14.09.2022 | Biosphärenparks

Vom Walsertal bis zum Amazonas Europas

Seit über 50 Jahren entwirft, erprobt und realisiert das UNESCO-Programm „Man and the Biosphere“ Modelle für eine nachhaltige regionale Entwicklung bei gleichzeitigem Schutz der Umwelt. Größter Erfolg in Österreich ist die Einrichtung von inzwischen vier Biosphärenparks. Angesiedelt ist das Programm an der ÖAW.

Das Große Walsertal bildet den ältesten der vier Biosphärenparks in Österreich, die vom an der ÖAW koordinierten UNESCO-Programm „Man and the Biosphere“ initiiert wurden. © Friedrich Böhringer/Wikimedia Commons/ Attribution-Share Alike 2.5 Generic

Wie kann eine nachhaltige Entwicklung der Beziehung Mensch-Umwelt aussehen? Mit dieser Frage setzt sich das UNESCO-Programm „Man and the Biosphere“ (MAB) seit mehr als fünf Jahrzehnten auseinander. Seit 1972 ist MAB an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) verortet.

Die diesjährige EuroMAB-Konferenz vom 12. bis 16. September in Bad Kleinkirchheim im Kärntner Teil des UNESCO-Biosphärenparks „Salzburger Lungau und Kärntner Nockberge“ bildet den Rahmen zur Feier des 50jährigen Jubiläums des österreichischen MAB-Nationalkomitees.  Unter dem Motto "Tying cultures. Crossborder cooperation between societies and generations" diskutieren etwa 150 Delegierte aus 27 Staaten.

Wie das Programm interdisziplinäre und international vernetzte Forschung fördert und welche Rolle das weltweite Biosphärenpark-Netzwerk darin spielt, erklärt Jörg Böckelmann, Koordinator der Forschungsförderung an der ÖAW.

MITEINANDER VON MENSCH UND NATUR

Was genau ist das Programm „Man and the Biosphere“?

Jörg Böckelmann: „Man and the Biosphere“, kurz MAB, ist ein Programm der UNESCO, das 1971 gegründet wurde. Als eines der ersten Länder errichtete Österreich bereits 1972 an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ein Nationalkomitee. Mittlerweile beteiligen sich 134 Länder an diesem Programm für nachhaltige Entwicklung und haben dementsprechende Naturschutzgebiete geschaffen. Das Besondere: MAB verbindet Natur- und Sozialwissenschaften und schafft wissenschaftliche Grundlagen zur Verbesserung der Beziehung von Mensch und Natur. Es geht also nicht nur darum, die Lebensgrundlage der Menschen zu verbessern, sondern vor allem auch ein nachhaltiges Miteinander von Mensch und Natur zu erreichen.

Biosphärenparks sind den Nationalparks ähnlich organisiert, verstehen sich aber als Modellregionen für nachhaltige Entwicklung.

Wie kann ein nachhaltiges Miteinander gelingen?

Böckelmann: Die wohl wichtigste Einrichtung dieses Programms sind die Biosphären-Parks. In Österreich gibt es davon vier, der älteste ist der im Jahr 2000 gegründete Park Großes Walsertal und erst 2019 wurde der im internationalen Vergleich einzigartige fünf Länder überschreitende Biosphärenpark Unteres Murtal in der Steiermark gegründet. Dieser wird auch Amazonas Europas genannt und alle Parks werden vom Nationalkomitee wissenschaftlich begleitet und beraten. Die Biosphärenparks sind den Nationalparks ähnlich organisiert, verstehen sich aber als Modellregionen für nachhaltige Entwicklung: In der Kernzone steht die Natur im Mittelpunkt, während in der Entwicklungszonen die nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und die Lebensqualität der Bevölkerung im Fokus sind.

LEBENDE LABORE FÜR NACHHALTIGKEIT

Welche Forschungen finden im Rahmen von MAB statt?

