24.03.2023 | Geheime Briefe

Die Briefe der Kaiserin

Die Briefe der Habsburgerin Eleonora Magdalena zeigen, wie eine Kaiserin die Reichspolitik mitbestimmte. Die ÖAW-Historikerin Katrin Keller erklärt im Interview, was das Faszinierende an den Briefen ist und welche Bedeutung deren Inhalt heute noch hat.

Portraitmedaillons Kaiser Leopolds I. und Kaiserin Eleonore Magdalena. © Wikipedia

Katrin Keller und ihr Team vom Institut für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraumes der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) transkribierten über eintausend eigenhändig von Kaiserin Eleonora Magdalena (1655-1720) verfasste Briefe. Fast alle stammen aus der Korrespondenz mit ihrem Vater Philipp Wilhelm von Pfalz-Neuburg und ihrem ältesten Bruder Johann Wilhelm.

Sie sind im Münchner Staatsarchiv auf insgesamt rund 5000 Seiten Briefmaterial von Kaiserin Eleonora Magdalena gestoßen und erforschen diese. Was macht ihre Briefe besonders?

Katrin Keller: Zum einen ist der Umfang besonders: Wir haben von keiner anderen Habsburgerin vor Maria Theresia solch einen Bestand. Es war durchaus die Regel, dass fürstliche Frauen korrespondierten. Allerdings sind die meisten Korrespondenzen schlecht überliefert, weil Archivare des 19. Jahrhunderts diesen Frauenbriefen nicht so viel Bedeutung zugemessen haben und sie verzichtbar fanden.

Zudem beeindrucken die Briefe, weil wir durch sie sehen können, wie Kaiserin Eleonora Magdalena Reichspolitik machte. Sie erörterte mit ihrem Vater und ihrem Bruder Johann Wilhelm, die beide nacheinander Kurfürsten von der Pfalz waren, finanzielle Fragen ebenso wie die Stellung von Truppen, diplomatische Initiativen und die Vergabe von Ämtern. Dabei stimmte sie sich stets mit ihrem Ehemann, Kaiser Leopold I, ab.

Eleonora Magdalena entwickelte früh kommunikative Strategien, um ihre Ziele zu verfolgen

Von Heiratspolitik bis zu militärischen Überlegungen

Worum ging es in den Briefen konkret?

Keller: Es ging viel um ihre zahlreichen Geschwister: die Brüder, die Positionen in der Reichskirche oder in der kaiserlichen Armee bekommen sollten und klug verheiratet werden mussten, aber auch um die Eheschließungen ihrer Schwestern. Sie handeln aber auch von militärischen Fragen, etwa wie Truppen gestellt werden sollten, wie sich ihr Bruder im Spanischen Erbfolgekrieg am besten positionieren sollte, oder die Besetzung von Bistümern im Reich durch Männer aus den Häusern Habsburg und Lothringen.

In Eleonora Magdalenas Briefen an Vater und Bruder ist es bemerkenswert, in welcher Offenheit sie – gerade in politischen Fragen – schrieb. Schon kurz nach ihrer Heirat Ende 1676 äußerte sie in den Briefen an ihren Vater eigene Ansichten, die nicht immer den seinen entsprachen. Vater und vor allem Bruder fragten sie auch direkt um Rat. Sie entwickelte früh kommunikative Strategien, um ihre Ziele zu verfolgen. Das ist per se nicht überraschend, aber dass man das in ihren Briefen so deutlich beobachten kann, ist schön zu sehen.

Eine große Rolle in ihren Briefen spielen auch die Heiratspläne ihrer Söhne.

Keller: Ja, insbesondere die für ihren ältesten Sohn Joseph, dem Thronfolger. Diese Briefe chiffrierte sie teilweise, ebenso wie später auch die über die Verehelichung ihres Sohns Karl, des späteren Kaisers Karl VI. Sie wollte unter keinen Umständen, dass die damit verbundenen Überlegungen und Initiativen an die Öffentlichkeit gelangten, da die Anbahnung einer Eheschließung eine höchst politische Sache war. Das galt für jede Eheschließung im Kaiserhaus, aber um 1700 umso mehr, als die Suche nach einer katholischen Braut schwierig war.

