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EnergiewendeSymposium

Warum Europa bei grüner Technologie nicht den Anschluss verlieren darf

Grüner Wasserstoff, Batterien, erneuerbare Energien – sie sind nicht nur Zukunftstechnologien, sondern Druckmittel im globalen Machtkampf. US-Politikwissenschaftlerin Miranda Schreurs erklärt, wie Europa jetzt handeln muss, um nicht den Anschluss zu verlieren. Am 28. Oktober ist sie an der ÖAW zu Gast.

27.10.2025
Eine spanische Sonnenfarm, in der ein zentraler Turm Sonnenlicht bündelt
Innovative grüne Technologien wie dieses konzentrierende Sonnenkraftwerk nahe dem spanischen Sevilla sind für Europa ein entscheidender Wettbewerbsfaktor.
© AdobeStock

Europa steht an einem entscheidenden Wendepunkt: Während alte Industrien schwinden und neue Technologien aufsteigen, verändert sich nicht nur die Wirtschaft – sondern das gesamte geopolitische Gleichgewicht. Wer die erneuerbaren Energien, Batterien und grünen Wasserstoffe kontrolliert, könnte in der globalen Machtarchitektur die Oberhand gewinnen. Doch Europa droht ins Hintertreffen zu geraten, wenn es jetzt nicht konsequent in Forschung, Innovation und grüne Technologien investiert.

Davon ist Miranda Schreurs, US-Politikwissenschaftlerin und derzeit Professorin für Umwelt- und Klimapolitik an der Hochschule für Politik München der Technischen Universität München, überzeugt. Beim Symposium "A systemic view on the transformation and de-fossilization of the European energy system” der Kommission zur Defossilisierung und Kohlenstoffneutralität des europäischen Energiesystems der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) am 28. Oktober 2025 wird Miranda Schreurs eine Keynote zum Thema halten. Im Interview erklärt sie, welche Chancen und Risiken hinter dieser neuen industriellen Revolution lauern – und welche Rolle China dabei spielt.

Technologieführer China

Frau Schreurs, der globale Wettbewerb um erneuerbare Technologien, Batterien und grünen Wasserstoff spitzt sich zu. Wie verändert die Energiewende das geopolitische Machtgefüge?

Miranda Schreurs: Die technologischen Veränderungen, die wir heute erleben, werden zu einem großen Teil darüber entscheiden, wie sich der globale Machtkampf zwischen Staaten entwickelt. Wir befinden uns mitten in einer neuen industriellen Revolution. Alte Technologien verschwinden allmählich, während neue ihren Platz einnehmen. Das sieht man etwa an der Verbreitung von Elektroautos, am Ausbau der erneuerbaren Energien oder bei der Batterietechnologie. Ähnliche Umbrüche werden wir auch in anderen Bereichen erleben, etwa durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz.

Wir befinden uns mitten in einer neuen industriellen Revolution.

Diese technologischen Veränderungen sind jedoch nicht nur ein wirtschaftliches Phänomen. Es geht nicht allein darum, welche Industrien neu entstehen und welche verschwinden. Entscheidend ist auch, wo investiert wird, wo produziert und wo Innovation tatsächlich stattfindet. All das beeinflusst letztlich auch das geopolitische Gewicht einzelner Länder.

Ein Beispiel, bitte.

Schreurs: Ein besonders deutliches Beispiel ist derzeit China. In den vergangenen Jahrzehnten verzeichnete das Land ein außergewöhnlich hohes Wirtschaftswachstum – im Schnitt rund zehn Prozent pro Jahr bis vor etwa fünf Jahren. Darauf aufbauend hat China gezielt versucht, in zentralen Zukunftstechnologien eine führende Rolle zu übernehmen. Das ist nicht in allen Bereichen gelungen, aber in vielen – insbesondere bei erneuerbaren Energien und der industriellen Fertigung entsprechender Produkte.

Oder in der Elektromobilität: Lange konnte China auf dem globalen Automarkt kaum Fuß fassen, inzwischen ist es jedoch zum dominanten Akteur bei E-Autos, E-Bikes und anderen Formen elektrischer Mobilität geworden. Diese Entwicklung sorgt in Europa und den USA für Nervosität, denn viele Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt von der Autoindustrie ab. Können unsere Unternehmen technologisch oder kostenseitig nicht mithalten, wirft das langfristige wirtschaftliche – und damit geopolitische – Fragen auf.

Europa steht auf der Bremse

Apropos China. Das geopolitische Dilemma Europas zeigt sich auch bei kritischen Rohstoffen, die für erneuerbare Energien unverzichtbar sind.

Schreurs: China verhängt derzeit Exportverbote und versucht damit, seine Macht über seltene Erden auszuspielen. China kontrolliert rund 80 Prozent der weltweiten Produktion – je nach Element etwas unterschiedlich, aber im großen Ganzen ist die Abhängigkeit klar. Damit haben wir in Europa eine ähnliche Situation geschaffen wie einst beim russischen Gas. Spätestens seit dem Ukrainekrieg ist uns bewusst geworden, wie wichtig Diversifizierung ist.Es braucht neue Lieferverträge mit anderen Ländern, was allerdings schwierig ist, weil derzeit weltweit alle dasselbe Ziel verfolgen.