Böckelmann: Wir sehen die Biosphärenparks als lebende Labore für eine nachhaltige Entwicklung. Hier werden verschiedene Forschungsideen aus den Natur- und Sozialwissenschaften unter der Miteinbeziehung von lokalem Wissen umgesetzt. Besonders interessiert sind wir an Best Practice Beispielen, mit deren Hilfe man aus der Realität heraus Rückschlüsse ziehen kann, wie denn eine solche Zusammenarbeit am besten funktioniert. Denn natürlich gibt es bei der menschlichen Nutzung von Naturräume viele Konflikte, etwa zwischen Landnutzung und Naturschutz. Das ist einer der großen Schwerpunkte, die wir in unseren Forschungsaktivitäten setzen.

In den Nockbergen mündete ein Forschungsprojekt in einen flexibles und bedarfsorientiertes Mobilitätssystem als Alternative zum privaten PKW, „Nockmobil“ genannt.

Ein Beispiel, bitte.

Böckelmann: Als sehr erfolgreiche Projekte, die auch einen wirtschaftlichen Erfolg in der Region haben, würde ich in Vorarlberg das „Alchemilla Kräuterfrauen“- und das „Bergholz“-Projekt nennen. Ersteres schützt und pflegt nicht nur die artenreichen Alpenwiesen, sondern die Produkte werden hier auch kommerziell vermarktet. Das Team von Bergholz wiederum baut nachhaltige Häuser die komplett in der Region produziert werden. In den Nockbergen mündete ein anderes Forschungsprojekt in einen flexibles und bedarfsorientiertes Mobilitätssystem als Alternative zum privaten PKW, „Nockmobil“ genannt.

KLIMAKRISE UND BIODIVERSITÄT IM BLICK

Haben alle Forschungen den Klimawandel im Fokus?

Böckelmann: Es geht natürlich auch um den Klimawandel, aber nicht nur. Neben der Klimakrise stecken wir ja auch in einer Biodiversitätskrise, also dem Verlust von Tier- und Pflanzenarten. Diese ist leider medial noch nicht so bekannt gemacht worden, aber tatsächlich sind die Veränderungen in der Landnutzung hier das größte Problem. Denn: Auch durch die Nutzungsaufgabe können Lebensräume der Arten verloren gehen. Neben der Landwirtschaft sind auch Tourismus, Verkehr und Industrie große Treiber des Artenverlusts, der durch den Klimawandel zusätzlich angetrieben wird. Das schließt natürlich die Forschung zum Klimawandel nicht aus, aber es ist nicht das einzige Thema, das im Rahmen von MAB schwerpunktmäßig behandelt wird.

Neben der Klimakrise stecken wir auch in einer Biodiversitätskrise, also dem Verlust von Tier- und Pflanzenarten.

Was konnte neben den Biosphärenparks bisher in Österreich erreicht werden?

Böckelmann: Was uns von vielen anderen Nationalkomitees unterscheidet: Wir haben Ressourcen zur Verfügung, um regelmäßig wissenschaftliche Projekte fördern zu können. Auch derzeit läuft ein Call, bei dem insgesamt 600.000 Euro Fördergeld zur Verfügung stehen.

Und über die Grenzen Österreichs hinaus?

Böckelmann: Es besteht eine enge Kooperation mit den Nachbarländern, insbesondere mit den deutschen und den Schweizer Biosphärenparks. Und die alle zwei Jahre stattfindende EuroMAB, die derzeit in den Kärntner Nockbergen ausgerichtet wird, bringt Personen aus Europa und Nordamerika, wo sich insgesamt 300 Parks befinden, zusammen. Einmal in acht Jahren kommen zudem Vertreter*innen aus allen 700 Parks der Welt zum Weltkongress der Biosphärenparks zusammen.

 

AUF EINEN BLICK

Jörg Böckelmann leitet das Forschungsprogramm Earth System Sciences (ESS), ein von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) durchgeführtes Programm des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung, das auf die Erforschung des Systems Erde abzielt. Teil von ESS ist auch die Koordination des österreichischen Nationalkomitees des UNESCO-Programms „Man and the Biosphere“.

Von 12. bis 16. September findet im Kärntner Teil des UNESCO Biosphärenparks Salzburger Lungau und Kärntner Nockberge die diesjährige Konferenz EuroMab statt.

Informationen zum aktuellen Call sind auf der ÖAW-Website beim Earth System Science Programm zu finden. Die Deadline für die Einreichung von Forschungsprojekten ist am 31.10.2022.