13.11.2022 | 50 Jahre IIASA

MIT COMMONS GEGEN DEN KLIMAWANDEL

Das IIASA wird 50 Jahre alt. Zum Jubiläum blickt eine internationale Konferenz in Kooperation mit der ÖAW auf die großen globalen Herausforderungen wie die Klimakrise. Einer der Vortragenden ist Arun Agrawal. Er erklärt im Interview, warum das Prinzip der „Commons“, gemeinschaftlich verwalteter Ressourcen, uns den Nachhaltigkeitszielen näher bringen könnte.

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Zum 50-jährigen Jubiläum des International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) findet vom 16. bis 17. November in Wien eine zweitägige Konferenz mit Fachvorträgen statt. Im Mittelpunkt steht das Potenzial von Systemanalysen, bei der Bewältigung von globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel zu helfen.

Die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ist als nationales Mitglied im IIASA-Rat dem Institut in Laxenburg seit Langem eng verbunden und ist Kooperationspartner der Konferenz, die an der ÖAW stattfindet.

Der an der Konferenz teilnehmende Nachhaltigkeitsforscher Arun Agrawal von der University of Michigan erklärt im Interview, wie gemeinschaftlich verwaltete Ressourcen dabei helfen könnten, nachhaltige Lösungen für die Probleme der Menschheit zu finden und warum der Zeitpunkt zum Handeln jetzt gekommen ist.

COMMONS ALS ALTERNATIVE

Nachhaltigkeitsforschung ist ein weites Feld. Können Sie ihre Schwerpunkte kurz umreißen?

Arun Agrawal: Ein großer Teil meiner Arbeit beschäftigt sich mit gemeinschaftlich verwalteten Ressourcen, die wir im Englischen “Commons” nennen. Ich untersuche diese Form des Ressourcenmanagements im Kontext von Komplexität und Nachhaltigkeit. Das Konzept der Commons ist populär geworden als Alternative zu rein vom Markt bestimmten Systemen der Verwaltung und strebt mehr Nachhaltigkeit und eine Verwaltung im Sinne der Menschen an. In den vergangenen Jahren haben Forschende leider mehr über Details von institutionellen Rahmenbedingungen gesprochen, statt tatsächlich Visionen für eine Integration von Commons in alternative Zukunftskonzepte zu entwickeln. Unsere Aufgabe ist, die Menschen zusammenzubringen, um Lösungen für ein lebenswertes Anthropozän zu finden.

Unsere Aufgabe ist, die Menschen zusammenzubringen, um Lösungen für ein lebenswertes Anthropozän zu finden.

Können Sie ein konkretes Beispiel aus Ihrer Arbeit geben?

Agrawal: Wir haben in einem Projekt 18.000 Institutionen in Nepal untersucht, die gemeinschaftlich Waldbesitz verwalten. Wir haben uns angeschaut, wie sie zur Verbesserung der Lebensumstände der lokalen Bevölkerung und zur Reduktion des CO2-Fußabdrucks beigetragen haben. Die Erforschung von Commons-basierten Systemen ist schon relativ ausgereift. Wir wissen seit den 1990er-Jahren, dass es historisch gesehen viele Beispiele für gemeinschaftliche Verwaltung natürlicher Ressourcen gibt. Elinor Ostrom hat für ihre Arbeit auf diesem Gebiet 2009 den Alfred Nobel Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften der Schwedischen Riksbank erhalten. Das Wissen, das hier erarbeitet wurde, hat in über 70 Ländern zu Gesetzgebung beigetragen, die Commons berücksichtigt, von gemeinschaftlich verwalteten Bewässerungssystemen bis zu kommunalen Fischereikooperationen. 

Wie können Regierungen solche Ansätze fördern?

Agrawal: Indem sie Rahmenbedingungen schaffen, die es Menschen erlauben, ihre Ressourcen auf lokaler Ebene gemeinschaftlich zu verwalten. So können parallel zu marktgetriebenen und hierarchischen Strukturen Alternativen entstehen. Die besten Beispiele dafür findet man im Globalen Süden. In Ländern wie Nepal, Indien, Tansania oder Mexiko haben sich soziale Bewegungen entwickelt, um gegen die Verstaatlichung von Land und für Selbstverwaltung zu kämpfen. 

Wenn wir die Bevölkerung nicht mit ins Boot holen, können wir den Klimawandel nicht erfolgreich bekämpfen. 

Was können wir von diesen Ländern lernen?

Agrawal: Der Kontext ist in der westlichen Welt natürlich ein anderer, aber die Wertschätzung von Leben vor der Aufrechterhaltung einer willkürlichen Ordnung ist sicher eine Lektion, die uns gut tun könnte. In westlichen Ländern spielen Commons auch eine Rolle, aber eher bei der Verwaltung von Wissen. Die Open Access Bewegung, die freien Zugang zu Forschungsergebnissen erwirkt, ist nur ein Beispiel. 

