20.02.2023 | Neoliberal bis marktkritisch

Medien messen Bankenübernahmen mit zweierlei Maß

Von Cerberus bis Polbank - wie bewerteten Medien internationale Übernahmen von Großbanken? Die ÖAW-Forscher Robert Musil und Josef Seethaler haben in einem transdisziplinären Projekt überraschende Antworten gefunden.

Heimische Großbanken waren in den vergangenen Jahrzehnten sowohl in aktive wie passive Übernahmen involviert. © Adobe Stock

Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs erlebte die Wiener Wirtschaft eine dynamische Internationalisierung. Insbesondere heimische Banken engagierten sich im osteuropäischen Raum und stiegen dort zu einigen der größten Auslandsinvestoren auf. Beispielsweise übernahm die Erste Bank die Banca Comerciala Româna (BCR) und die ukrainische Bank Aval, die Raiffeisen Bank International (RBI) die Polbank. Neben diesen aktiven Übernahmen gab es aber auch passive: Die Bank Austria wurde von der Bayerischen HVB (und später UniCredit) gekauft, die Bawag P.S.K. durch den US-Fonds Cerberus.

Wie wurden diese fünf Übernahmen in den heimischen Medien bewertet? Diese Frage stellte sich ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, bestehend aus Robert Musil, interimistischer Direktor des Instituts für Stadt- und Regionalforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW),  Josef Seethaler, stellvertretender Direktor des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Universität Klagenfurt, sowie der Digitalisierungs-Expertin Marlene Dietrich Gsenger. Bei ihren Untersuchungen werteten sie 1.614 Medienberichte in den Tageszeitungen „Der Standard“ und „Die Presse“ von 1999 bis 2018 aus.

Schizophrenie bei Bankenübernahmen

Die dabei gewonnenen, mitunter erstaunlichen, Ergebnisse werden am 23. Februar 2023 in einer frei zugänglichen Veranstaltung präsentiert. Im Interview erklären Musil und Seethaler bereits jetzt, warum sie heimischen Medien eine „regionale Schizophrenie“ diagnostizieren, warum es immer um das Wohl des eigenen Standorts geht, und wie sich die Bewertungsmuster durch die globale Wirtschaftskrise von 2009/2010 verändert haben.

Es wurde mit Markteffizienz argumentiert, die letztlich Vorteile für beide Seiten brachten."

Wie wurden die aktiven Übernahmen von Wiener Banken in Osteuropa kurz nach der Wende gedeutet?

Robert Musil: Zum überwiegenden Teil positiv. Es wurde mit Markteffizienz argumentiert, die letztlich Vorteile für beide Seiten brachten. Wenn aber ausländische Unternehmen in Wien eine Bank übernahmen, etwa die BAWAG oder die Bank Austria, wurde das vorsichtig bis ambivalent bewertet. Man fragte kritisch, was mit den Arbeitsplätzen passiert und wie es mit dem Banken- und Finanzplatz Wien weitergeht. Auch, was es für die Stabilität der heimischen Wirtschaft bedeutet. Da wurden unterschiedliche Maßstäbe herangezogen.

Der Standard“ und „Die Pressehaben eine unterschiedliche Leserschaft und politische Ausrichtung. Trotzdem wurde ähnlich argumentiert? 

Josef Seethaler: Das hat uns doch überrascht. Wir hatten erwartet, dass die „Die Presse“ stärker neoliberal argumentieren würde und „Der Standard“ eher links-alternativ und kritischer. Aber das war nicht der Fall. Beide waren wirtschaftspolitisch auf gleicher Schiene.

Wenn spanische Unternehmen in Lateinamerika Firmen übernehmen, dann heißt es sofort, die "Conquistadores" kommen wieder."

Stecken da womöglich globale Ängste dahinter: Das kleine Österreich, das sich gegen die großen ökonomischen Player durchsetzen muss?

Musil: So ist es. Das ist aber nichts Österreich-spezifisches. Wenn spanische Unternehmen in Lateinamerika Firmen übernehmen, dann heißt es sofort, die "Conquistadores" kommen wieder. In Deutschland zeigen Studien, dass bei Investitionen aus Schwellenländern, insbesondere aus China sofort Befürchtungen aufkommen, überrollt zu werden.  Wenn ausländische Unternehmen heimische Firmen übernehmen, wird das generell eher kritisch gesehen.

Neoliberal bis marktkritisch

Hat sich das Laufe der Zeit verändert?

Seethaler: Ganz am Anfang argumentierten die Journalist:innen bei den aktiven Übernahmen noch sehr neoliberal, gegen Ende eher marktkritisch. Damit haben sich bei den aktiven und den passiven Übernahmen die Bewertungen etwas angeglichen. Bei dieser Annäherung der Erklärung und Bewertung von aktiven und passiven Bankenübernahmen spielt die Krise ab 2009/10 eine große Rolle. In den Ländern des östlichen Europas befürchtete man eine sogenannte Kreditklemme, das heißt, dass ausländische Banken, um ihre Risiken zu minimieren, keine Kredite mehr vergeben und damit die Wirtschaft abwürgen. Damit das nicht passiert, gab es auf höchster Ebene Abkommen. Das wurde in den heimischen Medien aber kaum zum Thema. Man hatte lediglich Angst, wie sich die Risiken des Ostgeschäfts auf die Stabilität des Wiener Bankensektors auswirken. Es wurde immer aus einer Wiener Perspektive heraus argumentiert. Darum haben wir das „regionale Schizophrenie“ genannt.

In Boom-Phasen möchte keiner so genau wissen, wie es zu den Gewinnen kommt. In Krisen ändern sich die Maßstäbe der Bewertung."

Also das Gegenteil von globalem Denken?

Musil: Letztendlich geht es immer um das Wohl des eigenen Standortes, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit, Arbeitsplatzsicherheit, Stabilität. Während der Wirtschaftskrise hat man dann kritischer nachgefragt, was die heimischen Banken eigentlich in Osteuropa machen. Man hat begonnen, das Bankengeschäft auf einmal kritisch zu sehen. Das beobachten wir auch gerade wieder beim Immobilienmarkt: In Boom-Phasen möchte keiner so genau wissen, wie es zu den Gewinnen kommt. In Krisen ändern sich die Maßstäbe der Bewertung.

 

Auf einen Blick

"Regionale Schizophrenie. Bankenübernahmen und regionale Deutungsmuster": Unter diesem Titel befassen sich am 23. Februar 2023 hochkarätige Expert:innen wie Ewald Nowotny mit medialer Berichterstattung zu finanzpolitischen Themen und beleuchten diese sowohl aus wissenschaftlicher wie auch wirtschaftlicher Perspektive. Der Eintritt ist frei.

Robert Musil studierte Geographie und Geschichte an den Universitäten Wien und Innsbruck. Er ist interimistischer Direktor des Instituts für Stadt- und Regionalforschung der ÖAW und leitet die Arbeitsgruppe „Innovation und Urbane Ökonomie“.

Josef Seethaler ist stellvertretender Direktor des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Universität Klagenfurt. Er lehrt an den Universitäten Wien und Klagenfurt.

 

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