ist geheim. Die Akten bleiben tatsächlich 50 Jahre lang unter Verschluss. Das ist aber auch wichtig, damit die Jury nicht bestechlich ist.

Freie Telefonleitungen an Nobelpreistagen

Hat sich das Auswahlverfahren über die Jahre verändert?

Angetter: Es werden noch immer Nominierungsbriefe und keine E-Mails geschrieben, und die Geehrten werden telefonisch verständigt. Es gibt kuriose Geschichten, dass Nobelpreisträger über die Auszeichnung vom Nachbarn erfahren haben. Auch Anton Zeilinger meinte ja, er hätte fast nicht abgehoben. An renommierten Einrichtungen wie der Harvard University gehört es zum guten Ton, dass an Tagen, an denen der Nobelpreis vergeben wird, alle Leitungen freigehalten werden müssen.

"Der Nobelpreis möchte ein Alleinstellungsmerkmal sein"

Wie viele Nobelpreisträger:innen gibt es aus Österreich?

Angetter: Das ist eine schwierige Frage. Man könnte sagen, mit Anton Zeilinger sind es zwischen 23 und 35. Das hängt davon ab, wen man als Österreicher:in wertet. Das Nobelpreiskomitee ordnet die Preisträger:innen jenem Land zu, in dem sie gerade tätig waren, als sie den Preis bekommen haben. Da profitiert Österreich von Otto Loewi, der zwar in Deutschland geboren wurde, aber 1936 den Nobelpreis bekam für seine Forschung an der Pharmakologie Graz. Auch den Autor Elias Canetti beanspruchen unterschiedliche Länder. Er erhielt den Literaturnobelpreis 1981, da hatte er längst die britische Staatsbürgerschaft. Bekommen hat er diese Auszeichnung aber für seine Werke, die er in deutscher Sprache in Wien geschrieben hat. Geboren wurde er in Bulgarien, hat in Deutschland, in der Schweiz und in England gelebt.

Meitner, Planck und Freud: Berühmte Verlierer:innen

"Sigmund Freud wurde 33 Mal nominiert, und hat den Nobelpreis trotzdem nie bekommen."

Wer ist leer ausgegangen?

Angetter: Österreich hat viele berühmte Verlierer:innen, die vielfach nominiert worden sind. Vincenz Czerny war in der Krebsforschung federführend, machte aber den Fehler, sich 1907 selbst zu nominieren. Nicht unbedingt aus Eitelkeilt, sondern um die Krebsforschung voranzutreiben. Sigmund Freud wurde 33 Mal nominiert, und hat den Nobelpreis trotzdem nie bekommen. Man hat ihm in einem Gutachten beschieden, dass er schön schreiben könne, aber das reiche nicht für die Wissenschaft. Man hat Freud auch für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen, aber auch dort ist er gescheitert. Ludwig Boltzmann hat ebenso wenig einen Nobelpreis bekommen wie Max Planck und Ernst Mach. Ein prominentes Beispiel ist auch die österreichische Kernphysikerin Lise Meitner. Sie wurde zwischen 1924 und 1965 sogar 48 Mal vorgeschlagen, unter anderem von Max Planck und Niels Bohr. Auch Albert Einstein hat sich für sie eingesetzt, es hat trotzdem nichts genutzt. Erschwerend war sicher, dass sie eine Frau war und Jüdin.

Wie kann man seine Chancen steigern, einen Nobelpreis zu bekommen?

Angetter: Fächer, in denen viel geforscht wird, sind meist unüberschaubar und haben weniger Chancen. Von Beginn an wurde vor allem die Grundlagenforschung ausgezeichnet. Karl Landsteiner hat die Blutgruppen entdeckt, das ist ein klassischer Fall für den Nobelpreis. Wer an Patient:innen klinisch arbeitet, hat deutlich geringere Chancen, obwohl diese Forschung sehr wichtig ist. Außerdem sollte man nicht viele andere hoch dotierte Preis erhalten haben. Der Nobelpreis möchte ein Alleinstellungsmerkmal sein.

 

Auf einen Blick

Daniela Angetter-Pfeiffer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der ÖAW und Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Geschichte der Medizin der Kommission für Geschichte und Philosophie der Wissenschaften der ÖAW.