30.12.2022 | Medien

Im Sog der schlechten Nachrichten

Von ihnen gab es dieses Jahr mehr als genug: Negative Nachrichten. Über den Wert und Schaden der Negativnachrichten und warum wir sie derart exzessiv konsumieren, spricht ÖAW-Medienforscherin Katharina Biringer im Interview.

Für viele ist das exzessive Konsumieren von schlechten Nachrichten in der Pandemie zur Routine geworden. © Adobe Stock

Kriege, Pandemie, Energiekrise und Klimakatastrophe: Das Bild der aktuellen Lage erscheint düster, der Welt geht es schlecht. Und über den täglichen Konsum an negativen Nachrichten sind auch wir in einen permanenten Krisenmodus geraten. Die Folge: Immer mehr Menschen wenden sich von der Berichterstattung ab.

Katharina Biringer vom Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) erklärt im Interview, woher die mediale Fokussierung auf Negativnachrichten kommt, was gegen sogenanntes Doomscrolling im Internet hilft und welche Lösungen und Alternativen konstruktiver Journalismus bietet

NEGATIV IST NICHT NUR NEGATIV

Ob in den klassischen Medien, wie Zeitung, Radio, Fernsehen oder in den Meldungen auf Social Media: Wenn wir Nachrichten konsumieren, dominieren meist die negativen. Muss das so sein?

Katharina Biringer: Über negative Ereignisse zu berichten ist nicht unbedingt negativ. Journalist:innen müssen informieren – und dabei auch über Krisen, Kriege und Katastrophen berichten. Negative Nachrichten warnen uns vor größeren Katastrophen und haben dadurch auch nützliche Eigenschaften. Das gilt auch für die politische Berichterstattung: Werden politische Missstände zu einer Bedrohung für die demokratische Gesellschaft, müssen Medien diese aufdecken und weiterverfolgen. Insofern spielen Medien in unserer Demokratie eine zentrale Rolle, um Amtsmissbrauch und Korruption zu enthüllen.

Negative Nachrichten warnen uns vor größeren Katastrophen und haben dadurch auch nützliche Eigenschaften.

Das erklärt also die mediale Fokussierung aufs Negative?

Biringer: Der Hang zu negativen Nachrichten – das sieht man in mehreren Studien ganz gut – ist kulturell bedingt und hängt stark mit dem politischen System in einem bestimmten Land zusammen. Im Journalismusreport, der mittlerweile in der siebten Ausgabe vorliegt, haben Kolleg:innen herausgefunden, dass sich Journalist:innen in Österreich stark in der Rolle sehen, Missstände aufzudecken – vergleichsweise stärker als Journalist:innen in Deutschland. Das mag daran liegen, dass Österreich auch im Korruptionsindex immer schlechter abschneidet. Herabgestuft wurde Österreich zudem im vergangenen Jahr im Demokratiebericht der Universität Göteborg. Der Grund: Mangel an Transparenz. Dieser Umstand wird natürlich vom Journalismus hierzulande aufgegriffen.

FÜHREN BAD NEWS ZU POLITIKVERDROSSENHEIT?

Führt eine Dauerberieselung an negativen Nachrichten nicht auch zu Politikverdrossenheit?

Biringer: Schwierig wird es natürlich, wenn es überhand nimmt – das kann zu Politikverdrossenheit führen und die Menschen wenden sich nicht nur von der Politik, sondern auch von der Berichterstattung ab. Man hat das ganz stark in der Pandemie gesehen. Sowohl der Boulevard als auch die Qualitätsmedien waren von negativen Nachrichten geprägt. Die Folge: Im Jahr 2022 geben 39 Prozent der Menschen in Österreich an, dass sie manchmal bis oft tatsächlich aktiv Nachrichten vermeiden. Und dieser Wert ist während der Pandemie rasant angestiegen.

Journalist:innen in Österreich sehen sich stark in der Rolle, Missstände aufzudecken. Das mag daran liegen, dass Österreich im Korruptionsindex immer schlechter abschneidet.

Was hilft dagegen?

Biringer: Was wichtig ist: Verschiedene Themen zu behandeln. Mit Ausbruch der Pandemie beherrschte Corona die Berichterstattung. Die Nachrichten müssen den Menschen aber auch andere Neuigkeiten liefern, verschiedene Themen aufbereiten und Abwechslung bieten.

