21.11.2022 | Science Update

Wie entwickeln sich die Energiemärkte?

Die beiden ÖAW-Mitglieder, der Ökonom Philipp Schmidt-Dengler und der Nachhaltigkeitsforscher Johannes Schmidt, im Interview über Strompreise, Preisdeckel, Gasspeicher und mehr.

Europa steckt in einer neuen Energiekrise. © Adobe Stock

Welche Situation herrscht auf den Energiemärkten Europas? Wie sind die Füllstände in den Gasspeichern einzuschätzen? Und was bedeutet das für das erklärte Ziel der Klimaneutralität? Antworten darauf geben die beiden Mitglieder der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), der Ökonom Philipp Schmidt-Dengler und der Nachhaltigkeitsforscher Johannes Schmidt, im Rahmen des Science Updates.

Merit Order Prinzip

Das ist ähnlich wie bei der Ölkrise in den 1970er-Jahren."

Herr Schmidt-Dengler, wir befinden uns in einer Energiekrise und die Energiepreise steigen. Funktioniert der Energiemarkt noch?

Philipp Schmidt-Dengler: Durch den Krieg in der Ukraine ist es zu einer starken Verknappung des Angebots gekommen. Das zeigt sich jetzt insbesondere beim Gas, das wiederum sehr intensiv in der Stromerzeugung genutzt wird. Die hohen Gaspreise signalisieren diese Knappheit – und in diesem Sinne funktioniert der Marktmechanismus genauso wie man es erwarten würde. Das ist ähnlich wie bei der Ölkrise in den 1970er-Jahren. Ein Teil der Exporteure reduzierte die Förderung und dadurch kam es zu einem starken Anstieg des Ölpreises.

In Österreich wird der Strompreis anhand des Merit Order Prinzips bestimmt, wonach günstig hergestellter Strom aus Wind, Wasser oder Sonne zum selben Preis verkauft wird wie mit Gas produzierter teurer Strom. Ein probates Mittel in der Krise?

Schmidt-Dengler: Das Merit Order Prinzip ermöglicht, dass die günstigsten Erzeuger den nachgefragten Strom produzieren und es dabei zu keinen Rationierungen kommt. Die Alternative dazu wäre ein Regulator, der zuteilt und entscheidet, welcher Sektor bei Knappheit Strom bekommt – und wer nicht.

In Spanien subventioniert man den mit Gas erzeugten Strom."

Wie sinnvoll erscheint Ihnen im Vergleich dazu das spanische Modell, wonach der Strompreis mit einem Gaspreisdeckel gebremst wird?

Schmidt-Dengler: In Spanien subventioniert man den mit Gas erzeugten Strom. Das heißt, dass die öffentliche Hand in diesem Modell den Stromerzeugern, die mit Gas herstellen, die Kosten ersetzt. Zwei Einwände dazu: Erstens ist das spanische Netz zwar relativ isoliert vom Rest des europäischen Marktes, allerdings exportiert Spanien jetzt von spanischen Steuergeldern subventionierten Strom nach Frankreich. Und zweitens: Dadurch wird sehr viel mehr Gas in der Stromerzeugung verwendet, weil es billiger ist als bei uns. Die wissenschaftlichen Daten deuten darauf hin, dass in Spanien seither der Gasverbrauch in der Stromerzeugung sehr stark gestiegen ist. Das ist kontraproduktiv.

Strompreisbremse

Und die Strompreisbremse, die künftig in Österreich Haushalte entlasten soll?

Schmidt-Dengler: Ähnlich sieht es mit der Strompreisbremse aus: Die Mehrheit der Haushalte ist von dieser Deckelung bei 2.900 Kilowattstunden nicht betroffen, weil ihr Verbrauch darunter liegt. In einer Situation, in der uns jede gesparte Kilowattstunde weiterhilft, haben diese Haushalte jetzt praktisch keinen Anreiz, Strom zu sparen.

Welche Schritte sollten jetzt stattdessen gesetzt werden, um möglichst gut durch die Krise zu kommen?

Auf der Nachfrageseite müssen wir jetzt die Preissignale wirken lassen."

