20.12.2021 | Rechtspopulismus

Islamfeindliche Deutung der Flüchtlingskrise rettete Pegida vor Bedeutungslosigkeit

Die in Deutschland entstandene Bewegung war eigentlich im Sinkflug begriffen. Doch sie nutzte die Fluchtbewegungen im Jahr 2015, um Gehör für ihre islam- und fremdenfeindlichen Parolen zu finden. Mit der von ihr behaupteten Bedrohung verschaffte Pegida sich wieder Bedeutung. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung von Kommunikationsforscher/innen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften mit Kolleg/innen aus Deutschland und der Schweiz.

Erste Pegida-Demonstration in Wien am 2. Feb. 2015. Rund 300 Pediga-Demonstranten (im Hintergrund) standen etwa 200 Gegendemonstranten (im Vordergrund) an der Freyung gegenüber. © Bwag/CC-BY-SA-4.0

Weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit beging die rechtsextreme Bewegung Pegida (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) kürzlich den siebten Jahrestag ihres Bestehens. Am 20. Oktober 2014 in Dresden gegründet, versammelte sie in ihrer Hochphase, zwischen 2014 und 2016, bis zu 25.000 Menschen bei Protesten gegen eine von ihr behauptete angebliche „Islamisierung Europas“.

Wie gelang es der Bewegung damals mit ihren aggressiven Botschaften die politischen Debatten mitzuprägen? Und warum konnte Pegida derart viele Menschen mobilisieren? Der Kommunikationsforscher Dennis Lichtenstein vom Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Universität Klagenfurt ging diesen Fragen auf den Grund. Dazu untersuchte er die Frames, also die Einbettung von Ereignissen und Themen in narrative Deutungsrahmen oder Erzählmuster, von Pegida. Die Ergebnisse sind kürzlich im Schweizer Open Access Journal SComS – Studies in Communication Sciences erschienen.

Flüchtlinge als angebliche Bedrohung konstruiert

„Am Anfang wurde die muslimische Religion als zentrale Bedrohung gerahmt. Entscheidend war dann aber die sogenannte Flüchtlingskrise, die 2015 eingetreten ist: Damit haben sich die Frames von Pegida verändert und es wurden verstärkt Asylsuchende als angebliche Gefahr ins Bild gerückt“, sagt ÖAW-Forscher Lichtenstein. Gemeinsam mit Kolleg/innen der Schweizer Universität Neuchâtel und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften analysierte er 63 Reden, die von 27 Sprecher/innen bei 14 Pegida-Kundgebungen zwischen 2014 und 2016 gehalten worden sind.

Mit dem Ergebnis: Pegida hat massiv von den Fluchtbewegungen profitiert. Denn: Im Sommer 2015 war die Popularität der Rechtsextremen schon im Sinkflug. Lichtenstein: „Pegida hat das Ereignis genutzt, um selbst wieder an Aktualität zu gewinnen.“ So stellte die „Flüchtlingskrise“ für die rechte Bewegung eine Gelegenheit dar, um die eigenen Frames zu erproben und zu optimieren. Für Pegida war es einfach, in diesem Zeitfenster an Sichtbarkeit zu gewinnen – Flucht und Migration wurde eine sehr große Aufmerksamkeit zuteil, erklärt der Kommunikationsforscher. Und: „Religionsbezüge, ethnische Bezüge, Asyl und Migration wurden von den Pegida-Redner/innen als ‚das Andere‘ im Gegensatz zur christlichen Mehrheitsgesellschaft und als Bedrohung gesetzt.“

Rechte Strategie: Innerer Zusammenhalt durch äußere Bedrohung

Das sei Teil einer rechtspopulistischen Strategie, sagt Lichtenstein. Hinzu kommt, dass soziale Bewegungen durch ihre Frames den Zusammenhalt nach innen und die Bedrohung nach außen aufrecht erhalten müssen – und das ist auch in ihren Reden bemerkbar: „Das passiert dann nicht nur durch apokalyptische Bilder, sondern auch durch abwertende Wortspiele, die das Bedrohungsgefühl transportieren sollen, etwa, wenn in den Kundgebungen von Sprenggläubigen statt von Strenggläubigen die Rede ist, von Koranderthalern – eine Anspielung auf den Koran – oder von Kassyrern, was die Worte Syrer und Kassierer zusammenbringt.“

Die hetzerische Stimmung und die diskursive Regelmäßigkeit dieser Bedrohungs-Frames haben Spuren in der Politik hinterlassen: „Man kann davon ausgehen, dass diese lautstarke Minderheit durch ihren Protest einen gewissen Druck auf die Politik ausgeübt hat. Die Beschränkungen im Familiennachzug, die Reform des Asylrechts und schließlich der EU-Türkei-Deal sind Maßnahmen, die auch auf die Stimmungsmache von rechts reagiert haben“, sagt Lichtenstein.

Zwar seien Flucht und Migration inmitten der Pandemie nicht die tagespolitisch zentralsten Themen. Das könne sich aber schnell wieder ändern. „Der Rekurs auf die Migrationskrise war in Deutschland nach dem Rückzug aus Afghanistan plötzlich wieder ein Thema und kann durchaus nochmal genutzt werden, um für eine rechte Bewegung Anhängerschaft zu generieren“, so der ÖAW-Forscher. 

 

Auf einen Blick

Publikation:

The “refugee crisis” as an opportunity structure for right-wing populist social movements: The case of PEGIDA. Bitschnau, M., Lichtenstein, D., Fähnrich, B., Studies in Communication Sciences, 1–13., 2021
DOI: https://doi.org/10.24434/j.scoms.2021.02.016

Rückfragehinweis:

Sven Hartwig
Leiter Öffentlichkeit & Kommunikation
Österreichische Akademie der Wissenschaften
Dr. Ignaz Seipel-Platz 2, 1010 Wien
T +43 1 51581-1331
sven.hartwig(at)oeaw.ac.at

Wissenschaftlicher Kontakt:
Dennis Lichtenstein
Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung
Österreichische Akademie der Wissenschaften und Universität Klagenfurt
Postgasse 7, 1010 Wien
T +43 1 51 581-3115
dennis.lichtenstein(at)oeaw.ac.at