29.11.2024 | Medienforschung

Wege und Stolper­steine der Wissenschafts­kommunikation

Der Medienforscher Andreas Scheu von ÖAW und Universität Klagenfurt schildert im Gespräch seine Erkenntnisse über Erwartungen, Möglichkeiten und Grenzen, die mit der Vermittlung von Wissenschaft an die Öffentlichkeit verbunden sind.

Das Teilen von Forschungsinhalten mit der Öffentlichkeit ist für viele Wissenschaftler:innen eine wichtige und herausfordernde Aufgabe. © AdobeStock

Wie lassen sich wissenschaftliche Inhalte an die Bevölkerung vermitteln? Und warum ist das überhaupt wichtig? Andreas Scheu, Wissenschaftler am Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Universität Klagenfurt, erforscht diese Fragen aus unterschiedlichen Perspektiven. Im Gespräch betont er den Wert des persönlichen Austauschs mit Menschen und die Notwendigkeit einer gezielten kommunikativen Heransgehensweise, um das Vertrauen in die Wissenschaften zu stärken. 

Menschenrechte

Wer braucht denn überhaupt Wissenschaftskommunikation?

Andreas Scheu: In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, Artikel 27, steht geschrieben „Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben.“ Wenn man diesen Artikel ernst nimmt, dann wäre die Antwort: Jede:r muss den Zugang zu Informationen zum wissenschaftlichen Fortschritt haben. Das bedeutet aber nicht, dass jeder Wissenschaftskommunikation rezipieren muss.

Wissenschaftskommunikation hat aber oft auch mit einer Rechenschaftspflicht gegenüber jenen, die den Wissenschaftsbetrieb finanzieren, zu tun. Inwiefern ist das relevant?

Scheu: Ja, der Großteil der Finanzierung kommt von den Steuerzahler:innen. Wir haben Entscheider:innen in Wissenschaftsorganisationen befragt und dabei gemerkt, dass diese Art der Legitimation enorm wichtig ist. Viele geben aber auch gemeinwohlorientierte Ziele der Wissenschaftskommunikation an. Sie wollen aufklären und damit die Gesellschaft besser machen. Hinzu kommen karriereorientierte Ziele: Wissenschaftler:innen wollen, dass Kolleg:innen ihren neuen Aufsatz wahrnehmen, damit er auch zitiert wird. Oder man will sich für die nächste Berufungsverhandlung besser aufstellen. Dieses Selbstmarketing – auch von Organisationen – ist durchaus legitim.

Auch die Wirtschaft braucht ein wissenschaftsaffines Umfeld.

Scheu: Ja, auch der Bereich des Transfers fällt hier hinein: Standorte brauchen wissenschaftliche Innovation, Patente, Gründungen. Gleichzeitig brauchen auch Universitätsleitungen oder die Politik Wissenschaftskommunikation, um entsprechende Schwerpunktsetzungen zu argumentieren.

Inwiefern hat sich die Ausprägung von Wissenschaftskommunikation in der Praxis verändert?

Scheu: Früher gab es die Idee, dass die Wissenschaft autonom und weitgehend abgeschottet von der Welt funktioniert. Wer sich für Wissenschaft interessiert, könne sich diese Informationen ja selbst holen. Entsprechend verbreitet war auf Seiten der Forschung das Defizitmodell, ein Modell das von einem Wissensdefizit in der Bevölkerung ausgeht. Etwa zur Jahrtausendwende wurde diese Vorstellung von dialogorientierteren Modellen abgelöst, beispielsweise für den deutschen Sprachraum vom PUSH-Memorandum (Public Understanding of Sciences and Humanities). Mittlerweile beinhaltet das Verständnis von Wissenschaftskommunikation auch partizipative Ansätze wie transformative Forschung oder Citizen Science, wo die Bürger:innen selbst an Wissenschaft mitwirken.

Oft scheint es, als würden wir vor allem diejenigen erreichen, die schon wissenschaftsaffin sind: „preaching to the choir“.

Was wissen wir denn über die Rezeption: Wen erreichen wir denn mit Wissenschaftskommunikation?

Scheu: Oft scheint es, als würden wir vor allem diejenigen erreichen, die schon wissenschaftsaffin sind; „preaching to the choir“ nennt das die englischsprachige Community. Da heraus zu kommen, und zum Beispiel mit Jungen oder mit denjenigen, die Wissenschaft eher fernstehen, in Austausch zu kommen, ist schwierig. Wenn wir beispielsweise an Wissenschaftsskeptiker:innen oder Wissenschaftskritiker:innen denken, sehen wir, dass diese Gruppen Medien häufig höchst selektiv nutzen. Sie nutzen Medieninhalte, die durch ihre sozialen Kontakte vorselektiert sind, und geraten daher häufig an Informationen, die mit dem eigenen Weltbild übereinstimmen.

Dialogorientierte Formate

Wie kann es trotzdem gelingen, in Kontakt zu kommen?

Scheu: Ich glaube, dass der persönliche Kontakt und dialogorientierte Formate sehr viel bringen. Wir sehen eine Reihe von Formaten, die auf einen gleichberechtigten Austausch auf Augenhöhe setzen wie Wissenschaftsvermittlung auf Marktplätzen oder in Dörfern. Hier kommt man mit Menschen vor Ort ins Gespräch.

Inwiefern passt das zu dem, was Wissenschaft eigentlich ausmacht?

