„EurAsian Transformations“ ist einer von fünf durch den Wissenschaftsfonds FWF geförderten Exzellenzclustern, die ab Sommer 2023 starten. Unter der Leitung von Claudia Rapp, Direktorin des Instituts für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), soll in den nächsten fünf Jahren das kulturelle Erbe Eurasiens erforscht werden. Vier Institutionen mit insgesamt 31 Wissenschaftler:innen werden in dem Forschungsnetzwerk zusammenarbeiten, um diese Großregion über 3.000 Jahre hinweg „in ihrer historischen Tiefe und Breite“ zu ergründen, wie Rapp betont. Bewusst sollen durch neue Fragestellungen auch Brücken in die Gegenwart geschlagen werden. „Begrifflichkeiten kritisch zu hinterfragen und was sie für unser historisches Verständnis bedeuten, ist ein zentrales Ziel unserer Arbeit“, sagt Rapp: „Bisher wurde Migration viel zu kleinteilig betrachtet, wir hoffen neue Erkenntnisse zu bekommen, wenn man sie in einem größeren Zusammenhang wahrnimmt. Und sieht, wie eine Migrationsbewegung eine andere anstößt wie im Dominoeffekt.“
IMPERIEN, KLIMA UND MIGRATION
„EurAsian Transformations“ ist ein riesiges Forschungsprojekt. Wie schafft man es, sich da nicht zu verzetteln?
Claudia Rapp: Durch fokussierte Methoden und ein deutliches Bekenntnis zur Grundlagenforschung. Konkret bedeutet das eine Auseinandersetzung mit relevanten Textquellen, die wir bewusst auch an eine jüngere Generation weitervermitteln möchten. In unserer teaching unit geht es um Sprachkompetenzen und den Umgang mit cultural heritage in schriftlicher Form. Digital werden wir von Sprachprogrammen unterstützt, die große Datenmengen lesen und entziffern können.
Sie hoffen also, dass neue Methoden auch einen neuen Blick auf die Geschichte ermöglichen?
Rapp: Davon gehen wir aus. Wir stellen fünf große Fragestellungen ins Zentrum. Der Aspekt „imperiale Dynamiken und deren Grenzen“ erforscht das Entstehen und Verfallen von Großreichen. Ein Fokus liegt dabei auf den Grenzregionen, die ja ihrerseits eine Sonderstellung einnehmen, weil sie Einflüsse aus mehreren Staaten aufnehmen, sie mischen, verarbeiten und eine Vermittlerposition einnehmen. In diesen peripheren Zentren passiert ein unglaublicher Kulturaustausch, der bislang viel zu wenig untersucht worden ist. Zweites Thema sind die ökologischen und wirtschaftlichen Transformationsprozesse. Da spielt die Umweltgeschichte eine große Rolle, weil man sehen kann, was sich anhand veränderter Klimabedingungen wirtschaftlich verschiebt. Was zu einem weiteren Thema führt, nämlich Mobilität und Migration. Bisher wurde Migration viel zu kleinteilig betrachtet, wir hoffen neue Erkenntnisse zu bekommen, wenn man sie in einem größeren Zusammenhang wahrnimmt. Und sieht, wie eine Migrationsbewegung eine andere anstößt wie im Dominoeffekt.
JENSEITS VON EUROZENTRISMUS
Wie vermeidet man eine einseitige, eurozentristische Perspektive?
Rapp: Kulturelle und sprachliche Diversität ist unser erklärtes Ziel. Wir arbeiten mit Partnerinstitutionen zusammen, öffnen unsere training units für lokale Doktorand:innen und Nachwuchsforscher:innen, um neue Perspektiven auf das Material zu bekommen. Wir wollen wissen, was es für die Menschen in bestimmten Regionen bedeutet, wenn da eine Inschrift in Sanskrit steht. Ein weiterer Forschungsansatz ist die Konstruktionen von Identität und Verschiedenheit. Welche Identitätsdiskurse gab es? Wie hat man in vergangenen Zeiten artikuliert, dass man christlich und nicht buddhistisch ist? Nach welchen Kriterien bilden sich Gemeinschaften? Beruft man sich auf einen Stammvater, auf die Sprache und Kulturmerkmale, eine bestimmte Form von Schrift oder Herrschaftsformen? Das gilt für die Vergangenheit genauso wie für die Moderne.
Sie möchten also auch Brücken in die Gegenwart schlagen?
Rapp: Wir wollen kritisch hinterfragen, was diese historischen Diskurse in der modernen Forschung ausgelöst haben. Warum hat man bestimmte Menschen als Deutsch oder Russisch identifiziert? Was bedeutet der Eurasien-Begriff in der Forschung in verschiedenen Traditionen? Wofür steht er noch heute in der Politik? Putins Angriffskrieg auf die Ukraine wird vom Chefideologen Aleksandr Dugin im Kontext einer Theorie über Eurasien gesehen, bei der Russland die führende Rolle einnehmen soll. Begrifflichkeiten kritisch zu hinterfragen und was sie für unser historisches Verständnis bedeuten, ist ein zentrales Ziel unserer Arbeit. Unsere Aufgabe ist es, aus fundiertem Wissen neue Fragen zu stellen.