03.02.2022 | Prähistorie

Was Skelette der Bronzezeit über Geschlechterrollen verraten

In der Bronzezeit wurden Frauen anders beigesetzt als Männer. Wie ÖAW-Archäologin Katharina Rebay-Salisbury mittels einer neuen Methode herausgefunden hat, wurden bereits Kinder nach ihrem biologischen Geschlecht bestattet. Trotzdem finden sich auch immer wieder Skelette, die nicht geschlechterkonform begraben wurden. Welche Schlüsse man daraus ziehen kann, erklärt Rebay-Salisbury im Interview.

Im Zahnschmelz lassen sich mit einer neuen Methode geschlechtsspezifische Peptide feststellen. Dadurch können Archäolog/innen das biologische Geschlecht bestatteter Kinder bestimmen. © ÖAW/Daniel Hinterramskogler

Mittels Zahnschmelzproben lässt sich das Geschlecht von prähistorischen Kinderskeletten feststellen. Katharina Rebay-Salisbury vom Österreichischen Archäologischen Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) hat mit ihrem Team das biologische Geschlecht von 70 Kindern aus einem frühbronzezeitlichen Gräberfeld in Niederösterreich bestimmt und dabei eine überraschende Entdeckung gemacht: Schon Kinder wurden streng in Mädchen und Buben getrennt, nur ein Mädchen wurde wie ein Bub begraben. Das berichten die Forscher/innen aktuell im Journal of Archaeological Sciences.

„Prinzipiell gab es in der Bronzezeit nur die Möglichkeit als Mann oder Frau bestattet zu werden. Dazwischen gab es durch die starke binäre Geschlechterideologie kaum Spielraum. Trotzdem gibt es immer wieder einzelne Individuen, für die es möglich war, andere Rollen in der Gesellschaft einzunehmen und diese Regeln nicht befolgen zu müssen“, sagt Rebay-Salisbury im Gespräch.

DNA-Spuren der Bronzezeit

Sie haben 2020 auf einem Vortrag in Aussicht gestellt, dass man das Geschlecht von prähistorischen Kinderskeletten durch Zahnschmelzproben bestimmen kann. Was ist der aktuelle Stand?

Katharina Rebay-Salisbury: Bisher war es immer schwierig, das Geschlecht bei bestatteten Kindern festzustellen, weil sich erst nach der Pubertät die Skelettmorphologie geschlechterspezifisch ausbildet. Es gibt zwar DNA-Analysen, aber die sind sehr teuer und von der Erhaltung der Knochen abhängig. Unsere Methode beruht auf der Analyse von geschlechtsspezifischen Peptiden, die durch die unterschiedlichen Isoformen des Proteins Amelogenin bei Männern und Frauen im Zahnschmelz in unterschiedlicher Form vorkommen.

Wir haben das biologische Geschlecht von 70 Kindern aus einem frühbronzezeitlichen Gräberfeld bestimmt. Bei der Bestattung wurde geschlechtsspezifisch vorgegangen.

Wo wurde dieser Ansatz praktisch ausprobiert?

Rebay-Salisbury: Wir haben das biologische Geschlecht von 70 Kindern aus einem frühbronzezeitlichen Gräberfeld bestimmt. Bei der Bestattung wurde geschlechtsspezifisch vorgegangen: Frauen waren in Hockerlage auf der rechten Körperseite liegend bestattet mit dem Kopf nach Süden, Männer auf der linken Körperseite mit dem Kopf nach Norden. Wir wollten wissen, ob das bei Kindern auch schon so streng getrennt wurde. Das hat sich bestätigt, bis auf ein Mädchen, das wie ein Bub bestattet wurde.

Spielraum bei Geschlechterrollen

Kommen solche Ausnahmen häufiger vor?

Rebay-Salisbury: Ausnahmen wie diese sind spannend, es gibt sie auch bei Erwachsenen. Es handelt sich oft um etwa 2 bis 4 Prozent, bei denen Menschen nicht ihres biologischen Geschlechts gemäß begraben wurden. Interessanterweise ist das überwiegend bei Frauen der Fall.

Wir erfassen ausschließlich das chromosomale Geschlecht, das heißt aber nicht, dass es mit dem gelebten Geschlecht übereinstimmen muss. Zwischen typisch weiblich und typisch männlich gibt es eine große Bandbreite.

Sie können also das genetische Geschlecht bestimmen, aber wissen trotzdem nicht, ob diese Person diese Geschlechterrolle auch erfüllt hat?