Schmidt-Dengler: Auf der Nachfrageseite müssen wir jetzt die Preissignale wirken lassen – und sollten nicht in die Preise eingreifen, denn sonst verpufft der Sparanreiz. Und auf der Angebotsseite muss man die Diversität erhöhen, also Gas in der Stromproduktion durch erneuerbare Energien ersetzen. Hier gibt es bereits positive Signale aus Brüssel, die Regulierungen zu entschärfen, um mehr stromerzeugende Anlagen zu errichten und so mehr erneuerbaren Strom liefern zu können – das würde auch die Preise senken. Entscheidend für die weitere Verbreitung der erneuerbaren Energie zur Stromversorgung sind jetzt Speichertechnologien. Denn der Grund, warum der Gaspreis meistens den Strompreis bestimmt, ist die nicht immer unabhängige Verfügbarkeit erneuerbarer Energien.

Investitionen werden bei höheren Zinsen immer teurer. Wird das auch die jetzt dringend gebrauchten Investitionen in die Erneuerbaren ausbremsen?

Schmidt-Dengler: Das ist eine schwierige Frage. Bei dem jüngsten enormen Anstieg der Energiepreise, sollte man auch bedenken, dass Energie im vergangenen Jahrzehnt sehr billig war. Eine an Preisstabilität orientierte Geldpolitik reagiert auf Preissteigerungen mit Zinserhöhung. Höhere Zinsen wirken nicht direkt gegen höhere Energiepreise. Aber: Sie machen Investitionen teurer, nehmen dadurch Nachfrage raus aus dem Markt und haben dadurch einen dämpfenden Effekt auf die Preise. Und leider machen Zinserhöhungen auch notwendige Investitionen in erneuerbare Energieerzeugung teurer.

Gasspeicher

Ab Ende Oktober wurde nicht mehr viel gespart."

Herr Schmidt, Sie erheben Kennzahlen zur Energieversorgung in Österreich. Wie sehr schwankt der Füllstand der Erdgasspeicher?

Johannes Schmidt: Der Gasverbrauch war heuer im Oktober deutlich geringer als in den Vorjahren. Aber der Oktober war auch einer der wärmsten seit Beginn der Messgeschichte. Wir erheben tagesaktuell Energiedaten, die wir auf der Webseite energy.abteil.org publizieren. Wir berechnen auch, wie die Temperatur auf den Verbrauch wirkt, um zu überprüfen, ob tatsächlich gespart wird oder nicht. Mit dem Ergebnis: Ab Ende Oktober wurde nicht mehr viel gespart, der niedrigere Gasverbrauch ist vor allem auf die hohen Temperaturen zurückzuführen. Das erklärt sich u.a. aus der Preisentwicklung an den Märkten. Die Gaspreise sind im Oktober stark gefallen, auch weil die Gasspeicher bereits voll waren.

Wie unterscheiden sich die heurigen Einsparungen von den Jahren zuvor?

Schmidt: Der Verbrauch war, vor allem im August und September, um 20 bzw. 10 Prozent unter dem, was wir unter normalen Preisbedingungen erwarten würden – hier gibt es aber natürlich Unsicherheiten. Ob wir ohne Rationierungen durch den Winter kommen, hängt davon ab, ab wann wir beginnen, die Speicher zu leeren. Während wir in den vergangenen Jahren bereits Anfang November damit angefangen haben, die Speicher zu leeren, füllen wir dieses Jahr die Speicher noch weiter an. Wichtig ist: Je mehr Gas am Ende der Heizsaison übrigbleibt, desto besser geht es uns 2023. Denn wenn wir jetzt die Gasspeicher ganz stark runterfahren, wird es nächstes Jahr noch schwieriger werden, diese für den nächsten Winter voll zu bekommen.

Wo kann in Österreich Energie eingespart werden?

Riesengroßes Potenzial steckt in der Energieeffizienz."

Schmidt: Riesengroßes Potenzial steckt in der Energieeffizienz. Wir könnten mit viel weniger Primärenergie auskommen bei gleichem Serviceniveau, wenn wir alle Effizienzpotenziale heben. Ein wichtiger Teil der österreichischen Energieverwendung geht in Gebäudewärme. In vielen Fällen heizen wir hier beim Fenster raus. Durch Gebäudesanierung könnten wir also enorm viel einsparen.

