28.08.2023 | Teilchenphysik

Neutrinos öffnen neues Fenster zum Universum

Die Neutrinoastronomie verspricht neue Einblicke in unsere Galaxie und das Wesen unseres Universums. Im Rahmen einer von ÖAW-Teilchenphysiker:innen mitveranstalteten internationalen Konferenz in Wien schildert die Forscherin Elisa Resconi, wie das gelingen kann.

"Der Großteil der Neutrinostrahlung ist ein diffuses Leuchten, das aus allen Richtungen kommt und wir haben keine Ahnung, was sie verursacht", so Teilchenphysikerin Elisa Resconi. © Adobe Stock

Dank Neutrinos, winziger und elektrisch neutraler Elementarteilchen, könnte es uns schon bald gelingen, eine viel bessere Vorstellung von unserem Universum zu bekommen. Das zumindest ist das große Ziel von Wissenschaftler:innen wie Elisa Resconi. Die Teilchenphysikerin von der TU München forscht seit Jahren zu Neutrinos, die unter anderem mit dem Hochenergie-Observatorium IceCube in der Antarktis dingfest gemacht werden sollen. Wie man hier vorankommt und welche Perspektiven diese Forschungen eröffnen, diskutiert Resconi mit ihren Fachkolleg:innen im Rahmen der am 28. August startenden und vom Institut für Hochenergiephysik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) mitveranstalteten "International Conference on Topics in Astroparticle and Underground Physics” (TAUP2023) in Wien. Wie es mit der sogenannten Neutrinoastronomie gelingen kann, hochenergetische Neutrinos zu nutzen, um tiefer in die Natur unseres Universums blicken zu können, schildert sie hier im Interview.

Frau Resconi, was ist Neutrinoastronomie?

Elisa Resconi: Der Neutrinodetektor IceCube in der Antarktis sammelt bereits seit über zehn Jahren Daten. Damit haben wir eine neue Art von Teleskop oder eine Kamera, die statt Photonen Neutrinos registriert. Weil Neutrinos nur sehr selten mit Materie wechselwirken, hat es lange gedauert, bis wir genug Information sammeln konnten. Jetzt erreichen wir aber langsam eine Auflösung, die uns erlaubt, einzelne Neutrinoquellen aufzulösen. Davor hatten wir nur ein diffuses Signal, mit hochenergetischen Neutrinos aus unserer eigenen Galaxie und von extragalaktischen Quellen, die wir aber nicht genau lokalisieren konnten. Wir wussten nur, dass das Universum durch eine Neutrinolinse betrachtet sehr hell ist. Jetzt wird das Bild zunehmend detaillierter und es erscheinen erste Objekte. 

Das Rätsel um die Neutrinos

Was können Neutrinos liefern, was optische Teleskope nicht können?

Resconi: Neutrinos durchdringen mühelos Materie, egal ob das dicke Eis, das IceCube vor Störsignalen schützt, unsere Sonne oder ganze Galaxien. Dadurch erhalten wir ein komplett neues Fenster zum Universum, das uns Informationen liefert, die mit elektromagnetischen Wellen nicht zugänglich sind. Im vergangenen Jahr wurde in der Fachzeitschrift Science ein Paper veröffentlicht, das Neutrinos aus einer Region in der Nähe eines supermassiven Schwarzen Lochs in einer aktiven Galaxie analysiert hat. Photonen können die dichte Staubwolke um das Objekt nicht durchdringen, aber für Neutrinos ist das kein Hindernis. So könnten Neutrinos einen Schlüssel zu neuer Physik liefern und uns vielleicht sogar helfen, dunkle Materie zu analysieren. Es gibt mehrere Modelle, die vorhersagen, dass Dunkle Materie in Neutrinos zerfällt. 

Woher kommen die Neutrinos, die IceCube bisher einfangen konnte?

Wir brauchen mehr Daten, um dieses Rätsel zu lösen.

Resconi: Derzeit haben wir nur etwa 100 Neutrinos, die wir zwei spezifischen Quellen und der galaktischen Ebene zuordnen können, wir sehen durch das Neutrinofenster also erst wenige Objekte. Der Großteil der Neutrinostrahlung ist ein diffuses Leuchten, das aus allen Richtungen kommt und wir haben keine Ahnung, was sie verursacht. Es gibt aber viele Ideen, die wir in Zukunft prüfen, zum Beispiel könnte ein beträchtlicher Anteil von aktiven Galaxienkernen mit supermassiven Schwarzen Löchern stammen, die wir mit IceCube ja schon gesehen haben. Wir brauchen mehr Daten, um dieses Rätsel zu lösen und hoffen, dass wir in Zukunft noch viele weitere Objekte finden, die Neutrinos aussenden.

Wie sieht unsere eigene Galaxie aus, wenn man die Neutrinos analysiert?

Resconi: Die galaktische Ebene ist als Ganzes eine diffuse Neutrinoquelle und wir haben erst im Frühjahr einen Fachartikel veröffentlicht, der erstmals Neutrinos explizit der Ebene zuordnen konnte. Wir nehmen an, dass dieses Signal durch kosmische Strahlung entsteht, deren Wechselwirkung mit Materie Neutrinos produziert. Die Stärke des Signals liegt am oberen Ende des Spektrums, das unsere Modelle vorhergesagt haben. Es könnte sein, dass es sich um ein Echo aus einer Zeit handelt, in der die Milchstraße deutlich aktiver war als heute. Das ist aber noch spekulativ, die Interpretation ist auf Basis der wenigen Daten, die wir haben, nicht einfach. Im Vergleich zu extragalaktischen Neutrinoquellen ist unsere Galaxie zudem sehr blass, was die Analyse von Neutrinos aus unserer Galaxie erschwert.

