Wie viel Plastik steckt inzwischen im Wasserkreislauf der Alpen? Das untersucht das von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) geförderte Forschungsprojekt AlPlast. Bis 2026 untersucht ein Team rund um Marcel Liedermann von der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) den Fließweg des Wassers in Österreich von den Gletschern bis zur Donau. Im Gespräch erklärt Liedermann, warum Mikroplastik überall zu finden ist und weshalb das Projektteam auch nach Organismen sucht, die Plastik zersetzen können.
Worum geht es bei beim Forschungsprojekt AlPlast?
Marcel Liedermann: Wir wissen aus weltweiten Studien, dass Mikroplastikpartikel mittlerweile selbst in den entlegensten Gebieten der Erde zu finden sind. Wir möchten eine Bestandsanalyse für den Wasserkreislauf in den Alpen liefern. Dafür untersuchen wir den kompletten Weg des Wassers vom Gletscher bis hinunter zur Donau, indem wir an verschiedenen Stellen mehrfach Proben entnehmen. So wollen wir herausfinden, durch welche Randbedingungen zusätzliches Plastik ins Wasser gelangt. Deshalb wurden die Messstellen im Nachlauf von Siedlungen, Kläranlagen und auch Industriestandorten angeordnet, um deren Einfluss bewerten zu können.
Hochrechnung für Alpenraum
Mikroplastik ist wirklich überall.
Dass es Mikroplastik in heimischen Bergbächen gibt, steht außer Frage?
Liedermann: Leider ja. Mikroplastik ist wirklich überall. Wir wissen aus Messungen im Jahr 2015 schon, dass in der Donau viel Plastik transportiert wird. Mit AlPlast wollen wir jetzt helfen zu klären, wo dieses Material herkommt und auf Basis dieser Information auch eine „Hochrechnung“ für den ganzen Alpenraum erstellen.
Wo wird gemessen?
Liedermann: Wir folgen dem Fließweg des Wassers vom Sonnblickgletscher entlang der Rauriser Ache über die Salzach und den Inn bis in die Donau. Für die kleineren Fließgewässer stehen danach erstmals Messergebnisse zur Verfügung und für die Donau können wir den Datenbestand weiter stärken. Dadurch, dass wir langfristig messen, bekommen wir auch einen Überblick über den Zusammenhang der Mikroplastikkonzentration mit Hochwasserereignissen oder auch saisonalen Schwankungen.
Unsere bisherigen Messungen legen nahe, dass bis zu 20 Tonnen Mikroplastik (...) in der Donau aus Österreich hinaus transportiert werden.
Wie viel Plastik ist in der Donau zu finden?
Liedermann: Unsere bisherigen Messungen legen nahe, dass bis zu 20 Tonnen Mikroplastik - das sind Partikel, die kleiner als 5 Millimeter sind – in der Donau aus Österreich hinaus transportiert werden. Das klingt vielleicht nicht nach viel, aber Mikroplastik ist winzig und leicht, das heißt für 20 Tonnen braucht es eine enorme Anzahl an kleinen Partikeln. Außerdem wird nicht das gesamte Mikroplastik transportiert, große Mengen lagern sich auch in und um die Flüsse ab und werden dort temporär oder auch für immer gespeichert. Die Gesamtplastikmenge in der Donau liegt dann natürlich noch um ein Vielfaches darüber, weil auch sehr viele größere Plastikteile wie PET-Flaschen oder Plastiksackerl im Wasser zu finden sind.
Wie kommt das Mikroplastik an entlegene Orte wie die Gletscher?
Liedermann: Das Mikroplastik dort wird fast ausschließlich durch den Wind verfrachtet. Siedlungen und menschliche Infrastruktur in der Nähe sind dann später die Quellen.
Ist die Belastung durch Mikroplastik ein Problem?
Liedermann: Wie sich Mikroplastik auf die Gesundheit auswirkt, ist noch nicht ausreichend erforscht. Wir wissen aber, dass es längst Teil unseres Lebensmittelkreislaufs geworden ist. Das Material in den Flüssen wird von Lebewesen gefressen, die letztlich auch auf unseren Tellern landen. Wir alle haben also Mikroplastik im Körper und einige Partikel sind sogar klein genug, um die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden. Ob und in welchem Ausmaß das schädlich ist, ist bislang nur in wenigen Studien untersucht worden. Je kleiner die Teilchen sind, desto mehr spezifische Oberfläche haben sie, wodurch auch Schwermetalle oder andere Problemstoffe besser anhaften können. Ein weiteres Problem ist das Lösen von Weichmachern aus dem Plastik, die dann in den Organismus wandern. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass Mikroplastik harmlos ist. Ich sehe es in unserer Verantwortung dafür zu sorgen, dass sowenig wie möglich Kunststoffe in unsere Umwelt gelangen.
