21.12.2022 | Wissenschaftsskepsis

ÖAW-Wissenschaftsbarometer: Rund ein Drittel vertraut Wissenschaft kaum

37% verlassen sich lieber auf „gesunden Menschenverstand“ – ÖAW-Präsident Faßmann: „Ergebnisse machen mir Sorgen – Auftrag an Wissenschaft und Politik“

ÖAW-Präsident Heinz Faßmann steht am Podium und erklärt Ergebnisse des Wissenschaftsbarometers
ÖAW-Präsident Heinz Faßmann bei der Präsentation des Wissenschaftsbarometer Österreich. © ÖAW/APA Hörmandinger

    Detaillierte Daten zur Wissenschaftsskepsis in Österreich bringt nun erstmals das neue Wissenschaftsbarometer der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Markantestes Ergebnis: Zwar vertrauen 70 Prozent der Wissenschaft und Forschung „voll und ganz“ oder zumindest „eher“ – allerdings hat rund ein Drittel (30%) der Menschen im Land kaum Vertrauen in die Wissenschaft. Je höher das Einkommen der vom Gallup-Institut befragten knapp über 1.500 Personen ist, desto stärker ist auch das Vertrauen in die Forschung und in die Forscher:innen. Personen aus finanziell schwachen Haushalten trauen der Wissenschaft zu 60% nicht oder nur wenig.

    Die Situation im benachbarten Ausland ist nicht besser. In Deutschland geben aktuell 62 Prozent an, „eher“ und „voll und ganz“ der Wissenschaft und Forschung zu vertrauen, in der Schweiz sind es sogar nur 59 Prozent, die „stark oder sehr stark“ vertrauen.

    ÖAW-Präsident Heinz Faßmann sagt: „Mit dem ÖAW-Wissenschaftsbarometer liegen nun erstmals aussagekräftige Daten zur Wissenschaftsskepsis in Österreich vor. Die aktuellen Ergebnisse machen mir Sorge. Knapp die Hälfte der Personen mit niedrigem Einkommen und rund ein Drittel mit geringer formaler Bildung vertrauen der Wissenschaft nicht, aber auch bei den Gutverdienenden mit hoher Schulbildung macht sich Skepsis breit. Die Autorität unseres Wortes reicht nicht mehr, wir müssen in einem höheren Ausmaß als je zuvor erklären, vermitteln und überzeugen. Das betrachte ich als dringenden Auftrag an die Politik und die Wissenschaft selbst. Ich bin auch froh, dass Minister Polaschek diesem Thema höchste Wichtigkeit beimisst.“

    Großes Interesse, aber wenig informiert

    Die weiteren Ergebnisse: Zwar geben immerhin mehr als die Hälfte der Befragten im Land an, dass sie durchaus Interesse an Wissenschaft und Forschung haben. Allerdings: Nur ein Viertel der österreichischen Bevölkerung zeigt sich sehr stark interessiert. Abermals: Im Ländervergleich befindet sich Österreich mit diesen Zahlen auf ähnlichem Niveau mit Deutschland, während in der Schweiz sogar nur 17 Prozent der Befragten sehr großes Interesse an der Wissenschaft bekunden.

    Doch wie wichtig ist es den Menschen in Österreich, sich über Wissenschaftsthemen zu informieren? Obwohl zwei Drittel der Bevölkerung betonen, dass dies sehr wichtig sei, suchen nur 44 Prozent gezielt nach entsprechenden Informationen. Der Anteil derjenigen, die sichfür gut informiert halten beträgt dementsprechend nur 37 Prozent. Das Internet – und hier allen voran Wikipedia und Youtube – ist mit Abstand die wichtigste Quelle für Wissenschaft und Forschung, gefolgt von ORF, Print-Tageszeitungen und anderen TV-Sendern. Andere Radiosender als jene des ORF führen kaum zu Kontakten mit Wissenschaftsthemen.

    Wissenschaft versus Hausverstand

    Zwar keine Mehrheitsmeinung, aber beachtliche Zustimmungsanteile wurden im aktuellen Wissenschaftsbarometer für wissenschaftsskeptische Aussagen erhoben. So glaubt etwa ein Drittel der Befragten, dass wissenschaftliche Expert:innen mit „Politik und Wirtschaft unter einer Decke stecken“. Ebenso viele denken, dass man im Zweifelsfall mehr der „Lebenserfahrung einfacher Menschen“ vertrauen sollte als den Einschätzungen von Wissenschaftler:innen. Noch weiter verbreitet ist mit 37 Prozent die Ansicht, dass man sich mehr auf den „gesunden Menschenverstand“ verlassen sollte als auf wissenschaftliche Studien.

    Interessante Details zeigt die Scientific Literacy, also das naturwissenschaftsbezogene Wissen der Bevölkerung. Nur 52 Prozent bestätigen die Aussage, wonach Elektronen kleiner sind als Atome und 28 Prozent sind der fälschlichen Meinung, dass Antibiotika neben Bakterien auch Viren töten können. Lediglich die Kontinentaldrift können über 90 Prozent korrekt bewerten. 

    Wer beeinflusst wen?

    Betrachtet man das Verhältnis von Wissenschaft und Politik genauer, so wird von den Befragten der vermeintliche Einfluss von Politik und Wirtschaft auf die Wissenschaft, als deutlich größer bewertet als vice versa. Dabei sehen 56 Prozent einen zu großen Einfluss von Politik, 44 Prozent einen zu großen Einfluss von Wirtschaft auf die Wissenschaft. Umgekehrt sehen dies nur jeweils rund 20 Prozent so.

    Was tun? Maßnahmen gegen Wissenschaftsskepsis

    Um Maßnahmen gegen die Wissenschaftsskepsis zu sammeln, lädt die ÖAW zu einem Runden Tisch mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen ein. Die Akademie plant außerdem weitere zielgruppenspezifische Programme für die Wissenschaftsvermittlung, unter anderem an 10- bis 14-Jährige. Schließlich sollen auch die Wissenschaftler:innen selbst besser befähigt werden, über ihre Arbeit zu kommunizieren. Zu diesem Zweck hat die ÖAW vor kurzem Medien- und Vermittlungstrainings gestartet.

    Das Wissenschaftsbarometer Österreich wurde im November 2022 analog zu den Wissenschaftsbarometern in Deutschland und der Schweiz im Nachgang der Eurobarometer-Umfrage von 2021 durchgeführt. Die ÖAW plant die Daten künftig jährlich zu erheben.

     

     

    AUF EINEN BLICK

    Alle Daten und Grafiken finden Sie unter:

    OEAW.AC.AT/WISSENSCHAFTSBAROMETER