CLICKBAITING MIT NEGATIV-SCHLAGZEILEN

Wenig Abwechslung gibt es beim Doomscrolling. Warum fällt es im Internet so schwer, sich dem Sog schlechter Nachrichten zu entziehen?

Biringer: Doomscrolling bezieht sich auf den Medienkonsum im Internet. Aus Studien weiß man, dass Online-Inhalte auch von etablierten Medienunternehmen tendenziell negativer gestaltet sind als in der Printausgabe. Das liegt daran, dass im Netz ein viel größerer Wettbewerb stattfindet. Negative Nachrichten werden öfter angeklickt. Man spricht auch von einer Boulevardisierung, weil die Art und Weise der Online-Aufmachung sensationeller und reißerischer gestaltet ist. Neben den klassischen Medienunternehmen, die im Internet um Aufmerksamkeit buhlen, existieren ganz viele andere Anbieter. Jeder kann in den sozialen Medien Kommentare abgeben und Artikel verfassen.

Aus Studien weiß man, dass Online-Inhalte auch von etablierten Medienunternehmen tendenziell negativer gestaltet sind als in der Printausgabe. Negative Nachrichten werden öfter angeklickt.

Dort hält man sich nicht immer an journalistische Standards, oder?

Biringer: Erschwerend hinzu kommen die vielen Falschnachrichten, die im Internet kursieren – auch weil dort nicht nur professionelle Journalist:innen unterwegs sind und sie nicht journalistischen Standards folgen. Es hilft, wenn man sich an Qualitätsjournalismus hält und andere Nachrichten auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Es gibt zahlreiche Websites, die sich mit Faktenchecks beschäftigen, etwa Mimikama, die Fake News aufdecken. 

Aber: Es gibt im Internet nicht nur negative Nachrichten. Auch auf Social Media sind viele Soft News, das sind zum Beispiel Themen wie Lifestyle, VIPs oder Stories über Tiere, zu finden. Diese haben zwar nicht denselben Nachrichtenwert wie politische und wirtschaftliche Nachrichten, sind aber dennoch wichtig.

Die alte Formel „Only bad news are good news“ gilt also nicht überall?

Katharina Biringer: Es gibt definitiv mehr als schlechte Nachrichten. Wenn man sich in der Forschung die sogenannten Nachrichtenfaktoren ansieht – eine Forschungstradition, die bereits 100 Jahre zurückreicht – gibt es neben der Negativität auch andere Faktoren: etwa über Erfolg oder persönliche Geschichten zu berichten. Oder denken wir an die vorhin bereits erwähnten Soft News.

ALTERNATIVE KONSTRUKTIVER JOURNALISMUS?

Abseits von Skandalen und Missständen versucht konstruktiver Journalismus Lösungen anzubieten und Alternativen zu diskutieren. Ein Ansatz der Anklang findet?

Biringer: Kollegen am Institut für Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der ÖAW und an der Universität Wien, Andreas Riedel und Jakob Moritz Eberl, haben sich am Anfang der Pandemie angeschaut, welche Wünsche die österreichische Bevölkerung an die Corona-Berichterstattung hatte. Eine der größten Erwartungen der Menschen war, dass der Journalismus zu Hilfeleistungen für besonders betroffene Personen motiviert. Das wäre auch eine Form des konstruktiven Journalismus.

Wo wurde dieses Bedürfnis nach konstruktivem Journalismus medial aufgefangen?

Biringer: Wenn wir von den Medien in Österreich sprechen, dann reden wir von öffentlich-rechtlichen und privat-kommerziellen Anbietern. Als dritte Säule gibt es die nichtkommerziellen Sender, insgesamt 17 nichtkommerzielle Sender mit denen ich mich viel beschäftige. Derzeit analysiere ich anhand von Interviews, die ich mit Programmkoordinator:innen geführt habe, welche Schwerpunktsetzungen sie in der Pandemie verfolgt haben und der Fokus lag damals stark auf Service und Hilfeleistungen.

 

AUF EINEN BLICK

Katharina Biringer  ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Universität Klagenfurt. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen nichtkommerzielle Medien, politische Kommunikation, Medienkompetenz und -erziehung, Digitalisierung und Mediengeschichte.