13.10.2022 | Architekturgeschichte

Wien in China: Wie die Habsburgermonarchie global wurde

Im Fokus der historischen Erforschung der k.&.k.-Monarchie steht üblicherweise Europa. Doch immer wieder kam es auch zu Episoden von habsburgischen Aktivitäten außerhalb Europas. Ein neu im Verlag der ÖAW erschienenes Buch untersucht eine davon: eine Ära habsburgischer Präsenz im chinesischen Tientsin, die bis heute sichtbare bauliche Spuren hinterlassen hat.

Zwei Menschen sitzen an einem städtischen Kanal, hinter dem sich historische Prachtbauten erheben
© Die sogenannte Austrian Style Riverfront im heutigen Tianjin/China. © Michael Falser

Wer in China Spuren eines kulturellen Einflusses Österreichs sucht, wird nicht nur bei klassischer Musik oder einer Nachahmung Hallstatts fündig - sondern auch bei einzigartigen Bauwerken in Tianjin (früher Tientsin). In dieser Stadt in der Nähe Pekings war die k.&.k.-Monarchie in einem urbanen Handelsstützpunkt präsent, der über eine sogenannte "Konzession" verfügte. Diese gab den anwesenden Europäer:innen umfassende Befugnisse wie beispielsweise eine eigene Rechtssprechung, die Erlaubnis Handel zu treiben oder die Genehmigung zur Errichtung von Bauwerken.

Von 1901 bis 1917 waren Untertan:innen der k.&.k.-Monarchie in Tianjin in unterschiedlicher Weise tätig, bevor der Erste Weltkrieg Österreich-Ungarn und damit auch dieser Epoche ein Ende setzte. Doch in dieser kurzen Zeitspanne schufen sie insbesondere architektonische Werke, die bis heute Bestand haben. Das neu im Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) erschienene Buch "Habsburgs going global" widmet sich genau dieser selten beleuchteten, aber umso spannenderen baugeschichtlichen Thematik. Anlässlich der öffentlichen Präsentation des Buches am 17. Oktober 2022 in Wien schildert der Autor Michael Falser, Architekturhistoriker und Kulturerbe-Forscher, die Besonderheiten dieser österreichischen architektonischen Episode in Übersee - und warum man bis heute so wenig darüber weiß.

Handelsverträge vs. Kolonien

Wie unterscheiden sich Konzessionen von Kolonien?

Michael Falser: Kolonien sind militärisch gewaltmäßig besetzte Territorien, Konzessionen - auf Englisch Settlements - aber entstehen durch Verträge, auch wenn diese fast immer aufgezwungen waren. Im Fall der internationalen Konzession von Tientsin musste China ab 1860 ein sich stetig ausbreitendes Territorium für internationalen Handel zur Verfügung stellen. Durch eine Art von dauerhaftem Leasing wurde da geregelt, dass neun Nationen – von England und Frankreich bis Russland, Japan, Italien, USA, Belgien und eben auch Österreich-Ungarn – ein bestimmtes Gebiet wirtschaftlich nutzen dürfen. Die Länder konnten dort Handel betreiben, hatten eine eigene Rechtsprechung und ihre diplomatische Repräsentation. So durften sie auf chinesischem Boden ihr Konsulat, aber auch Villen, Banken, Firmensitze und Fabriken bauen und betreiben.

Warum gerade Tianjin?

Falser: Die Stadt in der Nähe von Peking war schon zuvor eine wichtige Handelsstadt gewesen. Sie war für ihr Salz berühmt. Und sie war an den berühmten, künstlich geschaffenen Kaiserkanal angebunden, der auch mit dem Pazifik verbunden war. Das machte die Stadt auch für fremde imperiale Mächte interessant, zu einer Zeit des sogenannten „Welthandels“, als das uns heute geläufige Wort „Globalisierung“ noch nicht erfunden war.

Das ist in der Tat ein blinder Fleck in der klassischen Habsburg-Forschung."

Warum weiß man so wenig darüber, dass die k.&k.-Monarchie in China eine Konzession hatte?