WAS DER EINZELNE TUN KANN

Wie können solche lokalen Projekte auf einen globalen Maßstab umgelegt werden?

Agrawal: Wenn es um große Herausforderungen wie Klimawandel geht, sehe ich unter Forscher:innen den Trend, auch nach großen Lösungen zu suchen. Dabei kann eine Revolution nur passieren, wenn ihre Prinzipien von der Bevölkerung verinnerlicht und im Alltag gelebt werden. Die große Herausforderung ist, den Alltag der Menschen in Einklang zu bringen mit den Anpassungen, die nötig sein werden, um den Klimawandel einzudämmen. Die COVID-Pandemie hat gezeigt, dass das nicht immer leicht ist. Die Regierungen haben es nicht geschafft, die Menschen mit ins Boot zu holen und von der Wichtigkeit von Masken und Impfungen zu überzeugen. Erfolg kann sich nur einstellen, wenn die Maßnahmen von den Menschen akzeptiert werden. Wenn wir die Bevölkerung nicht mit ins Boot holen, können wir den Klimawandel nicht erfolgreich bekämpfen. 

Was kann ich als Einzelperson tun?

Agrawal: Jeder kann Maßnahmen setzen. Meine 14-jährige Tochter hat sich entschieden, gegen den Klimawandel zu kämpfen. Sie hat sich Wissen angeeignet und wurde zu ihrem 18. Geburtstag gefragt, ob sie das Amt der nationalen Sprecherin für die Sunrise-Bewegung ausüben möchte. Sie hatte am Anfang weder ein Netzwerk noch Ressourcen oder eine Strategie und hat innerhalb von zwei Jahren nur durch Interesse und Hingabe mehr erreicht, als ich mit meiner Arbeit in Jahrzehnten. Sie hat eine Entscheidung getroffen und losgelegt. Die meisten Menschen machen sich zu viele Sorgen darüber, ob ihre Investition von Zeit, Energie oder Geld den gewünschten Erfolg bringt. Sie sollten stattdessen das tun, was sie wirklich wollen.

Die meisten Menschen machen sich zu viele Sorgen darüber, ob ihre Investition von Zeit, Energie oder Geld den gewünschten Erfolg bringt. Sie sollten stattdessen das tun, was sie wirklich wollen.

Was hat Ihre Arbeit mit Systemanalyse zu tun?

Agrawal: Systemanalysen sind per Definition immer unvollständig, weil wir immer entscheiden müssen, wie viel von der Komplexität eines Systems wir in unsere Modelle übernehmen. Irgendwo müssen wir einen faktenbasierten aber willkürlichen Schnitt machen. Auch die gemeinschaftliche Verwaltung von Ressourcen ist ein komplexes System und wird von Regeln, Ressourcen und dem Verhalten von Menschen bestimmt. An diesem Beispiel können wir auch schön die Limitationen von Systemanalysen sehen, weil der Turm aus Systemen kein Ende hat. Jedes gemeinschaftlich organisierte Verwaltungssystem kann in Subsysteme aufgespalten werden, etwa beteiligte Personen, nützliche Ergebnisse, institutionelle Regeln oder biophysikalische Belange. 

WENIGER MARKT, MEHR GEMEINSCHAFT

Warum sollen ausgerechnet Commons unsere Probleme lösen können?

Agrawal: Die Herausforderungen, mit denen wir uns heute konfrontiert sehen, sind eine Konsequenz unserer engstirnigen Jagd nach Effizienz, Profit und Märkten. Zu glauben, dass diese Obsessionen auch die Lösung der Probleme bringen können, ist nicht logisch. Die Idee, dass die Märkte uns vor Klimawandel bewahren, ist schlicht absurd. Die Commons sind attraktiv, weil sie andere Werte verfolgen.

Ich sehe wenig Anzeichen für eine Abkehr von der Marktgläubigkeit.

Agrawal: Das sehe ich anders. Soziale Auffangnetze sind in den reichen Ländern weit verbreitet und kosten teilweise mehr als fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In Alaska wurde ein öffentlicher Fonds eingerichtet, der jedem Einwohner Geld ausbezahlt. Das ist Sozialismus, mitten im kapitalistischen Herzland. Es gab und gibt immer alternative Ideen. Gemeinschaftliche Verwaltungsmodelle können in einer sich rasant verändernden Welt eine Quelle der Inspiration sein.

 

AUF EINEN BLICK

Arun Agrawal ist Politikwissenschaftler und Samuel Trask Dana Professor an der School for Environment and Sustainability der University of Michigan, USA. Agrawal war Guggenheim Fellow im Jahr 2011und wurde 2018 in die US-amerikanische National Academy of Sciences gewählt.

Das IIASA blickt zu seinem 50-jährigen Jubiläum bei der Konferenz „Systems Analysis for Reducing Footprints and Enhancing Resilience“ in Wien auf die großen Herausforderungen der Menschheit.

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