30.01.2023 | Joint Academy Day

Wie sich die Klimakrise kommunizieren lässt

Geht es um die Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Klimakrise, sei es wichtig, nicht nur Fakten und Wissen, sondern auch die dahinter stehenden Methoden zu vermitteln, sagt die deutsche Klimaforscherin Ricarda Winkelmann. Und: Kommunikation sei keine einseitige Sache. Die Wissenschaft müsse auch offen sein für Fragen und Unsicherheiten aus der Bevölkerung. Winkelmann ist am 1. Februar an der ÖAW bei einer Podiumsdiskussion zu Wissenschaftskommunikation in Krisenzeiten zu Gast.

Foto dea Forschungsschiffs "Polarstern" von schräg vorne aufgenommen, während es einen Weg durch die antarktischen Eisschollen bricht.
Mehrere Expeditionen führten die Klimaforscherin Ricarda Winkelmann an Bord des Forschungseisbrechers „Polarstern“ für mehrere Wochen in die Antarktis. © Michael Gutsche/ Alfred-Wegener-Institut/Helmholtz-Gemeinschaft

„Ich arbeite u.a. an numerischen Modellen, mit denen man etwa die Dynamik der Eisschilde in Grönland und der Antarktis simulieren kann“, erzählt Ricarda Winkelmann im Gespräch. „Eine Art, um Wissenschaft zugänglich zu machen, ist es, den Menschen zu zeigen, wie so ein Modell funktioniert“, so die deutsche Physikerin und Gletscherforscherin. Wenn man vermitteln wolle, was beim menschengemachten Klimawandel passiert, müsse man den Menschen quasi einen Blick über die Schulter der Wissenschaftler:innen ermöglichen.

Winkelmann ist Wissenschaftskommunikation wichtig. So hat sie etwa in Blogs über ihre Forschungsreisen in die Antarktis oder die Anden berichtet. „Mit meinen Berichten möchte ich die Menschen an genau diese Orte mitnehmen“, sagt sie. Wie sich Erkenntnisse der Wissenschaft zum Klima – aber auch zu anderen Themen, wie Digitalisierung oder Corona – vermitteln lassen, darüber spricht Winkelmann bei einer Podiumsdiskussion am Joint Academy Day der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der deutschen Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina am 1. Februar 2023 in Wien.

WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATION MUSS TRANSPARENT SEIN

Wo steht die Klimakommunikation? Warum braucht es sie?

Ricarda Winkelmann: Wissenschaftskommunikation im Allgemeinen empfinde ich als integralen Bestandteil des Wissenschaftssystems. Sie sollte den gleichen Erwartungen und Standards genügen, die für Forschung und Lehre gelten: Sie muss integer in ihren Inhalten und Methoden sein, sie muss nachvollziehbar und transparent sein. Gerade bei der Wissenschaftskommunikation zur Klimakrise ist das ganz besonders wichtig. Denn der Klimawandel ist ein komplexes und globales Phänomen – er betrifft jeden einzelnen von uns. Hier Wissen bereitzustellen, das kritisch reflektiert wird und auch als Grundlage für demokratische Entscheidungsprozesse dient, finde ich sehr wichtig – politisch wie persönlich.

Der Klimawandel betrifft jeden einzelnen von uns. Hier Wissen bereitzustellen, das kritisch reflektiert wird und auch als Grundlage für demokratische Entscheidungsprozesse dient, finde ich wichtig."

 

Viele der Begriffe in der Klimadebatte wie etwa Klimaschutz oder Klimawandel werden eher missverständlich verwendet. Müssen wir anders über die Klimakrise sprechen?

Winkelmann: Die Wortwahl ist natürlich wichtig. Eben weil wir alle vom fortschreitenden Klimawandel betroffen sind, muss über die zugrundeliegenden Prozesse und Lösungswege nachvollziehbar und offen kommuniziert werden. Die richtige Balance zwischen der Vermittlung der Komplexität der Phänomene und der Reduzierung auf das Wesentliche ist wichtig. Natürlich ist es auch bedeutend, bei Forschungsergebnissen über die entsprechenden Unsicherheiten zu sprechen – aber wir dürfen dabei das Entscheidende nicht aus dem Blick verlieren: Was sind die essentiellen Erkenntnisse, die wir zum Handeln brauchen?

Nicht nur Fakten, auch Methoden erklären

Worauf legen Sie Wert in der Kommunikation?

Winkelmann: Wichtig ist, dass wir nicht nur Fakten und Wissen kommunizieren, sondern auch die Methoden, die hinter dem Herausfinden dieses Wissens stecken. Ich arbeite u.a. an numerischen Modellen, mit denen man etwa die Dynamik der Eisschilde in Grönland und der Antarktis simulieren kann. Eine Art, um Wissenschaft zugänglich zu machen, ist es, den Menschen zu zeigen, wie so ein Modell funktioniert, sozusagen einen Blick über die Schulter der Wissenschaftler:innen zu ermöglichen. „Open science“, also der offene Zugang für alle Menschen zu unseren wissenschaftlichen Methoden und Ergebnissen, ist für mich von großer Bedeutung.

„Open science“, also der offene Zugang für alle Menschen zu unseren wissenschaftlichen Methoden und Ergebnissen, ist für mich von großer Bedeutung."

Sie haben regelmäßig über Ihre Expeditionen, das antarktische Eis und die Klimakrise in verschiedenen Blogs und anderen Formaten berichtet. Damit waren die Leser:innen hautnah dran beim Sammeln von Daten.