Ein großer Vorteil der erneuerbaren Energien ist ihre Vielfalt: Wenn eine Energiequelle ausfällt, stehen andere zur Verfügung.

Könnte Europas Übergang zu erneuerbaren Energien ein Hebel sein, um sich auch sicherheitspolitisch neu aufzustellen und zu stärken?

Schreurs: Ja, absolut. Wenn Europa unabhängiger von importierter Energie wird, ist es in vielerlei Hinsicht sicherer. Ein großer Vorteil der erneuerbaren Energien ist ihre Vielfalt: Wenn eine Energiequelle ausfällt, stehen andere zur Verfügung. Das macht das System insgesamt stabiler.
Ein Problem im internationalen Wettbewerb ist allerdings, dass wirtschaften in Europa teuer ist – hohe Löhne, hohe Immobilienkosten, teure Energie. Wenn Europa jedoch seine eigene Energie entwickelt und ausbaut, könnten die Kosten langfristig sinken. Erneuerbare Energien sind inzwischen so günstig, dass sie kaum noch ein großer Kostenfaktor sind. Teuer bleibt Energie vor allem dann, wenn man weiterhin Öl und Gas importieren muss.

Meine Sorge ist, dass Europa in dieser Phase falsche Entscheidungen trifft: Statt konsequent in grüne Technologien zu investieren, droht man zu bremsen. Wenn das passiert, könnte Europa im globalen Wettbewerb um Energie und Innovation schnell ins Hintertreffen geraten.

Wir müssen also viel mehr in Forschung, Innovation und grüne Technologien investieren, statt an alten Strukturen festzuhalten. Wichtig ist, dass wir die Krise nicht als Ausrede nutzen, um Innovationen zu bremsen. Wenn Europa in Zukunft eine relevante Rolle spielen will, muss es in diesen neuen Technologiefeldern aktiv mitgestalten.

Grüne Energie als Happy End?

Wie bewerten Sie den Fortschritt beim Ausbau erneuerbarer Energien in Europa?

Schreurs: Ich würde sagen: Wir haben schon viel erreicht. Man darf den Fortschritt nicht übersehen. In Deutschland zum Beispiel stieg der Anteil erneuerbarer Energien am Strommix in den vergangenen 25 Jahren von rund 3 Prozent auf fast 60 Prozent. Das ist wirklich beachtlich. Auch in Österreich – und in vielen anderen Teilen Europas wurden bei erneuerbaren Energien enorme Fortschritte gemacht. Problematisch ist allerdings, dass diese Entwicklung nicht überall gleich stark ist.

Wir müssen viel mehr in Forschung, Innovation und grüne Technologien investieren.

Das zeigt sich etwa bei der Infrastruktur für E-Autos: In Ländern wie Norwegen, Dänemark oder den Niederlanden funktioniert sie hervorragend, in Deutschland immerhin teilweise – aber in Süd- und Osteuropa gibt es noch viele Lücken. Ähnlich sieht es bei den Stromnetzen aus. Oft müssen Windparks abgeschaltet werden, weil mehr Energie erzeugt wird, als die Netze transportieren können. Hier brauchen wir eine stärker europäisch gedachte Infrastruktur.
Aber es gibt tatsächlich Lobbys, die versuchen, die öffentliche Meinung gegen erneuerbare Energien zu beeinflussen. Besonders in wirtschaftlich schwächeren Regionen ist das spürbar – dabei könnten gerade dort neue Chancen und Arbeitsplätze entstehen.


Müsste die Energiewende in Europa neu erzählt werden: als Wirtschaftsoffensive statt als    „moralisches Klimaprojekt?

Schreurs: Ja. Statt nur über Verzicht zu sprechen, sollten wir betonen, was wir gewinnen können: lebenswertere, grünere Städte, weniger Lärm durch Elektromobilität oder öffentlichen Verkehr, geringere Gesundheitskosten, sichere Arbeitsplätze in neuen Branchen.
Auch die Arbeitsbedingungen verändern sich – wer heute in einer Kohlengrube arbeitet, könnte morgen beim Ausbau von Solaranlagen beschäftigt sein. Wir sollten die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Vorteile viel stärker hervorheben – ebenso die Chancen in Bereichen wie Stadtplanung, Kreislaufwirtschaft, Materialforschung, Produktdesign oder Recyclingtechnologien. Das eröffnet ein breites Spektrum an Jobs, nicht nur für Akademiker:innen, sondern auch für handwerklich Tätige.

Kurz gesagt: Wir brauchen ein besseres Narrativ. Politik funktioniert über Geschichten – und vielleicht war das bisherige Storytelling einfach zu düster. Wir brauchen mehr Zukunftsoptimismus, mehr „Happy Ending“.

 

Auf einen Blick
 

Miranda Schreurs, US-amerikanische Politikwissenschaftlerin, ist Professorin an der Hochschule für Politik München (HfP) der Technischen Universität München und Inhaberin des Lehrstuhls für Umwelt- und Klimapolitik. Sie spricht am 28. Oktober 2025 beim Symposium "A systemic view on the transformation and de-fossilization of the European energy system", veranstaltet von der Kommission zur Defossilisierung und Kohlenstoffneutralität des europäischen Energiesystems der ÖAW.

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