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Sprachforschung

Rechtschreibreform: Was ändert sich?

Der Rechtschreibrat hat neue Regeln zur Rechtschreibung beschlossen, die mit 1. September in Kraft getreten sind. Der ÖAW-Soziolinguist Manfred Glauninger erklärt im Gespräch, was davon betroffen ist. Und warum man keine Angst vor Sprachverfall durch Anglizismen haben sollte.

07.10.2025
Eine Hand mit Bleistift ruht über einem Notizblock, im Hintergrund ist eine Tastatur zu sehen
© AdobeStock

Sprache ist ein lebendiges System, das sich ständig verändert. Es würde seltsam klingen, wenn wir wie vor 100 Jahren sprechen würden. Trotzdem entfachen sich regelmäßig heiße Debatten, wenn sich in Sachen Rechtschreibung etwas verändert. Vor allem sogenannte Anglizismen, also aus dem Englischen übernommenen Wörter oder Phrasen, erhitzen die Gemüter.

Seit 1. September gibt es im deutschsprachigen Raum neue Rechtschreibregeln, deren Anspruch unter anderem auch ist, die Schreibung von Anglizismen und Fremdwörtern zu vereinfachen. Für eine Übergangsfrist von zwei Jahren ist allerdings auch noch die Schreibung nach den alten Regeln zulässig. Manfred Glauninger, Soziolinguist am Austrian Centre for Digital Humanities der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), gibt einen Überblick und erklärt, warum sprachliche Regelverstöße oft dazu führen, dass man zu neuen Normen kommt. Und welche Fragen nach wie vor offen sind.

Regelverstöße werden zur Norm

Warum braucht es neue Regeln?

Manfred Glauninger: Die Rechtschreibung ist einer jener Bereiche, in dem die gesellschaftliche Dimension von Sprache deutlich wird. Viele Menschen, die sich sonst gar nicht bewusst mit Sprache beschäftigen, interessiert es plötzlich, wenn etwas in der Rechtschreibung verändert werden soll. In bestimmten Abständen muss man bei der Rechtschreibung „ein paar Schrauben nachziehen“, weil sich sprachliche Konventionen – wie alles Gesellschaftliche – verändern.

Aber werden damit nicht auch Regelverstöße zur neuen Norm erhoben?

Glauninger: Genau. Aber das war immer schon so, dass sich der Gebrauch vor allem der gesprochenen Sprache meist nicht an die kodifizierten Normen hält. Wenn genügend Menschen sogenannte Fehler machen, dann können diese Sprachgewohnheiten irgendwann gesellschaftlich legitimiert sein. Dann zieht das Regelwerk nach, das ja auch historisch gewachsen ist. Betroffen sind oft Bereiche der Rechtschreibung, die unlogisch erscheinen oder sehr kompliziert sind. Der Sinn der Rechtschreibung ist schließlich, dass sie möglichst einfach ist. Und damit eine einheitliche Schreibung garantiert.

Junge Menschen sind immer die Sündenböcke für den angeblichen Sprachverfall.

Kritische Stimmen behaupten aber, dass die Sprache dadurch vereinfacht und flacher wird?

Glauninger: Das ist eine sehr eingeengte Sicht auf Sprache. Ein Paradebeispiel dafür ist der Blick auf die Jugendsprache. Junge Menschen sind immer die Sündenböcke für den angeblichen Sprachverfall. Aber dabei ändern sich doch ständig gesellschaftliche Konventionen. Wenn wir uns auf YouTube Fernsehsendungen aus den 1970er-Jahren ansehen, staunen wir, welch ein hochgestochener Sprachduktus da vorherrschte. Alles war viel förmlicher, auch die Kleidung, die Männer stets mit Anzug und Krawatte. Sprachlich würde das heute gekünstelt wirken.  Die Gesellschaft hat sich in vielen Bereichen gewandelt, die Sprache ist nur ein Aspekt davon.

Rolle der Anglizismen

Wie sieht es mit Anglizismen aus, die immer stärker präsent sind?

