JET – was klingt wie ein Flugzeug, ist tatsächlich die weltweit größte Versuchsanlage für Kernfusion. Sie ging 1983 in Betrieb – und konnte seitdem einige Erfolge verbuchen. Unter anderem wurde 1997 ein erster Rekord für die Energieerzeugung durch die Fusion von Deuterium und Tritium, zwei Wasserstoffisotope, aufgestellt. Doch inzwischen ist JET in die Jahre gekommen und der Nachfolger ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor) wird bereits in Frankreich gebaut.
Kurz vor seiner Stilllegung konnte JET aber nochmals für einen Rekord und für einen weiteren Fortschritt auf dem Weg zur Produktion von Fusionsenergie sorgen. Friedrich Aumayr vom Institut für Angewandte Physik der TU Wien leitet die österreichische Fusionsforschung, die unter Fusion@ÖAW an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gebündelt und koordiniert wird. Er erklärt im Interview, was die neuen Meilensteine bedeuten.
Stabiles Plasma im Reaktor
JET hat einen Rekord aufgestellt. Wo liegt diese neue Bestmarke?
Friedrich Aumayr: Die Forscher:innen haben es geschafft, in 5,2 Sekunden langen Plasmaentladungen insgesamt 69 Megajoule an Energie durch die Fusion von Deuterium und Tritium zu erzeugen. Das ist zwar gegenüber dem alten Rekord (59 Megajoule für 5 Sekunden, Anm.) eine quantitative Verbesserung, aber am Ende nur eine Zahl. Das wirklich wichtige Ergebnis ist, dass diese Werte zum Abschluss der JET-Laufzeit routinemäßig erreicht werden konnten, bei vielen Entladungen in Folge. Das Plasma im Reaktor kann also stabil gehalten werden, was für den durchgehenden Betrieb in einem künftigen Kraftwerk entscheidend ist.
Unsere Methode entspricht dem Bohren eines kleinen Lochs in den Deckel, um den Druck aus dem Reaktor sachte entweichen zu lassen.
Waren auch österreichische ForscherInnen an den letzten Experimenten beteiligt?
Aumayr: Tatsächlich wurde bei den letzten Durchläufen eine Entwicklung unserer Fusion@ÖAW-Gruppe erstmals am JET erprobt. Wir haben 2022 in einem Paper in den Physical Review Letters eine Methode vorgestellt, mit der wir die Entstehung von unerwünschten Energiespitzen nahe der Reaktorinnenwand verhindern können. Solche Instabilitäten im Plasma nennen wir ELMs (Edge Localized Modes) und sie können die Wand in größeren Reaktoren unter Umständen sogar zerstören. Wir konnten damals an einem mittelgroßen Fusionsexperiment in Garching bei München zusammen mit deutschen Kolleg:innen Bedingungen erzeugen, unter denen das Plasma brennt, ohne dass diese gefährlichen Energiespitzen entstehen. Diese Methode wurde jetzt erstmals auch am JET und bei Deuterium-Tritium Betrieb ausprobiert – und siehe da, es funktioniert auch bei großen Maschinen und bei Verwendung des Fusionstreibstoffs, den wir in Zukunft in Kraftwerken nutzen wollen. Ein Mitarbeiter meiner Gruppe, Georg Harrer, war bei diesen Experimenten am JET beteiligt und hat uns live von den Erfolgen berichten können.
Österreich am Rekord beteiligt
Warum ist das entscheidend?
Aumayr: Unsere Methode funktioniert passiv, indem wir das Plasma im Reaktor durch angepasste Magnetfelder in eine andere Form bringen, so dass der Querschnitt weniger einem Ei und eher einem Dreieck ähnelt. Und dann wird am Rand des Plasmas noch die Teilchendichte erhöht. Ein Reaktor mit ELMS verhält sich ähnlich wie ein Kochtopf unter Druck, bei dem der Deckel klappert. Unsere Methode entspricht dem Bohren eines kleinen Lochs in den Deckel, um den Druck sachte entweichen zu lassen. Das verhindert das Entstehen von ELMs zuverlässig, während teure aktive Regelungssysteme nicht hundertprozentig funktionieren.
JET ist ein sogenannter Tokamak, wie die meisten derzeit verwendeten Fusionsreaktoren. Werden zukünftige Fusionskraftwerke auf neuereStellaratorentechnologie setzen?
Aumayr: Ich denke, das erste kommerzielle Kraftwerk wird ein Tokamak sein. Stellaratoren sind zwar vom Prinzip her besser, aber die Forschung ist etwa 20 Jahre hinterher, weil die nötigen komplexen Magnetfelder erst mit Hochleistungcomputern berechnet werden konnten. Wenn die Industrie einmal einen Weg eingeschlagen hat, ist es schwer, das zu ändern.
