20.07.2021

MIT DER NATUR GEGEN FOLGEN VON EXTREMWETTER-EREIGNISSEN

Starkregen, Hochwasser, Rutschungen oder urbane Hitze: Bei extremen Wetterphänomenen durch den Klimawandel wird das Monitoring von Naturgefahren und die Suche nach naturbasierten Lösungen immer wichtiger. Welche Prinzipien und Wirkungsweisen aus der Natur wirken, zeigt eine aktuelle Studie von Gebirgsforscher/innen der ÖAW am Beispiel einer Hangrutschung in Tirol.

Ein Hangrutsch im Gebirge. © Unsplash.com

Vier Zentimeter. Das ist die jährliche Bewegung, die ein Hang in der Tiroler Gemeinde Wattens rutscht. Rund fünf Millionen Kubikmeter Erdmasse sind dabei in Bewegung. Der Grund: Unterirdische Wassermengen, die dazu beitragen den Berghang zu mobilisieren und ihn in bis zu 48 Meter Tiefe in Bewegung zu setzen. Seit 2016 wird die bewohnte Hanglage am Vögelsberg von Forscher/innen genau beobachtet.

Wo, wann und wie der rutschende Hang aufgehalten beziehungsweise das Rutschen verlangsamt werden kann und inwiefern hier Lösungen aus der Natur als Maßnahmen Wirkung zeigen, das erforscht ein Team vom Innsbrucker Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Die Ergebnisse der Forschungen sind kürzlich in den Fachjournalen "Earth Surface Processes and Landforms", "Earth-Science Reviews" und "Science of The Total Environment" erschienen.

Schneeschmelze und Regen beschleunigt Hangrutschung

„Das Konzept der naturbasierten Methoden stammt ursprünglich aus dem urbanen Raum“, berichtet Thomas Zieher, Projektleiter, Geograph und Geoinformatiker an der ÖAW. Um der steigenden Zahl an Hitzetagen und Tropennächten entgegenzuwirken, setzen viele Städte mittlerweile auf Begrünung und Entsiegelung von Flächen. Naturbasierte Lösungen sind also Beiträge aus der Natur zum nachhaltigen Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel. Beim rutschenden Hang in Vögelsberg haben die Forscher/innen nun im Rahmen des EU-Projektes OPERANDUM das Konzept auf das Management hydro-meteorologisch gesteuerter Naturgefahren übertragen.

Gemeinsam in einem interdisziplinären Team mit Expert/innen der Wildbach- und Lawinenverbauung, Geolog/innen sowie Vermesser/innen des Landes Tirol arbeitet das ÖAW-Team derzeit an einer gezielten Entwässerung des Hangs um die Bewegungen zu reduzieren. Voraussetzung dafür ist es, die Ursachen der Hangrutschung ausreichend zu verstehen. Dazu wurden flächendeckend simulierte Zeitreihen des verfügbaren Wassers basierend auf meteorologischen Daten erstellt und in Verbindung mit gemessenen Bewegungsraten analysiert.

„Durch diese detaillierten Untersuchungen, wie flächenhaftes Monitoring mit Laserscanner-Drohnen, raum-zeitliche Modellierung sowie präzise Feldmessungen vor Ort konnten wir mit dem Modell nachweisen, wie Schneeschmelze kombiniert mit Regen in den vergangenen Jahren zu Phasen beschleunigter Hangbewegung  geführt hat“, sagt Jan Pfeiffer, Studienautor, Geograph und Geoinformatiker am Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der ÖAW.

Klimafitte Wälder und erneuerbare Ressourcen tragen positiv bei

Durch diese Untersuchungen konnten die Wissenschaftler/innen mehrere naturbasierte Lösungen ausarbeiten und in einer Modellstudie umsetzen. So ist zum einen eine nachhaltige Waldbewirtschaftung wesentlich, um den hydrologischen Antrieb der Massenbewegung zu verringern. Wer lokal angepasste, artenreiche Dauerwälder statt Monokulturen anstrebt, unterstützt den Wald seine hydrologische Wirkung bestmöglich zu entfalten und trägt zu einer Stabilisierung des Hanges bei, so die Forschenden.

Ebenso förderlich ist es zusätzlich zur Drainage des Hangs, die Versickerung von Wasser entlang von Wildbächen zu vermeiden. Dazu hat das ÖAW-Team zusammen mit Wirtschaftspartnern einen Prototyp entwickelt, der konventionelle synthetische Maßnahmen durch erneuerbare Ressourcen ersetzt. Anstelle von häufig verwendeten Kunststoffhalbschalen wurde eine biologisch abbaubare Bentonitmatte – das ist ein Gemisch aus verschiedenen Tonmineralien eingebettet in abbaubare Trägermaterialien – verwendet. Damit wird mit einer nachhaltigen Lösung das Versickern des Wassers entlang eines Bachabschnitts verhindert.

Ökologische, soziale und wirtschaftliche Dimension

„Neben dem ökologischen Aspekt der Nachhaltigkeit zeigt unser lokaler Prototyp auch eine soziale und wirtschaftliche Dimension. Unsere ökologisch verträgliche Alternative ist langlebiger und erfordert weniger Wartungsaufwand als herkömmliche Maßnahmen“, sagt Projektleiter Zieher.

Mit naturbasierten Lösungen will man weltweit verstärkt die Auswirkungen des Klimawandels eindämmen. Dazu gehört auch der Erhalt von Mooren, die Renaturierung von Auen oder Wiederherstellung natürlicher Flusstäler, um das Hochwasserrisiko zu verringern. In Küstengebieten kann die Wiederaufforstung von Mangrovenwäldern Bodenerosion verhindern und die Auswirkungen des steigenden Meeresspiegels mildern.

 

Auf einen Blick

Publikationen

Pfeiffer, J.; Zieher, T.; Schmieder, J.; Rutzinger, M. & Strasser, U. (2021), 'Spatio-temporal assessment of the hydrological drivers of an active deep-seated gravitational slope deformation: The Vögelsberg landslide in Tyrol (Austria)', Earth Surface Processes and Landforms. 1-17. 

Kumar, P.; Debele, S. E.; Sahani, J.; Rawat, N.; Marti-Cardona, B.; Alfieri, S. M.; Basu, B.; Basu, A. S.; Bowyer, P.; Charizopoulos, N.; Jaakko, J.; Loupis, M.; Menenti, M.; Mickovski, S. B.; Pfeiffer, J.; Pilla, F.; Pröll, J.; Pulvirenti, B.; Rutzinger, M.; Sannigrahi, S.; Spyrou, C.; Tuomenvirta, H.; Vojinovic, Z. & Zieher, T. (2021), 'An overview of monitoring methods for assessing the performance of nature-based solutions against natural hazards', Earth-Science Reviews 217, 103603.

Kumar, P.; Debele, S. E.; Sahani, J.; Rawat, N.; Marti-Cardona, B.; Alfieri, S. M.; Basu, B.; Basu, A. S.; Bowyer, P.; Charizopoulos, N.; Gallotti, G.; Jaakko, J.; Leo, L. S.; Loupis, M.; Menenti, M.; Mickovski, S. B.; Mun, S.-J.; Gonzalez-Ollauri, A.; Pfeiffer, J.; Pilla, F.; Pröll, J.; Rutzinger, M.; Santo, M. A.; Sannigrahi, S.; Spyrou, C.; Tuomenvirta, H. & Zieher, T. (2021), 'Nature-based solutions efficiency evaluation against natural hazards: Modelling methods, advantages and limitations', Science of The Total Environment 784, 147058.