Falser: Das ist in der Tat ein blinder Fleck in der klassischen Habsburg-Forschung. In der Geschichte der Habsburgermonarchie ging es meist nur um die Kronländer innerhalb von Europa. Als globale Handelsmacht wurde Österreich-Ungarn in der Wissenschaft bis heute kaum untersucht. Das liegt vielleicht auch daran, dass dieses Gebiet in China erst spät erworben und sehr bald darauf auch schon wieder aufgegeben wurde: Die k.&k.-Kriegsmarine hatte sich an der Niederschlagung des sogenannten Boxeraufstandes beteiligt, an dessen Ende Österreich-Ungarn ein rund 0,6 Quadratkilometer großes Konzessionsgebiet in Tientsin besetzte, während die Engländer und Franzosen bereits ab 1860 weiter südlich am Fluss imposante Stadtviertel neu gebaut hatten.

Was wurde dort konkret errichtet?

Falser: Auf den damaligen Plänen sieht man einen großen Straßenzug mit Konsulat, eine eiserne Dreh-Brücke und einige Firmensitze. Alles sehr überschaubar. Österreich bekam aber auch den ungünstigsten Platz: Das relativ kleine Viertel war bereits von mehreren tausend Chinesen bewohnt. Erschwerend hinzu kam: Politik und vor allem Handel hatten in der k.&k.-Monarchie im weit entfernten Europa ein sehr eingeschränktes Interesse an dieser Konzession in Fernost. Das Habsburger-Reich besaß keine Kolonien im klassischen Sinne und damit auch keine eigenen Stützpunkte und eingespielten Handelsverbindungen nach Asien. Es war schwierig, effektiven Handel zu betreiben, weil man immer auf die Transportsysteme von anderen angewiesen war und Steuern zahlen musste. Es hat sich nicht wirklich gelohnt.

Zufallsfund im Archiv

Wie sind Sie auf dieses Thema gestoßen?

Falser: Durch einen Zufallsfund. Ich habe im Archiv der Nationalbibliothek ein Fotoalbum entdeckt. Die Briefe und Akten der Diplomatie liegen hingegen im Staatsarchiv. Das Archiv-Material aus dieser Zeit war im Laufe der Zeit also stellenweise voneinander getrennt worden, was sein großes Vergessen natürlich begünstigte. Dieses Fotoalbum war die Initialzündung für mich, mein Buch zu schreiben. Es handelt sich um 115 Originalfotos in Schwarz-Weiß, die 1911 entstanden sind und genau beschriftet wurden. Damals hatte eine Flutkatastrophe auch die österreichische Konzession verwüstet und von der Botschaft in Peking wurde jemand geschickt, um die Schäden zu dokumentieren. Durch dieses Material ist es mir erstmals gelungen, die Stadtbaugeschichte zu rekonstruieren. 

Die Austrian Style Riverfront wirkt zum Teil wie eine künstlich aufgeblasene Wiener Ringstraße."

Wie geht China heute mit diesem Erbe um?

Falser: China ist inzwischen ein globaler Player geworden, und nutzt diese Konzessionen, um sich seiner internationalen Geschichte im 20. Jahrhundert zu vergewissern. Man zeigt, dass man schon damals „global“ verbunden war, entdeckt die damals (de facto imperialistischen) Konzessionen als eine Art internationale Erfolgsgeschichte für sich neu. Man kann heute Fahrradtouren durch die internationalen Viertel machen und sich die noch stehenden Gebäude ansehen. Ein wenig erinnert das an Disneyland, denn zerstörte oder fehlende Teile wurden einfach ergänzt, und zwar im Stil der jeweiligen Konzession. Es ist eine chinesische Version, wie es aussehen hätte können, wenn es fertig gebaut worden wäre. Die Austrian Style Riverfront wirkt da zum Teil wie eine künstlich aufgeblasene Wiener Ringstraße, wie sie dort historisch nie existiert hat. Auf einem Schild steht: Hier sehen Sie Österreich-Ungarn.

 

Auf einen Blick

Im „Habsburgs going global. The Austro-Hungarian Concession in Tientsin/Tianjin in China (1901-1917)“ beschreibt Michael Falser ein bislang kaum erforschtes Kapitel in der Habsburg-Geschichtsschreibung. Gefördert wurde die Publikation, erschienen im Verlag der ÖAW, vom österreichischen Wissenschaftsfond FWF und von der Mayer-Gunthof-Stiftung. Das Buch steht als Print-Version, aber auch als E-Book gratis zum Download zur Verfügung:

Verlag der ÖAW

Buch-Präsentation