Scheu: Ich meine, dass der Kern der Wissenschaft bewahrt werden muss: Es geht um die Generierung von Wissen, das mit methodisch klaren Regeln, transparent und nachvollziehbar geschaffen wird. Daran soll und darf man nicht rütteln. Das bringt mit sich, dass die Prozesse oft länger dauern, und dass alle Beteiligten Unsicherheiten aushalten müssen. Ich bin der Meinung, dass es der Job der Wissenschaft ist, Differenzierung in den Diskurs zu bringen und nicht mehr Einfachheit zu generieren. Damit verliert man unter Umständen im Wettbewerb um Aufmerksamkeit. Vielen gelingt aber der Spagat ganz gut. Diese Menschen brauchen dann auch Unterstützung vom System. Das betrifft aber nicht den Kern, sondern eher die Peripherie des Wissenschaftsbetriebs.

Wie können sie unterstützt werden?

Scheu: Wenn Wissenschaftskommunikation ein Teil der Aufgabe von Wissenschaftler:innen sein soll, dann sollte das auch in den Verträgen geregelt sein. Diese Tätigkeiten müssten also nicht abends oder nachts oder am Wochenende erledigt werden, sondern es braucht auch Strukturen, damit Zeit dafür vorhanden ist. Einige Universitäten bieten zum Beispiel Entlastung in der universitären Lehre, um praktische Wissenschaftskommunikation zu machen.

Aufmerksamkeitsökonomie und Social Media

Die Marktplätze und Stammtische sind heute vielerorts online und rund um die Uhr verfügbar. Wie kann die Wissenschaftskommunikation mit den Funktionslogiken der Social-Media-Plattformen umgehen? Soll sie mitspielen?

Scheu: In unserem kommunikativen System hat sich die Aufmerksamkeitsökonomie total zugespitzt. Darin involviert sind auch klassische journalistische Medien, die ihre Leser:innen ja oft über soziale Plattformen erreichen. Basis für den Erfolg ist dort immer die Interaktion, also Likes, Dislikes, Shares. Aufmerksamkeit erziele ich da am einfachsten durch Zuspitzung. Das sollten wir nicht bedienen und stattdessen weiterhin angemessen und differenziert kommunizieren. Unter Umständen müssen wir also auf Reichweite verzichten. Ansonsten setzen wir Vertrauen und Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Hybride Formate, bei denen wir mit Menschen persönlich in Austausch kommen und sie dann auch online unterhaltsam informieren, sind meines Erachtens erfolgversprechender.

Man kann zum Beispiel unterschiedliche Informationstiefen anbieten.

Kann man TikTok und Co also getrost für die Wissenschaftskommunikation aufgeben?

Scheu: Nein, das auf keinen Fall! Wissenschaftskommunikation sollte grundsätzlich auch auf diesen Plattformen präsent sein. Aber es muss nicht jede:r dort kommunizieren und diese Kanäle eignen sich auch nicht für alle Zwecke. Die Forschung zeigt, dass die Art, wie dort Aufmerksamkeit für Botschaften generiert wird, negative Effekte haben kann. Dem sollten wir uns bewusst sein und das kompensieren. Man kann zum Beispiel unterschiedliche Informationstiefen anbieten. Vom TikTok-Video kommt man zu einem ausführlicheren Erklärvideo und dann gibt es den Link zur Studie. So können die Nutzer:innen frei entscheiden, welche Tiefe sie nutzen.

Methoden, Konsens und Unsicherheiten

Sie haben das Vertrauen in die Wissenschaft angesprochen. Mit welchen Inhalten können wir es aufbauen?

Scheu: Lohnend wäre es, auf langfristige Effekte zu setzen. Beim Vertrauen in die Wissenschaft geht es weniger um die Vermittlung einzelner Studienergebnisse, sondern darum, zu erklären, wie wissenschaftliche Methoden funktionieren, wie wissenschaftlicher Konsens entsteht, wie die Wissenschaft mit Unsicherheiten umgeht, und es geht um den Austausch zwischen Wissenschaft und Bevölkerung.

Befragte sehen sich nicht als Wissenschaftsskeptiker:innen, sondern als Medienskeptiker:innen.

Kann man so auch Wissenschaftsskeptiker:innen erreichen?

Scheu: In einem Forschungsseminar haben Studierende Wissenschaftsskeptiker:innen befragt. Dabei hat sich gezeigt: Diese haben viel Wissen über den Wissenschaftsbetrieb. Viele sagten uns aber, dass in den Medien die für sie falschen Forscher:innen zu Wort kommen würden. Wir haben daraus gelernt: Diese Befragten sehen sich nicht als Wissenschaftsskeptiker:innen, sondern als Medienskeptiker:innen.

Gibt es eigentlich Fächer, die es mit der Wissenschaftskommunikation leichter haben als andere?

Scheu: Ich glaube, dass die Linie eher zwischen Grundlagenforschung und anwendungsorientierter Forschung verläuft. Grundsätzlich ist für mich klar, dass nicht jede:r kommunizieren muss. Oft gelingt es, auch für sperrige Themen aus der Grundlagenforschung einen Draht zur Öffentlichkeit zu finden, aber nicht immer. Das ist auch in Ordnung. Wissenschaftskommunikation ist wichtig, aber nicht jeder muss sie praktizieren und es gibt ja auch professionelle Kommunikator:innen, die die Wissenschaft da entlasten. Hinzu kommt eine enorme Erwartungshaltung gegenüber Wissenschaftskommunikation von Seiten politischer Akteur:innen. Bestimmt spielt Wissenschaftskommunikation eine ernsthafte Rolle bei der Lösung aktueller Herausforderungen, sie ist dabei aber ein Baustein und kein Allheilmittel.

 

Auf einen Blick

Andreas M. Scheu ist Professor für „Science Communication and Science Journalism“ an der Universität Klagenfurt und Forscher am Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der ÖAW und Universität Klagenfurt.