02.09.2024 | Faszination Forschung

Wie Jugendliche Wissenschaft neu entdecken können

Über die Kunst, komplexe Themen in Krisenzeiten verständlich zu machen und junge Menschen für Wissenschaft zu begeistern, sprechen Immunologe Andreas Bergthaler und die ÖAW-Studienstiftlerin Tina Tenzin Wangmo Gi.

Teilnehmer:innen der Österreichischen Studienstiftung der ÖAW. © Belle & Sasse/ÖAW

Wie können wir Jugendliche besser auf die Herausforderungen zukünftiger Krisen vorbereiten? Wie können Wissenschaftler:innen ihre Forschungen so erklären, dass sie für junge Menschen nachvollziehbar und relevant wird? Und welchen Beitrag leisten Bildungsinitiativen wie die Studienstiftung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), um Wissenschaftsverständnis und soziale Inklusion zu fördern?

Der Immunologe Andreas Bergthaler, der an der MedUni Wien und der ÖAW forscht, und Tina Tenzin Wangmo Gi, Studentin der Rechtswissenschaften und Stipendiatin der Österreichischen Studienstiftung der ÖAW, sprechen im Interview darüber, wie Wissenschaft auf Augenhöhe vermittelt werden kann - gerade in Zeiten grassierender Desinformation. Dabei geht es nicht nur um die Vermittlung von Wissen, sondern auch um die Stärkung des Vertrauens in die Wissenschaft. Wie das geht, zeigt unter anderem die Studienstiftung der ÖAW, etwa mit speziellen Seminaren sowie mit den innovativen Studienstiftungsgesprächen.

Aktive Rolle für Jugendliche

Herr Bergthaler, im Rahmen der Studienstiftung beleuchten Sie Anfang September das Thema Kommunikation komplexer Sachverhalte in Krisenzeiten. Wie kann man jungen Menschen vermitteln, dass Wissenschaft etwas Spannendes ist?

Andreas Bergthaler: Während der Corona-Pandemie wurden wir täglich damit konfrontiert, wie schwierig es ist, komplexe Sachverhalte zu vermitteln. Damals wurde mir bewusst, Jugendliche nicht nur als Empfänger:innen von Informationen zu sehen, sondern auch als Akteur:innen im gesellschaftlichen Miteinander. Für die Kommunikation komplexer Themen bedeutet das: Nicht nur 'Wie können wir Jugendliche erreichen?' Sondern 'Wie können Jugendliche eine aktive Rolle spielen, damit wir als Gesellschaft komplexen Krisen besser und resilienter begegnen können'.

Frau Gi, welche Anknüpfungspunkte sehen Sie hier für Jugendliche?

Tina Tenzin Gi: Dass es möglich ist, junge Menschen für solche Themen zu interessieren, zeigt unter anderem die Österreichische Studienstiftung. Was hier gelingt, ist ein bestimmter Zugang, eine bestimmte Art und Weise, wie Forscher:innen auf junge Menschen zugehen, mit ihnen kommunizieren und sie zum Dialog auffordern. Gerade in interaktiven Formaten wie den Workshops der Studienstiftung zeigt sich das Potenzial, Stipendiat:innen für Forschungsfragen aus den unterschiedlichsten Disziplinen zu begeistern.  

Zu verstehen, wie wir zu neuem Wissen kommen, ist auch eine Form der Selbstermächtigung und Empowerment.

Herr Bergthaler, warum ist es Ihnen so wichtig, das Vertrauen junger Menschen in die Wissenschaft zu stärken?

Bergthaler: Zu verstehen, wie wir zu neuem Wissen kommen, ist auch eine Form der Selbstermächtigung und Empowerment damit Menschen aus der Fülle an Informationen ihre eigenen Schlüsse ziehen können. Die Probleme der Welt sind komplexer geworden. Wir schlittern von einer Krise zur anderen, die Pandemie wirkt in Anbetracht dessen mittlerweile im Rückspiegel kleiner. Ein größeres Ziel ist es, die jungen Generationen zu ermutigen und zu ermächtigen, dass sie sich ihre eigene Meinung bilden und kritisch sind, dabei aber auf fundiertes Wissen zurückgreifen.

Sie sind beide sehr aktiv in den sozialen Medien. Wie gelingt es Ihnen, diese Kanäle, in denen viel unterkomplexes Denken verbreitet wird, als seriöse Medienplattform zu nutzen?

