09.01.2023 | Medienpädagogik

Warum Eltern mit Kindern Videospiele spielen sollten

Der angemessene Umgang mit Spielen auf Smartphone, Computer oder Konsole stellt viele Eltern vor Herausforderungen. Im Rahmen der ÖAW-Veranstaltungsserie "Colloquium Digitale" befasste sich der Bildungswissenschaftler Markus Meschik im vergangenen Herbst mit genau dieser Thematik. Im Gespräch teilt er seine Einschätzungen zu dem vermeintlich schlechten Ruf von Videospielen, der Auswahl geeigneter Spiele und vielem mehr.

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Lockdown, Schulschließungen, kein Kontakt zu Freund:innen. Social Distancing führte in der Corona-Pandemie dazu, dass viele Kinder mehr Zeit mit Spielen am Smartphone, Computer und Spielekonsolen verbrachten. Müssen sich Eltern angesichts dieser Entwicklung Sorgen machen? Oder bergen digitale Spiele mehr pädagogisches Potenzial als man vermutet?

Der Bildungswissenschaftler Markus Meschik forscht zu Fragen wie diesen. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Colloquium Digitale: Digitalisierung, Mensch und Gesellschaft" der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gab er im vergangenen Herbst Einblicke in unterschiedliche Ergebnisse seiner Arbeit. Wichtige Empfehlungen und Einschätzungen zur Wirkung von digitalen Spielen auf Kinder und Jugendliche gibt er nun auch hier im Gespräch.

Viel Potenzial bei Videospielen

Kinder und Jugendliche haben in den vergangenen Jahren der Pandemie deutlich mehr Zeit mit digitalen Spielen verbracht. Was sagen Sie zu dieser Entwicklung?

Markus Meschik: Kinder und Jugendliche haben hier in einer schwierigen Zeit Kanäle gefunden, um mit Gleichaltrigen in Kontakt zu bleiben. Erwachsene Menschen machen sich oft Sorgen, dass Kinder, die viel Zeit mit digitalen Spielen verbringen, suchtgefährdet seien. Dabei haben sich die jungen Menschen den Älteren zuliebe zurückgenommen und sich sozial isoliert – so wie wir alle.

Spiele bieten jede Menge kognitive Herausforderungen.

Apropos Sorgen. Digitale Spiele haben bei Eltern oft nicht so einen guten Ruf. Aber: Steckt nicht auch pädagogisches Potenzial in Videospielen?

Meschik: In jedem Fall steckt darin viel pädagogisches Potenzial. Das zeigen auch Studien der Hirnforschung. Wir lernen, wenn wir spielen. Spiele bieten jede Menge kognitive Herausforderungen. Sei es dadurch, dass man die Mechanik des Spiels lernen oder die Semantik verstehen muss. Spiele stellen die Reaktionsfähigkeit auf die Probe. Ob man dieses Wissen dann auch in einen anderen Kontext transferieren und nutzbar machen kann, ist aber fragwürdig. Meiner Meinung nach reicht es aber völlig, wenn man dadurch freudvolle Situationen schaffen kann, dann ist es doch mehr als man von einem Computerspiel erwarten kann.

Gilt das für alle Computerspiele?

Meschik: Es gibt Spiele, die nicht gut durchdacht sind oder die den Fokus darauf gelegt haben, möglichst viele Geldausgaben von den Spielenden zu erzwingen. Der Mobile Games Markt ist voller glückspielartiger Elemente, darunter leidet der Spielcharakter. Wir führen derzeit an der Uni Graz eine Erhebung durch, um mehr über In-Käufe bei Kindern und Jugendlichen zu erfahren. Denn: Spiele führen zu hohen Geldausgaben bei Kindern und Jugendlichen.

Ausprobieren und Recherchieren

Was gibt Orientierung bei der Auswahl von Spielen? 

Meschik: Am besten ist es, sich kurz Zeit zu nehmen und das Spiel auszuprobieren. Wenn man sich aus dem Appstore ein Spiel auf das Smartphone lädt, kann man gleich lästige Push-Benachrichtigungen ausschalten und Käufe verbieten. Bei größeren Spielkäufen empfiehlt es sich vorher ein Video dazu auf Youtube anzuschauen, wo über das Spiel geredet wird. Hier erfährt man sehr viel über die Weltsicht der Kinder und Jugendlichen, denn diese ist stark von Influencern geprägt. Ein anderer Tipp: sich an die BuPP, die Bundesstelle für die Positivprädikatisierung von Computer- und Konsolenspielen, wenden. Hier bewerten wir Videospiele auf ihre pädagogische Angemessenheit.

