02.08.2021 | Corona-Kommunikation

Wie Wissenschaft über Corona spricht

Nie zuvor waren Wissenschaftler/innen so präsent in den Medien wie während der Pandemie. Seit eineinhalb Jahren prägen vor allem Virolog/innen und Epidemiolog/innen das Verständnis und die öffentliche Debatte zu COVID-19. Aber: Müssen sie zwingend auch Medienexpert/innen sein? Und worauf kommt es in der Kommunikation über Corona an?

Wissenschaftler/innen waren aufgrund der Coronapandemie so oft in den Medien wie selten zuvor. Doch komplexe wissenschaftliche Erkenntnisse sind oftmals nicht leicht mit Medienlogiken in Einklang zu bringen. © Shutterstock

Selten war die Wissenschaft so gefragt: Seit Ausbruch der Pandemie ist das Informationsbedürfnis innerhalb der Bevölkerung deutlich gestiegen. Beständig erklären Virolog/innen und Epidemiolog/innen komplexe Inhalte und versuchen Orientierung zu geben in einer täglich wachsenden und mitunter widersprüchlichen Informationsflut. Aber wie funktioniert die wissenschaftliche Kommunikation über COVID-19 in Politik und Medien? Vor welchen Herausforderungen stehen Wissenschaftler/innen in der Kommunikation? Und welche Strategien wirken gegen Desinformation, die das Vertrauen in die Wissenschaft untergräbt?

„Die vergangenen eineinhalb Jahre haben deutlich gezeigt, dass der Krisenmodus auch für die Kommunikation von Wissenschaft gilt“, sagt Matthias Karmasin, Kommunikationsforscher und Direktor des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Universität Klagenfurt. Dass eine Ausnahmesituation wie die gegenwärtige auch die Bedingungen für die Kommunikation von Wissenschaft verändert, liegt vor allem am Zeitdruck, aber auch an der Politisierung und Medialisierung von Wissenschaft, so der ÖAW-Kommunikationsforscher.

Von der Politik (nicht) gehört

Nicht immer ist die Trennung von Wissenschaft und Politik gut und eindeutig gelungen. Dass politische Gruppierungen versuchen, Wissenschaft zu vereinnahmen, ist aber nichts Neues, so der ÖAW-Forscher. Und: Einige Entscheidungen sind in der Coronakrise auch gegen den Rat von Expert/innen getroffen worden – einfach, weil es in der Politik um Interessen geht. Karmasin macht deutlich: „Wissenschaft ist nicht Politik. In der Wissenschaft steht die Produktion evidenzbasierter Erkenntnisse und nicht das Vertreten von Interessen im Zentrum.“

Ähnlich sieht das Andreas Bergthaler. Als Virologe und Immunologe steht er seit Ausbruch von SARS-CoV-2 im Mittelpunkt medialer Aufmerksamkeit. Gemeinsam mit einem großen Team am CeMM – Forschungszentrum für Molekulare Medizin der ÖAW hat er in Österreich die ersten Virusgenome sequenziert, Politik und Öffentlichkeit über Virusmutationen aufgeklärt und komplexe Sachverhalte verständlich vermittelt. Worauf es in der Kommunikation ankommt? „Wichtig ist es, möglichst transparent zu erklären und einen Überblick über den Stand der Wissenschaft zu geben – mit all seinen Widersprüchlichkeiten und Unsicherheiten“, sagt Bergthaler.

Wissenschaftskommunikation unter unsicheren Bedingungen

Allerdings: In der medialen Berichterstattung bevorzugt man eher einfache Antworten – und die kann man als Wissenschaftler/in in einer dynamischen und unsicheren Krisensituation kaum geben. Bergthaler: „Man kann versuchen mit seiner Expertise aufzuklären, muss aber immer betonen, wo die Unsicherheiten sind oder wann es zur Spekulation wird.“ Und: Politische Fragen kann die Wissenschaft nicht klären. „Wenn ein Virologe zu politischen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie befragt wird, dann überschreitet er das eigene Expertentum“, ist der ÖAW-Forscher überzeugt.

Ein Beispiel dafür, wie schnell sich die Lage weiterentwickelt, ist für Bergthaler die Ausbreitung der Delta-Mutante. Sein Standpunkt: „Vorsichtig agieren und nicht sofort ‚Feuer am Dach‘ schreien, aber gleichzeitig erklären, warum die Entwicklung besorgniserregend ist.“ Dass die Gesetzmäßigkeiten und Mechanismen einer medialen Kommunikation dabei andere sind, als jene einer wissenschaftlichen Publikation, liegt für den Virologen auf der Hand. Und: Für ersteres sind Wissenschaftler/innen nicht unbedingt ausgebildet, für letzteres hingegen schon.

Müssen alle Wissenschaftler/innen jetzt zwingend zu Medienexpert/innen werden? Ein Anspruch, den Kommunikationsforscher Karmasin problematisch findet, denn: „Es hat nichts mit wissenschaftlicher Exzellenz zu tun, ob man zusätzlich in Interviews brilliert und die berühmten 60 Sekunden ohne Schnitt im O-Ton hinbekommt.“ Für die Wissenschaftskommunikation gebe es schließlich an jeder Universität und Forschungseinrichtung eigene Abteilungen für Kommunikation, die sich um die Popularisierung und Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse kümmern.

Von der Pandemie zur Infodemie

Es gibt aber eine weitere pandemische Entwicklung, die dem Kommunikationswissenschaftler Sorge bereitet: „Die Pandemie hat längst auch Züge einer Infodemie bekommen“, sagt Karmasin. „Es ist eine laute, wissenschaftsfeindliche Minderheit, die Schulmedizin generell ablehnt und falsche Behauptungen verbreitet.“ Befeuert werde dies, wenn Medien bewusst randständige Positionen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken, um Kontroverse zu erzeugen – eine Situation der „False Balance“, also der falschen Ausgewogenheit.

Meinungsfreiheit bedeutet nicht, dass es einen Anspruch auf unwahre Behauptungen gibt, so der Kommunikationsforscher. „In der Pandemie hat sich gezeigt, dass sich das Auseinanderdriften der Medien parallel zur Polarisierung der Gesellschaft entwickelt hat.“ Für Karmasin steht fest: Wer hingegen Wissenschaftsjournalismus fördern will, richtet Wissenschaftsredaktionen ein, baut sie aus und bemüht sich um die Rahmenbedingungen für solide Recherche, die auch den wissenschaftlichen Konsens abbildet.

 

AUF EINEN BLICK

Matthias Karmasin ist Direktor des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Universität Klagenfurt. Er ist Mitglied der ÖAW und der Academia Europaea.

Andreas Bergthaler ist Forschungsgruppenleiter am CeMM – Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und ERC-Preisträger. Seine Forschungsarbeit führte ihn u.a. an die ETH Zürich, die Universität Genf und das Institute for Systems Biology in den USA.