Während einige Vögel mutig sind, bleiben andere eher scheu auf Abstand. Eine internationale Zusammenarbeit von 129 Forschenden an 77 Institutionen in 24 Ländern, an der auch die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) beteiligt war, hat nun erstmals systematisch untersucht, warum Tiere Neuem gegenüber unterschiedlich misstrauisch sind. Die Ergebnisse zeigen, dass die Neophobie nicht nur das Verhalten einzelner Tiere prägt, sondern auch tief in der Evolution verankert ist.
Die Studie nutzte das ManyBirds Project, ein weltweit koordiniertes „Big Team Science“-Netzwerk, und untersuchte 1.439 Vögel aus 136 Arten auf sechs Kontinenten – von Laboren über Feldstudien bis hin zu Zoos. Untersucht wurde, wie lange Vögel zögerten, vertrautes Futter zu berühren, wenn ein neues Objekt in ihrer Nähe war, verglichen mit einer Kontrollbedingung ohne Objekt. Die Ergebnisse erschienen kürzlich im Fachjournal PLOS Biology.
Unterschiede innerhalb einer Art
„In unserer Studie, die wir am Institut für Schallforschung der ÖAW durchgeführt haben, testeten wir Wellensittiche, um ihre Reaktionen unter bestimmten Bedingungen zu untersuchen“, sagt Koautorin und ÖAW-Forscherin Marisa Hoeschele. Einer der Befunde: Selbst innerhalb derselben Art reagieren Vögel unterschiedlich vorsichtig oder neugierig auf neue Reize, und diese Unterschiede ziehen sich über Arten und sogar größere taxonomische Gruppen hinweg. Gleichzeitig macht der internationale Vergleich deutlich, dass Neophobie nicht zufällig auftritt, sondern ein evolutionär geprägtes Verhalten ist, das stark von den Lebensbedingungen und der ökologischen Nische einer Art abhängt.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Wellensittiche stärker neophobisch reagieren als andere Papageienarten“, erklärt Schallforscherin Marisa Hoeschele. „In ihrem natürlichen Lebensraum in Australien leben Wellensittiche nomadisch und sind in Gebieten mit zahlreichen Raubtieren ständig auf der Suche nach frischem Gras. Da sie sich in wechselnden Landschaften – in denen ihnen potenzielle Fressfeinde oft unbekannt sind – überwiegend von derselben Nahrungsquelle, nämlich Gras, ernähren, ist ihre ausgeprägte Neophobie nachvollziehbar. Dennoch zeigen diese Vögel, die zu den neugierigeren Papageien zählen, insgesamt weniger Neophobie als manche andere Vogelordnungen.“
Neue Umgebung macht Vögel zurückhaltender
So sind Vögel mit spezialisierten Ernährungsweisen – also solche, die nur bestimmte Nahrungsquellen nutzen – zaghafter gegenüber Unbekanntem, weil ein Fehlversuch bei der Nahrungssuche für sie riskanter ist. Im Gegensatz dazu können Generalisten, die viele verschiedene Dinge fressen, es sich eher leisten, Neues auszuprobieren, was die sogenannte Neophobia Threshold Hypothesis (NTH) stützt.
Auch Zugvögel setzen auf Wohlvertrautes und zeigen eine stärkere Scheu vor Neuem als standorttreue Arten. Das besagt auch die sogenannte Dangerous Niche Hypothesis (DNH). Der Grund: „Zugvögel befinden sich oft in unbekannten Umgebungen, in denen sie nicht wissen, ob Gefahren lauern. Deshalb müssen sie aufmerksamer sein als Vögel, die ständig im gleichen Gebiet leben und die dortigen Gefahren gut kennen“, erklärt Hoeschele.
Potenzial von internationalen Großprojekten
Die Studie liefert damit erstmals breit angelegte Belege dafür, dass die Evolution von Neophobie durch ökologische Rahmenbedingungen geformt wurde. Zudem macht sie das Potenzial kollaborativer Großprojekte sichtbar, um komplexes Tierverhalten global vergleichbar zu untersuchen. Das Verständnis solcher Verhaltensmuster hilft auch zu erkennen, wie Tiere sich an ihre Umwelt anpassen – und letztlich, wie sich Verhalten im Laufe der Evolution entwickelt.
Auf einen Blick
Publikation
“A large-scale study across the avian clade identifies ecological drivers of neophobia.” ManyBirds Project, Rachael Miller, (…), Marisa Hoeschele et al., PLOS Biology
DOI: doi.org/10.1371/journal.pbio.3003394
Rückfragehinweis
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Wissenschaftlicher Kontakt:
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