Winkelmann: Ja, es ist mir ein großes Anliegen, meine Forschung nicht nur als Wissenschaftlerin, sondern auch als Mensch, näher zu bringen – und hoffentlich ein Stück Begeisterung für die Wissenschaft und die unglaublich faszinierenden Wirkungsweisen des Klimasystems weiterzugeben. Nicht jede:r hat die Möglichkeit an so entlegene Orte der Erde wie die Antarktis zu gelangen. Mit meinen Berichten möchte ich die Menschen an genau diese Orte mitnehmen. So werde ich zum Beispiel nie den Moment vergessen, als ich das allererste Mal Fuß auf antarktisches Eis gesetzt habe. Und genauso wenig den Moment, als ich in den Anden den Schwund der Gebirgsgletscher hautnah zu spüren bekommen habe: nachdem wir auf über 5.000 Meter Höhe mit unserem Team endlich an der Stelle angekommen waren, wo wir unsere Eiskernproben entnehmen wollten, lag dort, wo wir die Gletscherzunge erwartet hatten, nur noch nackter Fels vor uns – in diesem Moment ist mir das Ausmaß der Auswirkungen unseres Handelns auf das gesamte Erdsystem wieder einmal drastisch vor Augen geführt geworden. Wir Menschen sind wahrlich zu der bestimmenden Kraft im Klimasystem geworden.   

Nicht jede:r hat die Möglichkeit an so entlegene Orte der Erde wie die Antarktis zu gelangen. Mit meinen Berichten möchte ich die Menschen an genau diese Orte mitnehmen."

Können damit Menschen unterschiedlichen Hintergrunds angesprochen werden?

Winkelmann: Der Dialog ist wichtig. Kommunikation ist keine einseitige Sache. Es geht nicht nur darum, Wissen zu vermitteln, sondern auch umgekehrt zu hören, was die Fragen und Unsicherheiten sind, die wiederum an uns als Wissenschaftler:innen herangetragen werden.

ES IST NICHT ZU SPÄT, UM ZU HANDELN

Was angesichts der Klimakrise zu tun ist, liegt auf der Hand. Doch die Umsetzung verläuft schleppend. Wie kann man diesen Gap zwischen Wissen und Handeln füllen?

Winkelmann: Wir wissen genug, um zu handeln. Gleichzeitig sind wir mit einem Konflikt der Zeitskalen konfrontiert: Unser Entscheidungshorizont ist meist viel kürzer, als die biophysikalischen Zeitskalen des Klimasystems. Es ist klar, dass die kommenden Generationen am meisten von den Klimafolgen betroffen sein werden. Selbst wenn wir jetzt und heute die globale Erwärmung stoppen könnten, würde zum Beispiel der Meeresspiegel noch über Jahrhunderte weiter ansteigen, mit weitreichenden Folgen für die weltweit an Küsten gelegenen Städte und das Kulturerbe – von London bis Mumbai, von New York bis Shanghai. Das bedeutet: unser Handeln in den kommenden Jahren ist letztlich entscheidend dafür, wie sich das Gesicht unseres Planeten über die kommenden Jahrhunderte verändern wird!

Sie forschen zu Kipppunkten im Klimasystem, wo es zu unumkehrbaren Veränderungen kommen kann. Ist es schon zu spät zu handeln?

Winkelmann: Es ist nicht zu spät, selbst oder sogar besonders was die Kipppunkte betrifft. Das Risiko, solche Kipppunkte in Teilen des Klimasystems zu überschreiten, steigt mit der globalen Erwärmung deutlich an. Doch auch wenn ein Kipppunkt überschritten wird, ist es für die weitere Entwicklung entscheidend, wie stark und wie lange wir etwa die kritische Temperaturschwelle überschreiten. Insofern dürfen wir keinesfalls in Ohnmacht verfallen, im Gegenteil: Jetzt müssen wir erst recht handeln.

Unser Handeln in den kommenden Jahren ist entscheidend dafür, wie sich das Gesicht unseres Planeten über die kommenden Jahrhunderte verändern wird."

Sind diese Fakten auch in der Politik angekommen?

Winkelmann: Die Klimakrise ist in den großen politischen Debatten zwar grundsätzlich angekommen, das daraus resultierende Handeln wird der globalen Herausforderung aber nach wie vor bei Weitem nicht gerecht.  Physikalisch ist klar, dass wir zum Stoppen des Klimawandels die weltweiten CO2-Emissionen auf Netto-Null reduzieren müssen, und das so schnell wie möglich. Um das Pariser Klimaabkommen einzuhalten und die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad zu begrenzen, müssen wir mutiger handeln und die entsprechenden Maßnahmen viel schneller umsetzen.

 

AUF EINEN BLICK

Ricarda Winkelmann ist Physikerin und Glaziologin. Sie wurde u.a. bekannt für ihre Erkenntnis, dass in der Antarktis ab einem gewissen Kipppunkt der Verlust des Eises unumkehrbar sein kann, selbst wenn die globale Mitteltemperatur wieder auf das vorindustrielle Niveau sinken würde. Winkelmann forscht als Professorin für Climate System Analysis an der Universität Potsdam und am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) in Deutschland.

Unter dem Titel „Fakt und Faszination. Neue Herausforderungen für die Wissenschaftskommunikation“ diskutiert Ricarda Winkelmann am 1. Februar an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Festsaal, Dr. Ignaz Seipel-Platz 2, 1010 Wien). Mit ihr am Podium sind der Soziologe Alexander Bogner (ÖAW), die Kommunikationsforscher Matthias Karmasin (ÖAW und Universität Klagenfurt), die Journalistin Eva Stanzl (Wiener Zeitung) sowie der Mediziner Michael Hallek (Universität zu Köln) und der Ökonom Christoph M. Schmidt (Ruhr-Universität Bochum). Moderation: Wolfgang Baumjohann (ÖAW).

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