Enorme Effizienzpotenziale sind zudem in der Elektrifizierung zu heben. Hier können wir mit dem gleichen Energieaufwand sogar ein höheres Serviceniveau erhalten, etwa durch Elektromobilität oder den Einsatz von Wärmepumpen. Große Schwachstellen gibt es in Österreich in der Raumplanung. Hier wird noch immer enorm viel Fläche verbraucht und Verkehr verursacht.

Klimaneutralität

Österreich importiert über 60 Prozent der Primärenergie aus dem Ausland, vor allem in Form von fossilen Energieträgern. Wie lange noch?

Schmidt: Der Ausbau der erneuerbaren Energien muss sehr schnell gehen, wenn wir bis 2040 klimaneutral werden wollen. Klimaneutralität bedeutet, dass wir so gut wie keine fossilen Energieträger mehr verwenden dürfen. Die Energiekrise hat einen unglaublichen Boom bei den Erneuerbaren befeuert. Es werden heuer doppelt so viele Photovoltaik-Anlagen gebaut werden als im Vorjahr. Allerdings hinken wir beim Ausbau der Windkraft in Österreich noch hinten nach.

Wie wirkt sich die aktuelle Energiekrise auf das Ziel der Dekarbonisierung aus?

 Der Anreiz, jetzt sowohl in Energieeffizienz als auch in Alternativen zu fossilen Energieträgern zu investieren, ist an sich sehr hoch." 

Johannes Schmidt: Einerseits führen die sehr hohen Gaspreise dazu, dass mehr Kohle für die Stromerzeugung zum Einsatz kommt, wobei Kohle deutlich mehr Treibhausgasemissionen als Gas verursacht. Dadurch könnten durch die Energiekrise kurzfristig die Emissionen ansteigen. Andererseits gibt es aufgrund hoher Preise in ganz Europa einen dämpfenden Effekt auf die Energienachfrage insgesamt. Erste Prognosen für Österreich deuten darauf hin, dass 2022 die CO2-Emissionen etwa um zwei Prozent im Vergleich zum Vorjahr sinken werden. Für ganz Europa geht man in einer vorläufigen Schätzung von einer Stabilisierung bzw. einem leichten Rückgang von fossilen CO2-Emissionen im Vergleich zu 2021 aus – für die Änderungen in Emissionen gibt es aber natürlich, abseits der Energiekrise, noch andere Gründe.

Und der langfristige Effekt?

Schmidt: Langfristig sind v.a. die Investitionen im Energiebereich betroffen. Der Anreiz, jetzt sowohl in Energieeffizienz als auch in Alternativen zu fossilen Energieträgern zu investieren, ist an sich sehr hoch. Abzuwarten bleibt, ob Zinssteigerungen einen dämpfenden Effekt haben. Die gestiegenen Gaspreise machen es jedenfalls attraktiv in Substitute zu investieren, zum Beispiel in erneuerbare Energien. Wegen der hohen Energiepreise kann man diese Investitionen in wenigen Jahren refinanzieren.

 

AUF EINEN BLICK

Philipp Schmidt-Denglerist Professor für Volkswirtschaftslehre, seit 2014 an der Universität Wien, davor an der Universität Mannheim. Er forscht u.a. zu Industrieökonomik, Innovation und internationaler Wettbewerb sowie angewandte Mikroökonomie und Volkswirtschaftspolitik. Schmidt-Dengler ist seit 2017 korrespondierendes Mitglied der ÖAW.

Johannes Schmidt ist assoziierter Professor am Institut für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU). 2017 hat er einen Starting Grant des Europäischen Forschungsrats (European Research Council, ERC) für das Projekt reFUEL gewonnen, das sich mit einer globalen, integrierten Analyse des Handels mit erneuerbaren Energieträgern und den damit verbundenen Auswirkungen auf die Landnutzung beschäftigt. Er leitet zudem das Projekt NetZero2040, welches Szenarien zur vollständigen Dekarbonisierung Österreichs berechnet. Johannes Schmidt ist seit 2019 Mitglied der Jungen Akademie der ÖAW.

energy.abteil.org