Der wünschenswerteste Fall ist, wenn sich auch die Eltern für das Medium begeistern können, mit dem Kind mitspielen und damit gemeinsam Zeit verbringen.

Eltern sollten also Interesse an den Spielen ihrer Kinder zeigen?

Meschik: Der wünschenswerteste Fall ist, wenn sich auch die Eltern für das Medium begeistern können, mit dem Kind mitspielen und damit gemeinsam Zeit verbringen. Das ist natürlich nicht leicht, weil manche Erwachsene schwer Zugang zu Computerspielen finden – auch das ist legitim. Wichtig ist aber, dass man mit Kindern über Spiele redet und Interesse daran zeigt, womit sie ihre Zeit verbringen – und nicht sofort eine abwertende Haltung einzunehmen.

Und wie wichtig ist es, sich Regeln über die Spieldauer auszumachen?

Meschik: Sehr wichtig. Mit Regeln vermitteln Eltern ihren Kindern: Ich lasse dich mit deinem Medienkonsum nicht allein. Für Kinder muss klar sein, das Videospiele nichts Banales sind, das ohne Regeln konsumiert werden darf. Denn: Es gibt viele gute Gründe, um Medienkonsum zu regulieren, sei es aufgrund problematischer Inhalte oder problematischer Verhaltensweisen. Welche Regeln das dann im Detail sind, hängt vom Kind ab.

Videospiele und Suchtverhalten

Viele Spiele sind so konzipiert, dass es Kindern sehr schwer fällt aufzuhören. Wo beginnt Suchtverhalten?

Meschik: Die wichtigste Frage, wenn Kinder sehr viel Zeit mit Medien verbringen, ist: Welches Bedürfnis steckt dahinter? Videospiele sind eine Möglichkeit, um viele verschiedene Bedürfnisse zu befriedigen. Etwa soziale Kontakte zu halten, Freundschaften über Computerspiele zu finden, aber auch soziale Anerkennung zu bekommen, wenn man besonders gut in einem Spiel ist. Vor allem in der jugendlichen Welt ist Anerkennung in der Peer Group sehr wichtig, aber gleichzeitig sehr schwer zu bekommen. Oft spielen Kinder und Jugendliche auch, um sich von negativen Gefühlen abzulenken – das kann mit beginnendem Suchtverhalten assoziiert werden.

Ein Indikator für beginnendes Suchtverhalten ist der Verlust von Interesse für andere Dinge.

Welche anderen Indikatoren weisen auf suchtartiges Spielen hin?

Meschik: Ein anderer Indikator für beginnendes Suchtverhalten ist der Verlust von Interesse für andere Dinge. Etwa, wenn Computerspiele da einzige sind, was für die Kinder und Jugendlichen noch interessant ist. Was bei uns in der Beratung oft passiert, ist, dass Videospiele total glorifiziert werden bei gleichzeitiger Abwertung des Alltags.

Wie kann man hier vorbeugen?

Meschik: Jede Sucht ist „erblich“ – nicht durch Gene, sondern durch Lebensumstände. Wer seinem Kind ein gelungenes Leben und alternative Freizeitgestaltung vorlebt, beugt vor. Oder in dem man eine stabile Bindung zu seinem Kind aufbaut, beugt man vor. Suchterkrankungen entstehen meistens aus traumatischen Erlebnissen oder aus Bindungsstörungen.

Männliche Stereotype

Stimmt der Eindruck, dass mehr Buben als Mädchen ihre Zeit mit digitalen Spielen verbringen?

Meschik: Computerspiele werden noch immer oft als Medium für Burschen gesehen. Das ist kein Zufall, sondern das Resultat einer jahrelangen Ausrichtung von Spieleherstellern an ein männliches Zielpublikum. Viele Spiele wurden von Männern für Männer entwickelt, weibliche Spielfiguren fehlen. Dadurch haben sich vielerorts auch ganz seltsame männliche Stereotype durchgesetzt und die Communities toxisch gemacht. Und das ändert sich nur sehr langsam.

 

AUF EINEN BLICK

Markus Meschik ist Erziehungs- und Bildungswissenschaftler mit Schwerpunkt in den Bereichen Sozialpädagogik und Medienpädagogik. Er ist Gutachter und Experte für die Bundesstelle zur Positivprädikatisierung von Computer- und Konsolenspielen (BUPP) und leitet die Beratungsstelle enter​ in Graz.

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Colloquium Digitale" hielt er 2022 einen Vortrag an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Die nächste Veranstaltung in dieser Reihe findet am 12. Jänner 2023 statt:

Colloquium Digitale