Rebay-Salisbury: Wir erfassen ausschließlich das chromosomale Geschlecht, das heißt aber nicht, dass es mit dem gelebten Geschlecht übereinstimmen muss. Auch das morphologische Geschlecht entwickelt sich nicht unbedingt genauso wie es im Lehrbuch der Biologie steht. Da gibt es Männer, die eher weiblich aussehen und Frauen, die eher männlich erscheinen. Zwischen typisch weiblich und typisch männlich gibt es eine große Bandbreite.

Wie erklären Sie sich diese Abweichungen?

Rebay-Salisbury: Trotz der strengen Geschlechterideologie, die in die Bronzezeit gelebt wurde, gab es immer wieder Menschen, für die es möglich war, andere Rollen in der Gesellschaft einzunehmen und die Regeln nicht befolgen zu müssen. Da besteht Forschungsbedarf, ob es etwa an Erbfolgeregelungen lag, oder ob es sich einfach um starke, ungewöhnliche Persönlichkeiten handelte.

Trotz der strengen Geschlechterideologie, die in die Bronzezeit gelebt wurde, gab es immer wieder Menschen, für die es möglich war, andere Rollen in der Gesellschaft einzunehmen.

Einblicke ins Leben von Kindern der Bronzezeit

Was wird durch die Geschlechtsbestimmung bei Kindern wissenschaftlich gewonnen?

Rebay-Salisbury: Durch die neue Methode der Geschlechtsbestimmung können wir Kindersterblichkeit, Krankheiten und Ernährung nun geschlechterspezifisch untersuchen. Wir können geschlechterspezifische Wachstumskurven erstellen und dadurch das Sterbealter besser einschätzen. Wir können untersuchen, ob Mädchen und Buben unterschiedlich behandelt wurden. Wir haben viele Verletzungen und Misshandlungspuren bei prähistorischen Kindern gefunden. Jetzt können wir nachforschen, ob das mehr bei Mädchen oder mehr bei Buben der Fall ist. Dadurch erfährt man auch, welche Rolle das Geschlecht im täglichen Leben gespielt hat.

Durch die neue Methode der Geschlechtsbestimmung können wir Kindersterblichkeit, Krankheiten und Ernährung nun geschlechterspezifisch untersuchen.

Beim Grab der Wikingerkriegerin aus dem schwedischen Gräberfeld von Birka ging man lange davon aus, dass es sich um einen Krieger handelt, dabei war die Bestattete eine Frau. Kann es vorkommen, dass Wissenschaftler/innen ihre eigene Geschlechternorm auf die Vergangenheit übertragen?

Rebay-Salisbury: Das Skelett war aufgrund der morphologischen Merkmale schon lange als Frau bestimmt, eine DNA-Analyse hat das nur bestätigt. Die Grabungen sind gut dokumentiert, man hat jeden einzelnen Knochen beschriftet. Ich denke, da gibt es wenig Zweifel, dass es sich tatsächlich um eine Kriegerin handelt. Trotzdem wurde das Ergebnis der Analysen in der Fachwelt heftig diskutiert. Nach dem Motto: Alles, was nicht sein darf, kann auch nicht sein. Was gegen ihr Weltbild verstößt, ist für viele Wissenschaftler/innen noch immer schwer zu akzeptieren. Gerade in diesem Fall ist das seltsam, denn in der Wikingermythologie kommen Kriegerinnen ja vor. Abweichungen von gesellschaftlichen Normen und Regeln werden immer als Sensation gesehen, eigentlich sind sie doch eine menschliche Konstante. Gerade die Ausnahmen zeigen, wie bunt das Leben ist und welche Entscheidungsfreiheiten einzelne Personen hatten. Erstaunlicherweise gab es aber mehr Frauen, die Männerrollen annehmen konnten, als Männer, die Frauenrollen lebten. Auch da sehe ich noch viel Forschungsbedarf.

 

AUF EINEN BLICK

Katharina Rebay-Salisbury ist Leiterin der Forschungsgruppe „Prehistoric Identities“ am Österreichischen Archäologischen Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Sie promovierte in Ur- und Frühgeschichte an der Universität Wien und forschte an den Universitäten Cambridge und Leicester in Großbritannien. 2016 erhielt sie einen Starting Grant des ERC (European Research Council) und 2017 habilitierte sie sich an der Universität Wien. Sie ist Mitglied der Jungen Akademie der ÖAW.

Aktuelle Publikation:

„Gendered burial practices of early Bronze Age children align with peptide-based sex identification: A case study from Franzhausen I, Austria“, Katharina Rebay-Salisbury, Patricia Bortel, Lukas Janker, Marlon Bas, Doris Pany-Kucera, Roderick B. Salisbury, Christopher Gerner, Fabian Kanz, Journal of Archaeological Sciences, 2022
DOI: https://doi.org/10.1016/j.jas.2022.105549

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