Sie setzte Codenamen ein: Der Name des römischen Kaisers „Tiberius“ war beispielsweise vermutlich der Deckname für ihren Bruder

Verschlüsselte Briefinhalte

Wie hat die Kaiserin solch heikle Inhalte chiffriert?

Keller: Sie benutzte ein monoalphabetisches Verschlüsselungsverfahren, bei dem im Wesentlichen ein Symbol einem Buchstaben entspricht. Zudem setzte sie Codenamen ein: Der Name des römischen Kaisers „Tiberius“ war beispielsweise vermutlich der Deckname für ihren Bruder. Von den uns zur Verfügung stehenden rund 3000 Seiten sind ca. 90 Seiten chiffriert.

Für das Lesen und die Transkription der Briefe wurde Künstliche Intelligenz (KI) eingesetzt. Inwieweit unterstützt sie die Forschungsarbeit?

Keller: KI wird auch zur Übertragung alter Handschriften eingesetzt und kann bereits viel erkennen, aber mit unorthodoxen und unregelmäßigen Handschriften, wie die der Kaiserin Eleonora Magdalena, hatte das Programm manchmal so seine Schwierigkeiten. Wir mussten viel korrigieren. Teil des Problems war auch, dass sich ihre Handschrift im Laufe von vierzig Jahren, über die die Briefe geschrieben worden sind, stark veränderte.

Wie das?

Keller: Durch vieles Schreiben schreibt sich die Hand quasi aus und die Schrift verändert sich. Zudem hat sie mit der Zeit immer schlechter gesehen, und zu jener Zeit trug man nur selten Brillen. Das ist eine Entwicklung, die man auch bei anderen historischen Personen beobachten kann. Bei „unserer“ Kaiserin kam aber noch der Zeitdruck hinzu, solange sie regierende Kaiserin an der Seite ihres Mannes war. Die Vielzahl ihrer Repräsentationspflichten beanspruchte sie sehr. Aus Zeitmangel schrieb sie oft in Abkürzungen und neigte dazu, Buchstaben auszulassen, wie etwa „schrbn“ für „schreiben“.

Die Briefe bieten eine spannende Sicht auf weibliche Agency, also die Handlungsmöglichkeiten von Frauen, die so lange in der Geschichtswissenschaft ignoriert wurden.

Bis Ende des Jahres sollen nun die transkribierten Briefe öffentlich zugänglich gemacht werden. Welche Bedeutung haben Kaiserin Eleonora Magdalenas Briefe heute?

Keller: Sie bieten eine spannende Sicht auf weibliche Agency, also die Handlungsmöglichkeiten von Frauen, die so lange in der Geschichtswissenschaft ignoriert wurden. Das gilt auch für Kaiserin Eleonora Magdalena: Über sie wird in Biografien ihres Ehemannes Kaiser Leopold I. gewöhnlich nur berichtet, dass sie ihm viele Kinder gebar und ihm im Krankenbett beigestanden habe.

Insofern sind ihre Briefe ein weiterer wichtiger Baustein, um die Frauen „zurück“ in die Geschichte zu bringen. Für Zeitgenossen war es klar, dass eine Kaiserin Handlungsspielräume hatte, auch solche politischer Art, aber das ist durch die Sichtweise der Geschichtswissenschaft – besonders die des 19. Jahrhunderts – in Vergessenheit geraten. Wir übersehen so oft noch heute, dass politisches Handeln von Frauen, insbesondere bei jenen aus hochadligen und fürstlichen Familien, eine längere Tradition hat. Das können wir nun mit unseren Briefen für einen prominenten Fall ganz deutlich aufzeigen.

 

Auf einen Blick

Katrin Keller ist stellvertretende Direktorin des Instituts für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraumes sowie wissenschaftliche Direktorin für den Forschungsbereich Geschichte der Habsburgermonarchie.