Glauninger: Auch diese Diskussion hat eine lange Geschichte. Der deutsche Sprachraum liegt in der Mitte des europäischen Kontinents. Deutsch ist umgeben von vielen anderen Sprachen und Kulturen. Viele deutsche Wörter sind aus anderen Sprachen entlehnt, zum Beispiel Käse, Ziegel, Wein, Keller, Mauer: Sie kommen alle aus dem Lateinischen. Und so ist es mit Anglizismen teilweise auch, vor allem im Internet-Zeitalter. Man kann nach den neuen Rechtschreibregeln Wörter wie geliked sogar stärker „eingedeutscht“ schreiben: gelikt.  Das Deutsche ist so gesehen also stark genug, um dem englischen Wort seine Grammatik überzustülpen. Gleichzeitig gab es viel Uneinheitlichkeit, wie Home Office, Home-Office oder Homeoffice. Die neuen Regeln sehen vor, dass man viele Zusammensetzungen aus englischen Wörtern bei Erstbetonung nur mehr zusammenschreibt: also Homeoffice. Obwohl gerade im Bereich der zusammengesetzten Wörter noch lange nicht alles gelöst ist, es gibt viele Ausnahmen.

Deppen-Apostroph

Kommen wir zum Genitiv-Apostroph“, der umgangssprachlich gern „Deppen-Apostroph“ genannt wird.

Glauninger: Letztendlich hat es die Menschen wohl wenig gekümmert, ob auf ihrem Lieblingslokal regelkonform „Franzis Café“ stand, statt wie bisher falsch „Franzi's Café“, weil die gastronomische Qualität des Lokals wichtiger ist als die Rechtschreibung. Die neuen Regeln erlauben nun Apostroph-Schreibungen im Fall von Eigennamen, also in unserem Beispiel ist „Franziʼs Café“ jetzt richtig, während der Cappuccino, vor dem mein Freund Franzi sitzt, nach wie vor „Franzis Kaffee“ bleibt.  Der Rechtschreibrat beobachtet (vor allem auf Basis von Recherchen im Internet bzw. mithilfe von großen Korpora an Sprachdaten), wie die Menschen im deutschen Sprachraum tatsächlich schreiben und reden. Und dann fragt man: Gibt es Möglichkeiten, bestehende Regeln zu vereinfachen oder zu vereinheitlichen?  

Filosofie und Fysik haben sich bislang nicht durchgesetzt. Bei Fotografie haben wir keine Probleme.

Wie sieht es bei Fremdwörtern mit „f“ oder „ph“ aus?

Glauninger: Leider auch uneinheitlich. Filosofie und Fysik haben sich bislang nicht durchgesetzt. Bei Fotografie haben wir keine Probleme. Als Faustregel gilt: Wenn ein Wort alltagssprachlich häufig verwendet wird, schreibt man f, wenn es eher (noch) fachsprachlich ist, ph. Vielleicht wird es irgendwann einmal so weit sein, dass man alles mit F schreibt. Ein anderes heiß umkämpftes Thema war und ist die Groß- und Kleinschreibung. Es hat immer wieder Versuche gegeben, dass man die Kleinschreibung einführt. Nach 1945 hat es in Österreich eine relativ starke Bewegung dafür gegeben. Auch die seinerzeitigen Besatzungsmächte hatten Interesse daran, die Schreibung des Deutschen zu vereinfachen. Bei der großen Rechtschreibreform von 1996 hatte man ursprünglich tatsächlich vor, die Kleinschreibung einzuführen. Viele Sprachwissenschaftler:innen waren dafür, aber es ist an der Politik gescheitert. Die bestehende Schreibweise wurde als Spezifikum für das Deutsche betrachtet.

Eine Art sprachliches Weltkulturerbe?

Glauninger: Deutsch ist tatsächlich die letzte Sprache, in der es diese Art von Groß- und Kleinschreibung noch gibt. Dabei wäre es eine große Erleichterung für Schüler:innen, wenn man das abschafft. Besonders im digitalen Bereich wird häufig ohnehin nur mehr alles kleingeschrieben. Es wird also in Zukunft kein Weg daran vorbeiführen, dass man sich darüber den Kopf zerbrechen muss, zumal historisch gesehen auch im Deutschen bis zur Barockzeit die Kleinschreibung dominierte. Ich denke, ich werde es noch erleben, dass in fast allen Textsorgen die Kleinschreibung Realität ist. Und es Ausnahmen gibt wie Rechtstexte oder Texte in bestimmten Printmedien.

 

Auf einen Blick

Manfred Glauninger ist Soziolinguist am Austrian Centre for Digital Humanities der ÖAW. Er lehrt an der Universität Wien.