21.11.2022 | Energiekrise

ÖAW-Science Update: Strompreisbremse bremst auch Energieeinsparungen

Der Ausbau erneuerbarer Energie muss schneller gehen, so Wirtschaftswissenschaftler Philipp Schmidt-Dengler und Nachhaltigkeitsforscher Johannes Schmidt an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Die Experten des zweiten Science Updates der ÖAW: Wirtschaftswissenschaftler Philipp Schmidt-Dengler (li.) und Nachhaltigkeitsforscher Johannes Schmidt (re.). © Daniel Hinterramskogler/ÖAW

Thema des zweiten Science Updates der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) war die Energiekrise, befeuert durch das aufgrund des Ukrainekriegs teuer und knapp gewordene Gas, das auch die Strompreise in die Höhe getrieben hat. Doch welche Maßnahmen können in der gegenwärtigen Energiekrise wirken – und was erscheint aus Sicht der Wissenschaft kontraproduktiv? Außerdem: Wie wirkt sich die Krise auf das längerfristige Ziel der Dekarbonisierung aus? Darüber diskutierten der Ökonom Philipp Schmidt-Dengler und der Nachhaltigkeitsexperte Johannes Schmidt, beide Mitglieder der ÖAW. Im Zentrum standen unterschiedliche Modelle der Preisdeckelung, der Ausbau der erneuerbaren Energie sowie aktuelle Prognosen zur Energieversorgung und zum Energiesparen in Österreich.

Die im September vom neuen Präsidium der Akademie gestartete Gesprächsreihe will den Austausch zwischen Journalist:innen mit Expert:innen zu gesellschaftlich relevanten Fragen stärken. Dazu ÖAW-Präsident Heinz Faßmann: „Für die zweite Ausgabe des neuen ÖAW-Formats Science Update haben wir das Thema Energiekrise gewählt. Wir haben den Eindruck, dass die vielen Einzelmaßnahmen kein konzeptionelles Gesamtbild ergeben, welches sowohl sozial ausgewogen als auch ökologisch zielführend ist. Daher haben wir die beiden Wissenschaftler eingeladen und den Journalist:innen die Möglichkeit gegeben, sich darüber näher auszutauschen. Die Faktenbasierung von Politik ist der Akademie ein Anliegen und wir werden aktuelle Fragestellungen medial thematisieren.“

GASPREISDECKEL UND STROMBREMSEN HELFEN NICHT BEIM ENERGIESPAREN

Philipp Schmidt-Dengler, ÖAW-Mitglied und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Wien, stellt klar, dass das in Österreich den Strompreis bestimmende Merit Order Prinzip derzeit die einzige Möglichkeit darstellt, damit es zu keinen Rationierungen kommt. Das Prinzip besagt, dass die Nachfrage zu jederzeit von den günstigsten Erzeugern bedient wird. Es sichert ein großes Angebot an Strom und damit die Versorgung. „Die Alternative zu Merit Order wäre ein Regulator, der zuteilt und entscheidet, welcher Sektor bei Knappheit Strom bekommt – und wer nicht“, sagte Schmidt-Dengler.

Von Gaspreisdeckeln in der Stromerzeugung, wie sie in Spanien zum Einsatz kommen, und Strompreisbremsen, wie sie künftig in Österreich Haushalte entlasten sollen, hält der Ökonom allerdings wenig. Stattdessen müsse es Signale für das Sparen von Energie geben, der Gas- und Stromverbrauch müsse dringend reduziert werden. Schmidt-Dengler: „Die Mehrheit der Haushalte ist von dieser Strompreisbremse, die bei 2.900 Kilowattstunden ansetzt, nicht betroffen, weil ihr Verbrauch darunter liegt. In einer Situation, in der uns jede gesparte Kilowattstunde weiterhilft, haben diese Haushalte jetzt praktisch keinen Anreiz, Strom zu sparen.“

ÖSTERREICH MUSS IN ERNEUERBARE UND ENERGIEFFIZIENZ INVESTIEREN

Wie es aktuell um die Energieversorgung in Österreich steht und wo es noch enormes Einsparungspotential zu heben gibt, dazu forscht Johannes Schmidt, Professor am Institut für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung an der Universität für Bodenkultur Wien und Mitglied der Jungen Akademie der ÖAW. „Ob wir ohne Rationierungen durch den Winter kommen, hängt davon ab, ab wann wir beginnen, die Speicher zu leeren“, erklärte Schmidt. Zum Vergleich: „Während wir in den vergangenen Jahren bereits Anfang November damit angefangen haben, die Speicher zu leeren, füllen wir dieses Jahr die Speicher noch weiter an.“, so der Nachhaltigkeitsexperte.

So problematisch die höheren Energiepreise auch sind, sie würden jetzt auch die Bemühungen erhöhen, unabhängiger von fossilen Rohstoffen zu werden. Und: Wenn Öl-, Strom- und Gaspreise steigen, profitieren die Anbieter alternativer Energien davon. „Die Energiekrise hat einen unglaublichen Boom bei den Erneuerbaren befeuert. Es werden heuer doppelt so viele Photovoltaik-Anlagen gebaut werden als im Vorjahr. Allerdings hinken wir beim Ausbau der Windkraft in Österreich noch hinten nach“, sagte Schmidt. Enormes Potential sieht er zudem in einer Raumplanung, die Zersiedelung reduziert und sanfte Mobilität fördert, sowie in Investitionen in erhöhte Energieeffizienz, etwa durch Gebäudesanierung.

ZINSFALLE: JE HÖHER DIE ZINSEN, DESTO TEUERER DIE INVESTITIONEN

Apropos Investitionen. Höhere Zinsen machen auch Investitionen teurer, gab Ökonom Schmidt-Dengler zu Bedenken: „Leider machen Zinserhöhungen auch notwendige Investitionen in erneuerbare Energieerzeugung teurer.“ Ob sie die jetzt dringend gebrauchten Investitionen ausbremsen, bleibt abzuwarten. Derzeit könnte man wegen der hohen Energiepreise diese Investitionen in erneuerbare Energien aber in wenigen Jahren refinanzieren, so Schmidt.

Strompreise, Preisdeckel & Co.

Johannes Schmidt und Philipp Schmidt-Dengler zur Entwicklung der Energiemärkte:

Weiterlesen: Science Update-Interviews

 

Auf einen Blick

Mitgliederseite von Philipp Schmidt-Dengler

Mitgliederseite von Johannes Schmidt


Science Update: In dem im September 2022 gestarteten Gesprächsformat haben Journalistinnen und Journalisten die Möglichkeit, sich mit Forschenden zu relevanten Themen auszutauschen. Es trägt damit zur Aufklärung und Versachlichung von in der Öffentlichkeit emotional geführten Debatten bei.