IceCube - Der Neutrinodetektor

Ist IceCube die beste “Neutrinokamera”, die wir haben?

Resconi: Derzeit ja. IceCube ist überhaupt die einzige Maschine, die empfindlich für extragalaktische Neutrinos ist. Deshalb brauchen wir dringend mehr Instrumente, um unsere Resultate zu prüfen und die Auflösung der Neutrinobilder zu verbessern.

Wie funktioniert IceCube?

Resconi: IceCube ist ein Geflecht aus hochempfindlichen Photodetektoren, die im Eis der Antarktis versenkt wurden. Wenn ein Neutrino mit einem Eismolekül wechselwirkt, entsteht ein Lichtblitz, den die Photozellen registrieren. Dadurch können wir nicht nur die Energie des Neutrinos messen, sondern auch die Richtung, aus der es gekommen ist.

Warum sind Neutrinos so schwer zu detektieren?

Jede daumennagelgroße Fläche auf der Erde wird pro Sekunde von Milliarden von Neutrinos getroffen.

Resconi: Sie interagieren mit Materie einzig über die schwache Wechselwirkung. Die Wahrscheinlichkeit für ein solches Ereignis ist aber extrem gering. Obwohl jede daumennagelgroße Fläche auf der Erde pro Sekunde von Milliarden von Neutrinos getroffen wird, können wir im Detektor im Schnitt nur eines davon messen.

Kann IceCube Neutrinos mit beliebigen Energien detektieren?

Resconi: Nein, nur einen bestimmten Bereich. Aber zukünftige Experimente könnten diesen Bereich ausdehnen. Wir können größere Detektoren bauen, um noch energiereichere Neutrinos zu registrieren. Neutrinos mit den niedrigsten Energien sind ebenfalls ein interessantes Ziel für künftige Experimente, weil sie den kosmischen Neturinohintergrund bilden, der uns analog zum Mikrowellenhintergrund einen Blick tief in die Vergangenheit des Universums erlauben könnte. Wenn wir den Neutrinohintergrund mit einem Detektor erfassen könnten, wäre das eine Revolution für die Kosmologie, weil wir das Universum so sehen könnten, wie es eine Sekunde nach dem Urknall ausgesehen hat. Der Mikrowellenhintergrund erlaubt im Vergleich “nur” einen Blick in die Vergangenheit bis 10.000 Jahre nach dem Urknall. Es gibt sogar schon Ideen, wie man den Neutrinohintergrund entdecken könnte. 

Gibt es Pläne für neue Detektoren für hochenergetische Neutrinos?

Resconi: Durch die aufregenden Ergebnisse von IceCube ist Bewegung in das Fachgebiet gekommen. Neue Projekte in China und Russland sind derzeit aber noch nicht groß genug, um extragalaktische Neutrinos zu detektieren. In Europa arbeiten wir mit KM3NeT ebenfalls an einem neuen Neutrinoinstument, das gute Fortschritte macht. Dank neuer Fördermittel aus Italien können wir hier hoffentlich auch bald kosmische Neutrinos untersuchen. Der Traum wäre, dass wir neben dem Instrument am Südpol auch auf der Nordhalbkugel zwei bis drei Detektoren hätten. Das würde uns den Blick in andere Bereiche des Universums erlauben und die Zahl der Neutrinos, die wir registrieren können, deutlich erhöhen. Zudem gibt es auch Pläne, IceCube auszubauen.

Mehr Daten für die Forschung

Sie haben mit P-ONE ebenfalls ein neues Neutrinoprojekt initiiert. Was ist der Plan?

Resconi: Der Plan von P-ONE ist, Photozellen tief unter der Meeresoberfläche zu positionieren und damit ein großes Wasservolumen in einen Detektor zu verwandeln. Die Idee entstand durch einen eher zufälligen Kontakt mit Ozeanographen, die für ihre Forschung ebenfalls Photosensoren im Ozean platzieren. P-ONE macht sich zunutze, dass es hier bereits Infrastruktur und Know-how gibt. Wir haben 2018 begonnen, eine Machbarkeitsstudie durchzuführen mit bestehenden Photozellen 2600 Meter unter der Meeresoberfläche. Die ersten Ergebnisse aus der Testregion im Pazifik sind vielversprechend. Ende 2024 werden wir damit beginnen, die ersten Glasfaserkabel für einen eigenen Demonstrationsdetektor auszubringen. Wenn wir keine unüberwindbaren Hindernisse finden, werden wir nach einigen Jahren anfangen, uns um Fördergelder für ein großes Neutrinoteleskop unter Wasser umzusehen. 

Was können wir mit mehr Detektoren erreichen?

Resconi: Die neuen Detektoren werden IceCube ergänzen und unseren Neutrinoblick ins Universum schärfen. Dann können wir richtig loslegen. Vielleicht können Neutrinos aus der Nähe von supermassiven schwarzen Löchern uns in Zukunft neue Einblicke in die Hochenergiephysik liefern. Enrico Fermi (der berühmte Kernphysiker, Anm.) hat schon 1951 gesagt, dass das Universum ein unschlagbares Labor für diese Zwecke wäre. Energien, wie sie in der Nähe eines schwarzen Lochs auftreten, können wir mit Teilchenbeschleunigern auf der Erde nie erreichen.

 

AUF EINEN BLICK

Weitere Infos zur Konferenz TAUP2023:

Konferenz-Website

Die ÖAW lädt im Rahmen der Konferenz zu einer Public Lecture des Physiknobelpreisträgers Arthur B. McDonal. Unter dem Titel "Using messengers from outer space to understand our Universe and its evolution" stellt er Erkenntnisse aus seinem Fachgebiet für ein nichtwissenschaftliches Publikum vor. 

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