Gi: Das ist bei Social Media grundsätzlich schwierig. Inhalte, die nicht Wissen vermitteln, sondern emotionalisieren, werden von den Algorithmen nach oben gespült. Das schränkt die Verbreitung wissenschaftlicher Inhalte ein. Die Herausforderung besteht darin, die Kommunikation wissenschaftlicher Inhalte an die Kanäle anzupassen, ohne dabei zu simplifizieren. Der Videokanal der ÖAW ist aber ein gutes Beispiel dafür, wie man Wissenschaft für junge Menschen spannend machen kann. Mit FÄKT gibt es ein tolles neues Format, wo zwei junge, dynamische Frauen im Mittelpunkt stehen und wissenschaftliche Inhalte transportieren. Das ist ein wichtiger Schritt, um auch Social Media mit Inhalten zu füttern, die den Menschen einen Mehrwert an Wissen bieten.

Bergthaler: Uns Wissenschaftler:innen fällt es oft nicht so leicht, komplexe Themen, an denen wir arbeiten, herunterzubrechen. Je kürzer der Beitrag, je kürzer das Statement, die Überschrift oder eben ein 30-sekündiges Video ist, desto schwieriger wird es für uns, weil wir gezwungen sind, zu verallgemeinern. Damit entfernen wir uns Schritt für Schritt von dem, was wir normalerweise im Labor machen, nämlich sehr präzise zu arbeiten. Die Kunst der Wissenschaftskommunikation besteht darin,exakte wissenschaftliche Resultate in den Alltag zu übersetzen. Aber: Daran führt kein Weg vorbei. Es wäre eine Ausrede zu sagen: Mein Thema ist zu komplex, um es einem Jugendlichen oder auch den Großeltern näherzubringen.

Ich schätze die persönlichen Einblicke in die unterschiedlichsten Lebensläufe sehr.

Welche anderen Räume gibt es, um junge Menschen gut zu erreichen?

Gi: Neben den sozialen Medien, in denen junge Menschen einen großen Teil ihrer Zeit verbringen, finde ich die Formate, die die Studienstiftung anbietet, eine anregende Form der Wissenschaftsvermittlung.  Eine etwas unkonventionellere Form sind vielleicht die Studienstiftungsgespräche, bei denen wir die Möglichkeit haben, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens näher kennenzulernen. Ich glaube, dass dieser Austausch für junge Menschen ein sehr inspirierender Raum sein kann, in dem man die persönliche Begeisterung spürt und sieht, was man auf seinem eigenen Weg erreichen kann. Das kann sehr wertvoll sein, besonders für jemanden, der aus einem Elternhaus kommt, in dem ein Studium keine Selbstverständlichkeit ist. Meine Eltern haben zum Beispiel beide nicht studiert, und ich schätze die persönlichen Einblicke in die unterschiedlichsten Lebensläufe sehr und kann daraus viel mitnehmen.

Soziale Inklusion

Bergthaler: Ich stimme zu, dass es wichtig ist, Begeisterung für die Wissenschaft zu wecken. Dabei sehe ich das primäre Ziel nicht unbedingt darin, dass jeder Jugendliche Forscher oder Forscherin wird. Vielmehr geht es auch darum, ein Grundverständnis zu vermitteln, wie Wissenschaft funktioniert, und offen zu diskutieren, warum Wissenschaft auch nicht immer sofort auf jede Frage eine zufriedenstellende Antwort hat. Es geht darum, hellhörig zu werden, wenn allzu einfache Antworten verbreitet werden. Wir Wissenschaftler:innen können dazu beitragen, indem wir auf die Menschen zugehen und zielgruppenorientiert ein Grundverständnis und Begeisterung für Forschung vermitteln. Gerade auch bei Jugendlichen, die in ihrem sozialen Umfeld weniger mit dieser Thematik zu tun haben, aber dennoch unglaublich viel Potenzial in sich tragen. Stichwort soziale Inklusion.

Gi: Soziale Inklusion ist ein Begriff, den ich eng mit meiner persönlichen Entwicklung verbinde. Die mangelnde Chancengleichheit in der Bildung und die weitreichenden Folgen für den weiteren Lebensweg machen die Entwicklung entsprechender Strategien im Bildungsbereich zu einer zentralen gesellschaftlichen Herausforderung, der wir uns aus meiner Sicht dringend stellen müssen. Mein Vater stammt aus Pakistan, meine Mutter aus Tibet. Zu Hause wurde vorwiegend Englisch gesprochen, aber auch ein wenig Hindi und Deutsch. Meiner Mutter war es sehr wichtig, dass ich so früh wie möglich in den Kindergarten komme, um Deutsch als Erstsprache zu lernen. Ich erzähle das deshalb, weil hier der Einstieg in alle weiteren Formen der Bildung und Ausbildung entschieden wird - mit dem Spracherwerb.  Meiner Mutter war es wichtig, dass ich meine Zukunft in diesem Land selbst in die Hand nehme und so die Gesellschaft von morgen mitgestalten kann. 

 

Auf einen Blick

Studienstiftung der ÖAW