Mikroorganismen als Teil der Lösung?
Wie misst man die Mikroplastikmenge?
Liedermann: Wir haben bisher meistens mit Planktonnetzen gearbeitet, die aber nur bis zu einer bestimmten Partikelgröße gut funktionieren und Plastik mit weniger als 250 Mikrometer Durchmesser durchlassen. Für AlPlast haben wir jetzt zusätzlich eine isokinetisch Pumpe entwickelt, die es uns erlaubt, kleinere Partikel bis 10 Mikrometer zu untersuchen. Unsere Methode passen wir dabei für jede Messstelle speziell an. Mit einem Netz, das für eine repräsentative Probenentnahme in einem Bergbach ausreicht, kann man in der Donau schließlich wenig anfangen. Die ersten Messungen an unseren sieben Messpunkten werden in Kürze stattfinden.
Wir wissen, dass es Mikroorganismen gibt, die bestimmten Kunststoffe wie Polyester abbauen können.
Was weiß man über den Abbauprozess von Mikroplastik in der Natur?
Liedermann: Wir wissen, dass es Mikroorganismen gibt, die bestimmten Kunststoffe wie Polyester abbauen können. Dafür produzieren diese Mikroorganismen Enzyme, also Biokatalysatoren, die die Kunststoffe in ihre einzelnen Bausteine zerlegen. Im Boden wurden bereits einige dieser Mikroorganismen gefunden, Gewässer und alpine Regionen sind jedoch noch weitgehend unerforscht. Daher wollen wir im Projekt AlPlast nach Kunststoff abbauenden Mikroorganismen und ihren Enzymen suchen. Dafür haben wir Umweltbiotechnolog:innen der BOKU im Team, die mittels Metagenomik genetisches Material direkt aus den Umweltproben extrahieren, sequenzieren und analysieren. Damit soll herausgefunden werden, ob und welche Kunststoffe in den untersuchten Regionen abgebaut werden können. Dabei wird auch Bioplastik in die Studien eingeschlossen, um herauszufinden, welche Materialien in Zukunft in den alpinen Regionen bevorzugt eingesetzt werden sollen. Eine Zauberlösung für das Plastikmüllproblem erwarten wir uns natürlich nicht. Unsere Messungen werden aber zumindest erstmals zeigen, welche Arten von Kunststoffen überhaupt im Wasser und Gebirge zu finden sind und wie der Bioabbau erfolgt.
Was kann man als Bürger:in tun, um die Mikroplastikbelastung zu reduzieren?
Liedermann: Das primäre Plastik kommt als Fasern, Flocken oder Pellets aus der Industrie, da haben Menschen wenig Einfluss. Sekundäres Mikroplastik kann man vermeiden, indem man Plastikabfälle ordnungsgemäß entsorgt, damit sie nicht in der Natur landen. Ich glaube aber nicht, dass die großen Plastikteile, die wir in der Donau gefunden haben, alle aus Achtlosigkeit dort gelandet sind. Windverfrachtung, Wildtiere, Hochwässer und Regenereignisse sorgen dafür, dass Plastikteile, die vermeintlich fachgerecht entsorgt wurden, wieder in der Natur landen und sich dort langsam in Mikroplastik verwandeln.
Am Ende macht meistens die Dosis das Gift.
Müssen wir also mit dem Plastik leben?
Liedermann: Am Ende macht meistens die Dosis das Gift. Das Ziel kann realistischerweise nicht heißen, von Kunststoffen komplett wegzukommen. Plastik ist in vielen Bereichen ein enorm nützliches Material mit vielen positiven Eigenschaften und Einsatzmöglichkeiten. Aber wir sollten diejenigen Schritte zur Reduktion setzen, die gut möglich sind und vor allem schauen dass das Plastik gar nicht erst in die Umwelt gelangt, bevor wir es aufwendigst wieder herausfiltern müssen. Weltweit haben hier das Abfallwirtschaft-management und somit politische Entscheidungsträger eine große Verantwortung.