30.10.2019 | Historische Bestattungsformen

Das Geheimnis der tibetischen Hügelgräber

Einzigartige Grablandschaften geben ÖAW-Forscher/innen Einblicke in eine längst untergegangene Kultur im Süden des heutigen Chinas.

Übersicht von Hügelgräbern © ISA/Hazod

Es ist eine der dichtesten Hügelgräberlandschaften weltweit: Als das tibetischen Reich vom 7.  bis ins 9. Jahrhundert auf dem Höhepunkt seiner Macht war, war es ein starkes, kriegerisches Reich. Zu dieser Zeit entstanden in den Weiten des Hochlandes hunderte Gräberfelder mit teilweise monumentalen Hügelgräbern. Begraben wurden hier sowohl die Mitglieder der herrschenden Familie, als auch Vertreter der aristokratischen Elite und vermutlich auch einfache Soldaten und deren Familien.

Für Forscher/innen sind diese Gräberfelder weit mehr als außergewöhnliche Landschaftsformationen – sie versprechen einzigartige Einblicke in das Leben und Sterben einer längst untergegangenen, vorbuddhistischen Kultur. Guntram Hazod vom Institut für Kultur- und Geistesgeschichte Asiens der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) befasst sich seit vielen Jahren mit den Hügelgräbern von Tibet. Er stieß bei seinen, vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Forschungen, auf eine erstaunliche Vielfalt an Grabtypen. Manche Gräber waren nicht mehr als kleine, runde Erdhügel, andere waren gemauert und umfassten mehrere Grabkammern. Während die peripheren Grabstätten bis zu 80 Meter maßen, erreichten die Gräber der tibetischen Herrscher Durchmesser von bis zu 130 Metern – deutlich länger als ein Fußballfeld. Die Bauwerke waren meist trapezförmig angelegt, verschmolzen vielfach mit der Bergkulisse des tibetischen Hochlandes und waren dadurch oft nur schwer zu erkennen. Häufig waren es hochauflösende Satellitenaufnahmen, die in den vergangenen Jahren die entscheidenden Hinweise zur Identifizierung neuer Grabstätten lieferten.

Nicht-invasive Forschungsarbeit

Mit der Entdeckung neuer Gräber startet die eigentliche Arbeit der Archäolog/innen. Um die Begräbnisorte historisch einzuordnen, nutzen sie neben archäologischen Methoden die umfangreichen textlichen Überlieferungen Tibets. So werden Archäologie, Ethnografie und Geschichte kombiniert, um den mysteriösen Hügelgräbern ihre Geheimnisse zu entlocken. An Fragen zu der untergegangenen Kultur mangelt es nicht, wie Hazod bestätigt: Wie konnte man sich ein Elitebegräbnis, also das Begräbnis eines sehr hohen Vertreters der Gemeinschaft, vorstellen? Wer genau war bei den Prozessionen zugegen? In welcher Form wurde der Leichnam in die Grabkammer eingebracht? Und: Welche Vorstellung vom Jenseits herrschte damals vor?

Vor allem die Frage nach den Jenseitsvorstellungen der tibetischen Gesellschaft beschäftigt die Forscher/innen rund um Hazod. Sie nehmen an, dass die Herrscherfamilie und die Eliten, wenn nicht überhaupt alle in einem Hügelgrab Bestatteten, eine gemeinsame Vorstellung vom Jenseits teilten – nämlich die vom „Land der Freude“, das sich in alttibetischen Texten findet. Um dieser Hypothese nachzugehen, sind Untersuchungen zur Orientierung der Gräber essentiell. Paradoxerweise ist es dafür hilfreich, dass ein Großteil der Grabhügel bei Plünderungen geöffnet worden ist: „Diesen Einblick in die Grabkammern hätten wir ansonsten nicht, weil Grabungen vor Ort nicht erlaubt sind“, erläutert Hazod.

Aufgrund dieses Grabungsverbotes spielt bei Rekonstruktionen die Zusammenarbeit mit Expert/innen vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie eine besonders wichtige Rolle. Hügelgräber können nicht-invasiv analysiert werden, etwa durch Aufnahmetechniken, bei denen hochauflösende 3D-Bilder erstellt werden. Die Oberflächenarchäologie ist zudem wichtig, um die topografische Lage der einzelnen Hügelgräber und die angrenzenden Spuren von ritueller Architektur zu analysieren. Ein Beispiel für eine solche Architektur sind Opfergruben, die stufenartig vor den größeren Gräberkomplexen platziert wurden.

Der Schäfer als Hauptinformant vor Ort

Guntram Hazod und sein Team setzen neben diesen modernen Methoden allerdings auch auf konventionelle Zugänge: Denn vor Ort sind es oft die einheimischen Schäfer, die ein enormes Wissen über die Gegend und ihre Geschichte haben: „Sie kennen jede Quelle, jeden abgelegenen Platz, seinen Namen und oft auch seine Geschichten und sind im Feld daher unsere ersten Informanten“, so der Sozialanthropologe.

Die historischen Reste der Hügelgräber haben übrigens bis heute einen Nutzen: Manche dienen als Stallungen oder werden religiös genutzt, etwa als Platz für den Schrein einer buddhistischen Schutzgottheit. Diese Zeugnisse einer alten Kultur sind allerdings vielerorts durch die rasanten demographischen und baulichen Entwicklungen in Tibet gefährdet, so Hazod. Die umfassende Dokumentation der Gräberorte sei daher ein vorrangiges Ziel seiner Forschungen, die auch in Zukunft noch viele Geheimnisse einer wenig bekannten vorbuddhistischen Kultur des tibetischen Hochlandes lüften sollen.

 

Auf einen Blick

Das Forschungsteam um Guntram Hazod betreibt seit fünf Jahren eine digitale Datenbank (www.oeaw.ac.at/tibetantumulustradition), in der fortlaufend Basisinformationen zu den einzelnen Orten ihrer Untersuchungen einschließlich kartographische Illustrationen interaktiv zugänglich gemacht werden.

 

Institut für Sozialanthropologie der ÖAW

Institut für Kultur- und Geistesgeschichte Asiens der ÖAW