Weltweit wird an Fusionsenergie geforscht
Wie geht es für Europas Fusionsforschung nach JET weiter?
Aumayr: Die EU hat sich schlauerweise an JT-60SA, einem gemeinsamen Forschungsreaktor in Tokamakbauweise in Japan beteiligt, der gerade in Betrieb genommen wird. Diese Anlage ist größer als JET und wird die Zeit bis zur Inbetriebnahme von ITER überbrücken. Hier ist das Ziel, erstmals JET-ähnliche Entladungen mit eine Länge von 100 Sekunden und mehr zu erzeugen. Möglich wird das durch die Verwendung von supraleitenden Spulen.
Die EU ist an einem neu in Betrieb gegangenen Reaktor in Japan beteiligt. Dieser ist größer als JET und wird die Zeit bis zur Inbetriebnahme von ITER überbrücken.
Können wir schon Fusionsreaktoren bauen, die mehr Energie erzeugen, als sie benötigen?
Aumayr: Wir könnten das im Prinzip schon seit zehn Jahren. China baut gerade einen Reaktor, der Q=3 erreichen soll, also dreimal mehr Energie produziert, als hineingesteckt werden muss. Für den Betrieb eines wirtschaftlichen Kraftwerks muss Q aber leider mindestens einen Wert von 30 bis 40 erreichen. Der Wirkungsgrad der Dampfturbinen bei der Umwandlung der Fusionshitze in elektrischen Strom ist leider nicht sehr hoch und andere Systeme im Reaktor benötigen einen Teil der erzeugten Energie.
Kein Fusionsreaktor am Smartphone
Wer wird zuerst Strom aus Fusionsreaktoren liefern? Große staatliche Projekte wie DEMO oder eines der vielen neuen Start-ups in dem Bereich?
Aumayr: Die Start-ups sind im Vorteil, weil sie im Gegensatz zu staatlichen Projekten Risiken nehmen und die neueste Technologie einsetzen können. Hochtemperatursupraleiter und neue Wolframverbundwerkstoffe erlauben kleinere, günstigere Reaktordesigns, während die staatlichen Projekte aufgrund der langen Planungszeiten noch auf ältere Technologien festgenagelt sind. Das ist für uns akademische Forscher:innen manchmal frustrierend.
Unser Ziel ist ein Kraftwerk mit einem Gigawatt elektrischer Leistung.
Wie sieht der aktuelle Zeitplan für kommerzielle Fusionskraftwerke aus?
Aumayr: Viele Kolleg:innen glauben, dass wir in den 2040er-Jahren erste kommerzielle Kraftwerke sehen werden. Mittlerweile gibt es auch etwa 20 Start-ups, die verschiedene Ansätze verfolgen und gut finanziert sind. Jetzt müssen die Privaten zeigen, was sie können und die Ingenieursarbeit machen. Für uns Grundlagenforscher:innen ist das Problem, dass diese jungen Firmen in unserem Personalteich fischen und viele gute Köpfe abwerben.
Manche Start-ups verfolgen Ansätze, die auf einem Labortisch Platz haben. Ist das für die Energieerzeugung realistisch?
Aumayr: Unser Ziel ist ein Kraftwerk mit einem Gigawatt elektrischer Leistung. Dafür brauche ich einen Fusionsreaktor, der drei Gigawatt thermische Leistung liefert. Das erfordert etwa 300 Quadratmeter Wandfläche, weil die Reaktorwand nicht mehr als 10 Megawatt pro Quadratmeter aufnehmen kann, bevor sie schmilzt. Deshalb werden wir wahrscheinlich nie Fusionsreaktoren in unseren Smartphones sehen.
Wie geht es nun für die Forscher:innen in Österreich weiter?
Aumayr: Österreich hat sich bisher nicht am japanischen JT-60SA-Reaktor beteiligt. Wir machen aber weiterhin unsere Arbeit im Bereich Plasma-Wand-Wechselwirkungen, für die wir an der TU Wien auch ein Labor haben. Daneben untersucht etwa die ÖAW-Gruppe in Leoben verschiedene Wolframlegierungen auf ihre Tauglichkeit als Reaktormaterial und an der TU Graz werden Berechnungen für Stellaratoren angestellt. Die Universität Innsbruck hat sowohl experimentelle als auch theoretische Gruppen, die sich erfolgreich mit Fusion beschäftigen. An ITER sind wir ebenfalls beteiligt und ich hoffe, dass ich – wenn es dann soweit ist – noch beim Einschalten dabei sein kann, auch wenn ich bis dahin vielleicht nicht mehr für das österreichische Fusionsforschungsprogramm Fusion@ÖAW verantwortlich sein werde.